Es ist ein Märchen in Grün. Aston Martin landete in der Vorsaison mit nur 55 Punkten auf dem siebten WM-Platz. Nach einem Rennen 2023 hat der Rennstall aus Silverstone bereits 23 Zähler auf dem Konto und rangiert vor Mercedes und Ferrari an der zweiten Stelle im Konstrukteurs-Pokal. "Was dieses Team über den Winter geleistet hat, ist zu schön, um wahr zu sein", freut sich Neuzugang Fernando Alonso.
Aston Martin hat mit dem neuen AMR23 sein Konzept noch einmal umgestellt. Es hat sich voll ausgezahlt. Kein Team steigerte sich im Vergleich mit dem Vorjahr so sehr. In der Qualifikation gewann man gegenüber Bahrain 2022 satte 2,441 Sekunden. Am zweitmeisten verbesserte sich Williams, die über den Winter 1,203 Sekunden fanden. Klassenprimus Red Bull steigerte sich um 0,973 Sekunden, startete aber auch von einem weit höheren Plateau.

Alonsos Überholshow
Auf eine Runde etablierte sich Aston Martin im Wüstenstaat als dritte Kraft, im Rennen als die zweite. Der AMR23 ist ein guter Allrounder. Stark auf der Bremse, keine Probleme mit dem Untersteuern, mit Abtrieb gesegnet in allen Kurventypen. In mittelschnellen Passagen sieht Red Bull das grüne Auto sogar einen Tick besser aufgestellt. Teammanager Andy Stevenson hat wenigstens eine kleine Schwäche entdeckt. "Red Bull gewinnt mit offenem DRS mehr Geschwindigkeit als wir." Das werden sich die Ingenieure anschauen und ihre Rückschlüsse ziehen.
Vielleicht hätte Alonso bereits in der Qualifikation einen der beiden Ferrari knacken können. Wenn er wie Carlos Sainz im Q3 zwei Reifensätze der weichsten Mischung verfeuert hätte. Der Spanier holte es im Rennen nach. Erst entledigte er sich den beiden Mercedes, später überholte er noch seinen spanischen Landsmann. Ferrari hatte ihm kurz zuvor den roten Teppich ausgerollt. Der sicher auf dem dritten Platz platzierte Charles Leclerc schied mit Antriebsschaden aus.
Nur der Start passte nicht. Da purzelte Alonso hinter die beiden Mercedes zurück und machte sich das Leben schwerer als nötig. "Wir müssen uns das anschauen. Die erste Analyse sagt, dass die Reifen zu kalt waren", berichtet Teamchef Mike Krack. Beinahe hätte es nach einem Kilometer kein Märchen gegeben, sondern eine teaminterne Kollision mit bösen Folgen. Lance Stroll traf das Schwesterauto in der vierten Kurve hinten links.
Zusammenstoß mit Stroll
Beide Aston-Piloten hatten Glück. "Auf den Daten haben wir keinen Abtriebsverlust festgestellt", erzählt Krack, der Stroll gleichzeitig in Schutz nimmt. "Das kann in der ersten Runde passieren. Lance hatte Russell neben sich auf der Außenspur, und wollte sich spät auf der Bremse verteidigen." Den ersten Mercedes kassierte Alonso noch vor dem ersten Boxenstopp. Den zweiten mit Hamilton am Steuer nach dem zweiten Reifentausch.
Es war ein sehenswertes Duell, das sich über mehrere Kurven zog und zwischen den Passagen neun und zehn endete. Der Ex-Weltmeister presste sich auf der Innenspur an seinem alten Rivalen vorbei. Auch mit Sainz stritt sich Alonso über mehrere Kurven. "Mit einem besseren Start hätte ich nicht so viel Adrenalin ausschütten müssen", witzelte der 41-Jährige nach dem Rennen.
Aston Martin hatte über die Distanz vermutlich das zweitschnellste Auto. Und Alonso alles unter Kontrolle. Der 32-fache GP-Sieger hat über den Winter offenbar trainiert, wie ein Verrückter. Im Team nennen sie ihn eine Maschine. Teamchef Krack fällt ein Wort ein: "Wow." Es heißt, Alonso sei so fit und so leicht wie nie. Alonso habe auch seine Ernährung umgestellt. Alles wurde auf ein erfolgreiches Kapitel mit Aston Martin getrimmt. Die Ingenieure haben geliefert. Alonso lobte seinen Dienstwagen mehrmals am Funk.
Der dritte Red Bull
Die Strategen von Aston Martin verfolgten ihren Plan, und ließen sich auch nicht von den früheren Reifenwechseln der Konkurrenz beirren. "Es war wichtig, uns nicht verleiten zu lassen", führt Teamchef Krack aus. "Wenn du zu früh reinkommst, kann es dir passieren, dass dir die Reifen hinten heraus zu früh eingehen." Davor musste sich Aston Martin aber eigentlich nicht fürchten. Das grüne Auto, das Bodenwellen mit Links verputzt, ist ein Reifenstreichler.
Ferrari und Mercedes nehmen die Pirellis dagegen härter ran. Das mag auch daran gelegen haben, dass beide mit einem kleineren Heckflügel als Aston Martin unterwegs waren. Der Auftritt der Grünen war so beeindruckend, dass man selbst bei Red Bull schwärmt. Wer ist der größte Gegner für die Saison, Herr Marko? "Der dritte Red Bull." Gemeint ist, dass sich Aston Martin etwas vom alten RB18 abgeschaut hat. Doch der AMR23 ist weit weg davon, eine Red-Bull-Kopie zu sein.
In Silverstone ruht man nicht. Aston Martin hat bereits einen aggressiven Entwicklungsplan für die Saison angekündigt. Zwei Drittel sollen sich verändern. "Wir starten mit einem guten Fundament. Das ist unter den Regeln für den Budget Cap besonders wichtig. Wenn du da erstmal Probleme aussortieren muss, trifft es dich hart", spricht Krack aus der Erfahrung des Vorjahres.

Stroll gegen den Schmerz
Einen Joker spielt Aston Martin das Regelwerk zu. Man darf als WM-Siebter der Vorsaison deutlich mehr Zeit im Windkanal verbringen als Red Bull, Ferrari und Mercedes. "Das wird nicht mehr lange so sein", sagt Alonso. Was er als Spaß verpackt, könnte man auch als Drohung verstehen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird der Spieß umgedreht. Dann bekommen diejenigen weniger Entwicklungsmöglichkeiten im Windkanal zugestanden, die aktuell in der Weltmeisterschaft besser platziert sind.
Die Fans wählten Alonso als Mann des Rennens. Diesen "Award" hätte sich auch der Teamkollege verdient. Lance Stroll hatte sich vor den Testfahrten in Bahrain ein Handgelenk und einen Zeh gebrochen, und das zweite Handgelenk geprellt. Er fuhr unter Schmerzen. Er biss sich durch. Er belohnte sich mit einem sechsten Platz.
Alonso feierte Stroll am Funk. Teamchef Krack tat es nach dem Rennen. "Lance ist keinen Meter bei den Tests gefahren. Er hatte am Freitag im Training ein technisches Problem, was ihn Fahrzeit kostete. In der Quali stand er unter großem Stress, abzuliefern. Er ist nie die harten Reifen gefahren, weil wir beide Sätze für das Rennen reservierten. Er hatte keine Referenz und hat die Reifen trotzdem gut behandelt. Wir müssen unseren Hut vor Lance und seiner Leistung ziehen." Da kann man sich nur anschließen.