Null Punkte beim ersten Saisonrennen – das gab es bei Alpine schon in der Vorsaison. Aber abgesehen von der Ausbeute hat die Situation des französischen Werksteams nichts mit der von vor zwölf Monaten zu tun. Damals hing man abgeschlagen am Ende des Feldes, mittlerweile ist man mittendrin im Kampf um die Mittelfeldkrone. "Heute haben wir ein Rennauto, letztes Jahr war es noch ein Traktor", spottete Teamberater Flavio Briatore in Melbourne.
Pierre Gasly stellte seinen A525 auf den neunten Platz in der Startaufstellung und hätte wohl auch etwas Zählbares eingefahren, wenn er nach dem letzten Safety-Car-Restart in Kurve 1 nicht leicht neben die Strecke gerutscht wäre. "Ich möchte da gar nicht von einem Fehler sprechen", nahm Teamchef Oliver Oakes seinen Fahrer in Schutz. "Er ist vorher so gut gefahren." Am Ende rutschten noch die beiden Ferrari und Oscar Piastri durch und schoben Gasly auf den undankbaren elften Platz.
Und auch in Richtung Jack Doohan gab es keine Vorwürfe von der Teamleitung, obwohl der Rookie schon nach wenigen Metern auf einer Straßenmarkierung ausgerutscht war. "Er war ja nicht der Einzige, dem das passiert ist. Von den sechs Rookies sind nur zwei ins Ziel gekommen. Und es war auch nichts Verrücktes, was er gemacht hat. Er wurde einfach von den Bedingungen auf dem falschen Fuß erwischt. Mir tut es echt leid für ihn. Bis dahin hatte er wirklich ein gutes Wochenende", lobte Oakes.

Jack Doohan im Konzert der ganz Großen. Wie lange kann er hier mitgeigen.
Gelbe Flaggen und weiße Linien
Noch immer hängt das Damoklesschwert namens Franco Colapinto über dem Australier. Viele Experten befürchten, dass die Formel-1-Karriere von Doohan wegen des prominenten Ersatzmanns eine kurze Halbwertszeit hat. Doch bei seinem Heim-Grand-Prix ließ sich der Pilot nichts von dem Druck anmerken. "Er war ganz nah dran an Pierre, vielleicht wäre er im Qualifying sogar vor ihm gelandet", analysierte Oakes.
Doohan wurde in der zweiten Quali-Runde von gelben Flaggen ausgebremst, die Lewis Hamilton mit seinem Dreher ausgelöst hatte. Die Rennleitung deaktivierte das DRS, und Doohan, der auf einer guten Runde unterwegs war, konnte sich nicht mehr verbessern. Trotz des verpassten Q3-Einzuges waren sich die Alpine-Ingenieure sicher, dass der Neuling auf dem Niveau von Gasly unterwegs war. In den ersten beiden Trainings hatte Doohan das interne Duell sogar für sich entschieden.
"Er musste in den letzten Wochen einiges durchmachen. Er bekam hier viel Unterstützung von den Fans, es gab viel Aufmerksamkeit, mit der man auch erstmal umgehen muss. Dafür hat er echt eine gute Leistung abgeliefert. Es hat mich aber nicht sonderlich überrascht. Wenn wir ihm das nicht zugetraut hätten, dann hätte er die Chance gar nicht bekommen", betonte Oakes.

Zuckerbrot und Peitsche: Für Teamchef Oliver Oakes und Berater Flavio Briatore zählt nur die Leistung.
Doohan in den Arm nehmen
Der Teamchef glaubt, dass Doohan auch die vorgezogene Formel-1-Premiere in Abu Dhabi geholfen hat, die Nerven zu beruhigen. "Da hat er alles schon mal durchgespielt. Und das Melbourne-Wochenende wird ihn noch weiter nach vorne bringen. Man muss ihn jetzt kurz in den Arm nehmen, dann wird das schon wieder. Ich denke, er kann mit Selbstvertrauen in die nächsten Rennen gehen."
Oakes wurde in Melbourne auch noch einmal auf die besondere Konstellation angesprochen, die den Druck auf Doohan nicht gerade verringert hat: "Natürlich müssen wir zugeben, dass wir der Grund für den ganzen Wirbel waren. Wir haben etwas für Unruhe gesorgt und ihn nicht gerade in die beste Position gebracht. Auf der anderen Seite hat man den Platz in der Formel 1 aber auch richtig verdient, wenn man mit so etwas umgehen kann. Ich hoffe, dass es nach ein paar Rennen etwas ruhiger wird."
Oakes verrät, dass er sich seinen Schützling am Rande der Bahrain-Testfahrten zur Brust genommen hat. "Aber er brauchte diese Bestätigung gar nicht. Er weiß, dass man in der Formel 1 Leistung abliefern muss. Das ist das Einzige, was zählt. Er hat sich nie darüber beklagt. Für ihn ist das hier eine riesige Chance, da muss er alles andere ausblenden. Er ist ein starker Charakter, den nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Das hat man auch in seiner Reaktion nach dem Crash gesehen. Ihm hat es natürlich für die Mechaniker leidgetan, auf der anderen Seite wollte er das aber auch so schnell wie möglich abhaken."

Ein kleiner Fehler von Pierre Gasly verhinderte in Melbourne die ersten WM-Punkte für Alpine.
Alpine mit Startschwierigkeiten
Neben Colapinto warten auch noch Paul Aron, Ryo Hirakawa und Kush Maini nur darauf, dass Doohan strauchelt. Der Alpine-Nachwuchskader ist gut gefüllt. Oakes erklärt, warum man so viele Junioren beschäftigt: "Wir brauchen die vier Ersatzfahrer auch mit Blick auf die Zukunft. Jetzt kommt bald der große Reglement-Wechsel. Da kann es nicht schaden, einen größeren Fahrerkader zu haben."
Das zeigte sich auch schon beim Australien-Wochenende. Aron blieb in der Fabrik in England und feilte im Simulator am Setup. Colapinto spielte den Ersatzmann vor Ort, falls einer der Stammpiloten ausgefallen wäre. "Wir brauchen diese Piloten, auch wenn man von außen nicht immer sieht, wie viel sie beitragen", betont Oakes. In Melbourne war die gute Zusammenarbeit besonders wichtig. Das Auto zeigte sich auf den ersten Trainingsrunden nämlich noch nicht in Bestform.
"Der Freitag lief etwas enttäuschend. Da waren wir etwas weiter weg, als wir gedacht hatten. Die Bahrain-Tests hatten uns zuversichtlich gestimmt. Aber dann war es doch von Beginn an etwas schwierig", erinnert sich Oakes. Mit etwas größeren Flügeln und Anpassungen am Fahrwerk ging es dann am Samstag endlich vorwärts. "Mit diesen Autos ist das heutzutage in der Formel 1 so, dass es entweder von Beginn an gut passt oder man das ganze Wochenende an den Problemchen arbeiten muss."

Das Verhältnis von Pierre Gasly zu Jack Doohan ist deutlich besser als zu Vorgänger Esteban Ocon.
Teamdynamik gut wie lange nicht
Auch die Piloten hatten einen Anteil daran, dass das Ruder noch einmal rumgerissen wurde. Oakes verband das Lob für seine aktuellen Fahrer mit einer kleinen Spitze gegen Esteban Ocon, der sich im letzten Jahr nicht immer als guter Teamplayer gezeigt hat: "Besonders gut hat mir die Dynamik zwischen Jack und Pierre gefallen, wie sie gemeinsam mit den Ingenieuren zusammengearbeitet haben. So etwas haben wir hier länger nicht gesehen."
An sein Team gibt Oakes die Parole aus, sich nicht zu lange über die Nullnummer in Melbourne zu ärgern. Seit seinem Amtsantritt letzten August zeigte die Formkurve steil nach oben. Und das soll auch so bleiben: "Ich erwarte von uns noch einen Schritt nach vorne. Die Leistungen hängen natürlich immer auch etwas davon ab, wie gut die Strecken zum Charakter des Autos passen und wie schnell die anderen Teams den Fokus auf 2026 verschieben. Ich will damit sagen, dass die Performance nicht nur von den Upgrades abhängt."