Alpha Tauri AT04: Aggressive Entwicklung geplant

Alpha Tauri im Niemandsland
Mit aggressiver Entwicklung ins Mittelfeld

Red Bull thront mit 123 Punkten an der Spitze der Formel 1. Der kleine Bruder dagegen versauert in den Niederrungen des Feldes. Red Bull gewann die ersten drei Rennen der noch jungen Saison. Alpha Tauri sammelte gerade einmal ein Pünktchen. Und das auch nur, weil beim GP Australien in der Schlussphase das Chaos herrschte, und Carlos Sainz durch eine Fünfsekunden-Strafe aus den Top 10 purzelte, in die Yuki Tsunoda hineinrutschte.

Alpha Tauri hat sich im Red-Bull-Konzern zu einem Sorgenkind entwickelt. Der Rennstall rangiert in der Beliebtheit der Fans so weit unten wie in der WM-Tabelle. Der Marketing-Trick, Rennsport und Modemarke zu verheiraten, bringt nicht die erhofften Ergebnisse. Und dann stimmen auch noch die Leistungen auf der Rennstrecke nicht. Irgendwie werkelt da ein farbloser Rennstall vor sich her.

Der AT04 hat sich laut den Ingenieuren zwar weit unter das Gewichtslimit gehungert. Das Übergewicht war eine der Problemzonen des Vorgängers gewesen. Die Performance in schnellen Kurven ist besser geworden. Doch der Rennwagen von Yuki Tsunoda und Nyck de Vries plagte sich besonders in den ersten beiden Rennen mit einem instabilen Fahrverhalten auf der Bremse und chronischem Untersteuern herum. In Melbourne gab es diesbezüglich eine erste Besserung zu vermelden.

Alpha Tauri - Formel 1 - GP Australien 2023
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Erstes Facelift für den AT04

Die Ingenieure aus dem italienischen Faenza lieferten das erste große Aerodynamik-Facelift der Saison. Es umfasste einen neuen Unterboden sowie Modifikationen am Diffusor. Alpha Tauri besserte an allen Stellen nach. Man veränderte die Geometrie der vorderen Leitbleche am Eingang zu den Venturi-Kanälen. Man überarbeitete die Unterseite und die Außenkanten des Unterbodens. Technikdirektor Jody Egginton hielt fest: "Die neuen Teile haben das gebracht, was wir berechnet hatten. Unsere Erwartungen wurden weitestgehend erfüllt."

Die Upgrades wurden bereits entworfen, bevor der neue AT04 die ersten Meter auf der Rennstrecke erlebte. Es muss den Ingenieuren schon im Winter klar geworden sein, dass sie schnell im größeren Stil nachlegen müssen. Egginton gibt zu: "Wir haben unser Auto im letzten Jahr nicht stark genug entwickelt. Wir konnten es auch nicht so entwickeln, wie wir es wollten. Deshalb waren wir leicht im Hintertreffen und müssen aufholen."

Warum genau die Ingenieure in der letzten Saison nicht machen konnten, was sie gerne getan hätten, bleibt bisher verborgen. Auch sei man mit großen Ambitionen an das diesjährige Projekt herangegangen. "Wir haben im Vergleich zum letzten Jahr einen Schritt nach vorne gemacht mit unserem Auto. Die meisten Ziele haben wir erfüllt. Aber nicht alle", sagt Egginton und ergänzt einschränkend: "Wenn du im Winter alle Entwicklungsziele erreichst, hast du dir die falschen gesetzt. Dann ist es offenbar zu einfach gewesen. Es ist aber nicht so, dass wir uns keine ambitionierten Ziele auferlegt hätten."

Erster Schritt nach vorne

Mit dem neuen Unterboden wollen die Ingenieure die Strömung zum Heck und damit verbunden die Luftwirbel besser kontrollieren. Schädliche Turbulenzen, verursacht durch das Walken der Hinterreifen, sollen vom Diffusor ferngehalten werden. Die Expansion der Luft im Diffusor soll stärker ausfallen. Alles mit dem Wunsch, den Anpressdruck zu erhöhen und ihn stabiler zu halten – auch bei mehr Bodenfreiheit im Heck.

"Gerade bei langsamen Geschwindigkeiten haben wir unsere Aerodynamikziele nicht erreicht. Die Upgrades haben aber geholfen, die Stabilität am Kurveneingang zu verbessern." Die Fahrer können nun von der Bremsphase hin zum Scheitelpunkt mehr attackieren. "Es war ein erster Schritt. Mit einem Update lassen sich aber nicht alle Probleme lösen."

Yuki Tsunoda - Formel 1 - GP Australien 2023
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Alpha Tauri hat noch einen weiten Weg vor sich, wie das Australien-Wochenende zeigte. Tsunoda und de Vries kletterten wenigstens in den zweiten Quali-Teil. Das Q3 war drei Zehntelsekunden entfernt. Tsunoda war schneller als der Teamkollege, obwohl sein Auto in der Qualifikation nach einem Trainingsunfall mit dem alten Unterboden bestückt war. Der Rennspeed enttäuschte – egal, ob neu oder alt. Immerhin sammelten Tsunoda und de Vries Vergleichsdaten unter identischen Verhältnissen.

Mehrere Updates am Unterboden

Teamchef Franz Tost fordert eine schnelle Verbesserung. Der Österreicher will Ergebnisse sehen – nicht im Windkanal, sondern auf der Rennstrecke. Die Stoppuhr erzählt die Wahrheit. Tost spart nicht mit Kritik an seinen Ingenieuren, denen er öffentlich an den Kopf warf, ihnen nicht mehr zu vertrauen. Die Techniker haben den Glauben an sich selbst aber noch nicht verloren: "Dieses Team war es auch, das Autos gebaut hat, mit denen 2019, 2020 und 2021 Podestplätze eingefahren wurden."

Den Ingenieuren ist aber auch klar, dass sie liefern müssen. Der AT04 sei noch ein unfertiges Produkt. "Mit dem neuen Unterboden haben wir eine Basis geschaffen, auf der wir aufbauen können. Der Unterboden ist das größte Schlachtfeld mit diesen Autos. In Australien sind wir den ersten von wahrscheinlich fünf oder sechs Entwicklungsschritten mit dem Unterboden gegangen", verrät Egginton.

Alpha Tauri will schnell aus dem Tabellenkeller nach vorne kommen und sich im breiten Mittelfeld etablieren. Eigentlich soll das Team WM-Sechster werden – mindestens. "Wir müssen besser entwickeln als unsere Gegner. Unser Ziel ist es, noch im ersten Saisonteil weiter im Mittelfeld vorzurücken." Dafür wird es in den nächsten Rennen weitere Upgrades geben.

Yuki Tsunoda - Alpha Tauri - GP Australien - Melbourne - 31. März 2023
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Ab 2024 Red-Bull-Vorderradaufhängung

Für die Zukunft soll der Rennstall neu positioniert und ausgerichtet werden. Dafür soll es mehrere Planspiele gegeben haben. Herauskristallisiert hat sich: Das Team muss beliebter, das Marketing besser und das Auto schneller werden. Da könnten auch Investitionen vonnöten sein. Ein Modell in ähnlicher Form wie zwischen Ferrari und Haas würde am meisten Sinn ergeben. Das US-Team ist mit einem Entwicklungsarm bei Ferrari in Maranello angedockt, betreibt aber auch noch andere Standorte.

Red Bull baut derzeit das schnellste Auto. Von daher wären engere Beziehungen durchaus ratsam. Je mehr Synergien man zwischen den Teams schafft, desto mehr können sich die Ingenieure auf andere Bereiche stürzen. Ab 2024 soll der kleine Bruder, der deutlich weniger Techniker beschäftigt, beispielsweise auch die Vorderradaufhängung von Red Bull beziehen. Weil die Modemarke kein Erfolgsmodell ist, könnte dann auch der Teamname ein anderer sein. Vielleicht findet sich in dieser Hinsicht ja ein zahlungskräftiger Sponsor.

Eine stärkere Anbindung an Red Bull und den Standort Milton Keynes ergibt nicht nur kurzfristig Sinn, um Kosten zu sparen und technisch voranzukommen. Sondern auch auf lange Sicht. Mit dem Reglements-Wechsel 2026 baut Red Bull das Auto und den Motor selbst – Halle neben Halle. Die Power Unit von Red-Bull-Ford wird auch Alpha Tauri beziehen. Chassis und Antrieb auf einem Campus: Das wäre auch für das Schwesterteam verlockend.

Zumal Red Bull in Milton Keynes ja auch noch einen brandneuen Windkanal baut. Aktuell teilt man sich bereits den alten Windkanal in Bedford. Der Rennstall aus Faenza war bislang eine erfolgreiche Ausbildungsschmiede für Red Bull – selbst wenn das Weltmeisterteam mit Sergio Perez 2021 mal wieder einen Fahrer verpflichtet hatte, der nicht aus dem eigenen Kader stammt. Den Ausbildungsplatz für Talente würde man sich gerne erhalten.