Früher einmal zählte der Nürburgring neben Monte Carlo und Monza zu den Highlights der Formel 1-Saison. Früher, das war zwischen 1951 und 1976, als noch auf der Nordschleife gefahren wurde. "Der Nürburgring hatte damals einen Sonderstatus", bestätigt Jackie Stewart.
Der dreifache Sieger auf der schwierigsten Rennstrecke der Welt erinnert sich: "Der Ring war bereits 1968 viel zu gefährlich für Formel 1-Autos. Trotzdem hat es noch zwei Jahre gedauert, bis wir Fahrer uns trauten, den Mund aufzumachen. Im Kollegenkreis hieß es immer: Wir können doch nicht den Nürburgring boykottieren. Die Strecke war so etwas wie ein Heiligtum."
Längstes Formel 1-Rennen der Welt
Inzwischen ist der Nürburgring eine ganz normale Rennstrecke. Eine Runde misst nicht mehr 22,835 sondern nur noch 5,148 Kilometer. Die Rundenzeit beträgt nicht mehr sieben Minuten, sondern knapp mehr als 90 Sekunden. Statt 187 Kurven gibt es 15. Der Höhenunterschied beträgt 62 Meter. Früher lagen zwischen der Hohen Acht und Breidscheid 300 Höhenmeter.
Der erste Grand Prix der Neuzeit fand 1951 statt. Der Trainingsschnellste Alberto Ascari umrundete die Nordschleife vor 60 Jahren in seinem Ferrari in 9.55,8 Minuten. Für die Gesamtdistanz von 455,4 Kilometern war der Italiener mehr als drei Stunden unterwegs. Der GP Deutschland 1954 steht als längstes Formel 1-Rennen aller Zeiten in den Geschichtsbüchern. Juan-Manuel Fangio brauchte 3:45.45,8 Stunden für 22 Runden oder 502,3 Kilometer.
Fangio voll durch die Fuchsröhre
Die ersten sechs Formel 1-Siege auf dem Nürburgring teilten zwei Herren unter sich auf: Ascari und Fangio. Legendär wurde Fangios Triumph 1957, als er nach einem verunglückten Boxenstopp fast 50 Sekunden auf die Ferrari-Piloten Peter Collins und Mike Hawthorn aufholen musste. Der Maestro sagte hinterher: "Ich hoffe, dass ich nie wieder so fahren muss wie an diesem Tag." Nach eigener Aussage war Fangio mit seinem Maserati 250F in der 20. Runde zum ersten und zum einzigen Mal die Streckenabschnitte Fuchsröhre und Antoniusbuche voll gefahren. Es war der letzte GP-Sieg des großen Argentiners.
Nürburgringsieger werden auch Weltmeister
Nach der Ära Ascari und Fangio galt das ungeschriebene Gesetz, dass der Sieger am Nürburgring oft auch Weltmeister wurde. Das traf auf Graham Hill (1962), John Surtees (1964), Jim Clark (1965), Jack Brabham (1966), Denis Hulme (1967), Jackie Stewart (1971, 1973) und James Hunt (1976) zu. Die Nordschleife war unter den Fahrer gleichermaßen geachtet und gefürchtet. "Meister des Nürburgrings" zählte wie ein Titelgewinn. Nur die dreifachen Sieger Fangio, Ascari und Stewart durften ihn tragen. Keine Rennstrecke forderte mehr Opfer. Onofre Marimon (1954), Peter Collins (1958), Carel Godin de Beaufort (1964), John Taylor (1966) und Gerhard Mitter (1968) kamen im Rahmen des Grand Prix-Wochenendes auf dem Eifelkurs ums Leben.
Abstimmung gegen den Nürburgring
1970 hatten die Fahrer genug. Jochen Rindt schimpfte nach einer Inspektion der Strecke: "Was hat sich in den letzten Jahren am Nürburgring geändert? Nichts, nur die Bäume wurden dicker." Jackie Stewart organisierte eine Abstimmung unter den Fahrern und bekam eine knappe Mehrheit. Die Formel 1 zog nach Hockenheim um. Für ein Jahr.
Danach ging es wieder zurück in die Eifel, auf eine modernisierte Nordschleife. Sprunghügel waren abgetragen worden, Senken begradigt, und aus 187 Kurven wurden 73. Doch die längste Strecke im Kalender war damit auch schneller geworden. 1969 hatte Jacky Ickx mit 7.42,1 Minuten die Trainigsbestzeit aufgestellt. Zwei Jahre später schaffte Jackie Stewart 7.19,0 Minuten für eine Runde.
Niki Lauda hält Rekord: In unter sieben Minuten über die Nordschleife
Den absoluten Rekord hält Niki Lauda aus dem Jahr 1975. Der Österreicher war der einzige, der die klassische Nordschleife je unter sieben Minuten schaffte. 6.58,5 Minuten sind ein Bestwert für die Ewigkeit. Lauda war es auch, der an der Nordschleife die Lichter ausknipste. Wie Jochen Rindt und Jackie Stewart sechs Jahre zuvor machte der Ferrari-Pilot 1976 mobil gegen das Monster aus der Eifel. Man einigte sich darauf, noch einmal zu fahren. Laudas Feuerunfall am Bergwerk war das Ende der Formel 1 auf der Nordschleife.
Selbst wenn man die Strecke ein weiteres Mal umgebaut hätte, so blieb doch das Problem, dass man 22,835 Kilometer nicht so engmaschig überwachen konnte wie eine fünf Kilometer lange Strecke. Der Fall Lauda zeigte, dass es im Ernstfall zu lange dauerte, bis erste Hilfe eintraf. Fahrerkollegen und nicht Streckenposten zogen den Unfallpiloten aus dem brennenden Ferrari.
Nach 22 Formel 1-Rennen war das Kapitel Nordschleife beendet.
Nürburgring eine Dutzend-Rennstrecke
Es dauerte acht Jahre, bis die Formel 1 wieder in der Eifel gastierte. 1984 vergab die FIA den GP Europa an den vier Monate zuvor eingeweihten neuen Nürburgring. Es war eine Dutzend-Rennstrecke, 4,542 Kilometer lang, mit riesigen Sturzräumen und einer sterilen Stadion-Atmosphäre. Die Rennfahrer feierten, die Puristen verdammten sie.
1985 zog der GP Deutschland noch einmal von Hockenheim an den Nürburgring um, doch der Zauber der Eifelpiste war verflogen. Seit der Nürburgring eine Rennstrecke wie jede andere auch war, ging der Zuschauerzuspruch rapide zurück. Nach Hockenheim kamen mehr Besucher. Die nächsten zehn Jahre fand sich im Formel 1-Kalender keine Vakanz mehr für einen Grand Prix den Ring. Erst der Schumacher-Boom verschaffte der Strecke an der Nürburg wieder einen Platz in Bernie Ecclestones Roadshow.
Schumi rechtfertigte 2 GPs in Deutschland
Schumachers Erfolge rechtfertigten zwei Grand Prix in Deutschland. Weil Hockenheim seinen Platz im Kalender behielt, wurde der Nürburgring Gastgeber exterritorialer Formel 1-Läufe. Zwölf Mal trug das Rennen den Titel GP Europa, zwei Mal war es der GP Luxemburg. Michael Schumacher krönte sich mit fünf Siegen (1995, 2000, 2001, 2004, 2006) zum König des Nürburgrings. Sein größter war sein erster, als er den lange Führenden Jean Alesi kurz vor Schluss in einem atemberaubenden Überholmanöver in der Veedol-Schikane niederkämpfte.
Im Jahr 2002 wurde die Strecke um eine Art Motodrom erweitert. Die Streckenlänge stieg von 4,5 auf 5,1 Kilometer an. Der Grand Prix am Ring bot auch in der Neuzeit oft dramatische Schlachten, und nicht selten war das unbeständige Wetter daran schuld. So schaffte Johnny Herbert 1999 in einem Stewart-Ford den größten Außenseiter-Sieg in der Geschichte des Grand Prix in der Eifel. Unvergessen aber auch der Wolkenbruch, der 2007 den Debütanten Markus Winkelhock in einem Spyker für sechs Runden an die Spitze spülte, der für die erste Unterbrechnung während einer SafetyCar-Phase in der GP-Geschichte sorgte, und den Fernando Alonso in einem tollen Finale gegen Felipe Massa gewann. Auch der bislang letzte Grand Prix am Ring im Jahr 2009 wartete mit einem Kuriosum auf. Sieger Mark Webber musste während des Rennens einmal strafweise durch die Box.
Nürburgring und Hockenheimring im Wechsel
Seit 2009 darf sich das Rennen auch wieder GP Deutschland nennen. Der Nürburgring wechselt sich mit Hockenheim als Ausrichter des Formel 1-Rennens ab. Das hohe Startgeld zwang die Veranstalter dazu. Rund 20 Millionen Euro Antrittsgeld lassen sich durch Zuschauereinnahmen kaum refinanzieren. Da sagte man sich im Badischen und in der Eifel: Lieber alle zwei Jahre einen Verlust als jedes Jahr.
Die Zukunft des Grand Prix ist dennoch nicht gesichert. Wenn der Nürburgring nicht mehr mit der Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz rechnen kann, reißt der Grand Prix ein noch größeres Loch in die Kasse. Der Veranstalter kann deshalb nur hoffen, dass der Vettel-Faktor die Zuschauer in die Eifel lockt. So wie zwischen 1995 und 2006, als wegen Schumacher teilweise bis zu 148.000 Zuschauer am Renntag in die Arena kamen. Gründe für einen Besuch am Nürburgring gibt es 2011 genug. Immerhin fahren mit Sebastian Vettel, Michael Schumacher, Nico Rosberg, Nick Heidfeld, Adrian Sutil und Timo Glock sechs deutsche Fahrer mit. Und einer davon segelt auf WM-Kurs.