Technikwandel der Formel 1: Autos werden immer schwerer

Gewichtszuwachs in 20 Jahren
Warum wurden die Autos immer schwerer?

Fortschritt ist bekanntlich unaufhaltsam. Doch manchmal macht er größere Umwege – wie in der Formel 1 der vergangenen 20 Jahre. Nachdem die Fahrzeug-Generation rund um 2003 die bis heute beste Rennpace auf die Strecke gebracht hatte, sind die aktuellsten Renner dank ihres Hightech-Konzepts wieder nahe an Rekord-Zeiten dran – auch an denen ihrer breiteren Vorgänger Ende der 2010er-Jahre, die zumindest auf eine Runde brillierten.

Möglich wird das Speed-Comeback, neben den Groundeffect-Gewinnen, durch die stetig weiterentwickelten 1,6 Liter großen V6-Monoturbo-Motoren. Die leisen, aber dafür drehmomentstarken Aggregate haben eine herausragende Effizienz von über 50 Prozent und werfen kombiniert mit dem Hybrid-Zusatz über 1.000 PS auf die Hinterachse. Zum Vergleich: Der Ferrari Tipo 052, ein 3-Liter-V10, wuchtete Michael Schumacher 2003 mit offiziell 845 PS zum sechsten Titel.

Gewicht nur durch die Motoren?

Analog zum PS-Zuwachs entwickelte sich die Gewichtskurve zwischen den beiden Vergleichsgenerationen: Zusammen mit dem Piloten und den Betriebsstoffen brachte der ikonische F2003-GA leichte 600 Kilogramm auf die Waage, beim aktuellen Ferrari SF-23 sind es ganze 798 Kilogramm Mindestgewicht. 156 Extra-Kilogramm fraßen sich die Formel-Renner allein zwischen 2013 und 2022 an. Die Motoren spielten dabei zwar eine gewichtige Rolle, sind aber nicht die alleinigen Schuldigen.

Als guter Startpunkt der Massephase lässt sich das Jahr 2010 festhalten. Die Regelhüter erhöhten für diese Saison das Mindestgewicht auf 620 Kilogramm, um sowohl größeren und schwereren Fahrern zu helfen, aber auch um den Einsatz des KERS-Hybridsystems zu erleichtern. Mit der Rückkehr des Energie-Boosts 2011 stieg das Limit bereits auf 640 Kilogramm. 2013 verschob die FIA das Maß ohne Sprit auf 642 Kilogramm. Schwerere Reifen waren damals der offizielle Grund für den Zuwachs.

Formel 1 Australien 2010
xpb

Rasanter Anstieg innerhalb weniger Jahre

In den nächsten Winterpausen ging es dann Schlag auf Schlag. Die seit 2014 obligatorischen 1,6-Liter-Turbo-Hybridantriebe katapultierten den Wert zunächst hoch auf 691 Kilogramm. Zusätzlich zur schweren Batterie, den ERS-Bauteilen und der dazugehörigen Kühlung argumentierte man erneut mit den Reifen-Konstruktionen. 2015 wurde auf 702 kg nachgebessert, 2017 waren es schon 722 Kilogramm. Mit der Einführung des Halo in der Saison 2018 kamen weitere zwölf Kilo hinzu.

Der Schutzbügel und die wachsenden Proportionen der Saison 2017 sind die besten Beispiele dafür, dass es sich beim Gewichtszuwachs um ein vielseitiges Problem handelt. Ähnliche Tendenzen gibt es auch in der US-amerikanischen IndyCar-Serie, bei der das Halo-Gegenstück namens Aeroscreen 2020 als notwendiger Ballast hinzukam. Im nächsten Jahr wird ein neues Einheits-Hybridsystem weiteres Gewicht für Newgarden, Grosjean und Co. bedeuten.

In der Formel 1 ließen die wachsende Nutzung von Standard-Bauteilen, das Verbot teurer Leichtbau-Materialien, verbesserte Sicherheitsmaßnahmen und größere Reifen 2021 dann 749 Kilogramm auf der Digitalanzeige aufleuchten. Ein nochmals gewaltiger Sprung kündigte sich mit der wegen der Pandemie zunächst verschobenen Groundeffect-Revolution an.

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Belgien - Spa-Francorchamps - 27. August 2021
Motorsport Images

Vorerst abgebrochene Diät

Die Autos des 2022 eingeführten Aero-Reglements befanden sich nur noch mickrige zwei Kilogramm unter der gefürchteten 800-kg-Schallmauer. Obwohl ursprünglich eine Diät für die aktuelle Saison angesetzt war, gilt auch heute noch der Wert von 798 Kilo. Ein Entwurf des Technik-Reglements, der vom Motorsport-Weltrat Ende Juni 2022 abgesegnet wurde, sah erst ein Abspecken von zwei Kilo vor. Doch nicht mal das war den diesbezüglich durchaus kritischen Fahrern vergönnt.

In den internen Diskussionen war sogar kurz von einem Zuwachs in Form eines Kilos die Rede, aber über den Winter 2022/2023 konnte der Status quo schlussendlich bewahrt werden. Ein Hindernis im Diätplan sollen die neuen Vorderreifen von Pirelli gewesen sein. Ob die Senkung nur aufgeschoben ist, lässt sich vorerst nicht absehen. Erst mit den neuen Autos ab 2026 erwarten Experten wieder mehr Spielraum für Gewichtsverlust.

Lob für Ingenieure, Ärgernis der Fahrer

Dass die aktuellen Formel-1-Rennwagen trotz alledem in Sachen Pace wieder an den Extremismus der Nuller- und der späten Zehner-Jahre anschließen können, adelt die Ingenieure und Aerodynamiker der Königsklasse. Im Kampf gegen und um das 1961 eingeführte Mindestgewicht zogen sie immer im Eiltempo mit. Gleiches gilt für die Kastration der Aerodynamik oder ihre massive Überarbeitung der Jahre 2017 und 2022.

Das beste Beispiel für den Ingenieursgeist sind die Fahrzeuge des Jahres 2016: Sie lagen auf eine Runde in Sichtweite der Rekord-Pacer aus 2004 – und das, obwohl auf dem Papier im Vergleich rund 30 Prozent Anpressdruck fehlten. Mit der Wachstumsphase ab 2017 gewannen die wieder zwei Meter breiten Autos nicht nur an Ästhetik, Stichwörter Stufen- und Pimmelnasen, sondern auch an Speed, um neue Rekorde zu setzen.

Die Gewichtskritiker im Cockpit besänftigte die, in der Rennsport-Historie eher rare, Performance-Eskalation etwas. 2016 hatte sich beispielsweise Lewis Hamilton geärgert: "Die Autos fühlen sich bei schnellen Richtungswechseln viel träger als früher an. Das ist nicht mehr die Formel 1, wie ich sie noch kennengelernt habe. Als ich anfing, da waren die Autos noch leicht und das Fahren ein Ritt auf der Rasierklinge."

Reichen kleinere Autos schon aus?

Immer wieder müssen die Piloten Fragen zum Gewicht beantworten. Altmeister Fernando Alonso erklärte zuletzt: "Ich glaube nicht, dass eine Diät die Show stark verändern würde. Für mich spielen die Proportionen eine größere Rolle bei der Diskussion, da sie Überholmanöver und Kämpfe besonders in den ersten Kurven des Rennens erschweren. Es ist aktuell schwierig, die Autos zu positionieren – dabei geht es allein um die Größe."

Der zweifache Weltmeister nahm die Serie indirekt in Schutz. "Ich denke, es wird herausfordernd, das Gewicht signifikant zu verringern. Hybrid-Motoren werden immer etwas schwerer als normale Antriebe sein und die Sicherheit wurde durch die Anpassungen stark verbessert. Die Bemühungen um eine Verringerung sind natürlich willkommen. Es macht immer mehr Spaß, leichtere Autos zu fahren."

Lewis Hamiltons Meinung hat sich im Vergleich zu 2016 derweil nicht stark verändert. Der Champion führt aus: "Ich finde die Größe des aktuellen Autos gar nicht so schlecht, auch wenn es in manchen Passagen etwas eng wird. Ich glaube aber, dass das momentane Gewicht definitiv übertrieben ist. Die Räder sind lächerlich schwer. Und ich sehe da keinen Grund dafür. Es gibt einige gute Änderungsansätze, die man in der Zukunft angehen kann."

Nico Hülkenberg - Haas - GP Monaco 2023
Wilhelm

"Setzt einfach das Gewicht herunter"

Hamiltons Technischer Direktor James Allison zeigte sich ebenfalls unglücklich über den Trend: "Ein guter Weg, die Autos leichter zu machen, ist es, das Gewichtslimit einfach herunterzusetzen und es so zu unserem Problem zu machen. Wenn die Autos zu schwer sind, müssen wir die herausfordernde Entscheidung treffen, was wir einbauen und worauf wir verzichten. Aber mir stimmt hierbei sicher nicht jeder zu."

Dan Fallows von Aston Martin wählte einen nicht ganz so radikalen Ansatz: "Ich glaube, es gibt Platz in den Regeln für hilfreiche Änderungen. Das Heruntersetzen des Limits ist ein passender Ansatz. Dabei müssen wir aber aufpassen, dass die Sicherheit nicht eingeschränkt wird." Pierre Waché von Red Bull fügte an: "Der Motor, der momentan für 2026 definiert wird, ist bereits massiv schwerer als der aktuelle. So wird es sehr, sehr schwierig, eine Verringerung zu erreichen."

Nikolas Tombazis, der als Technik-Deligierter bei der FIA für die Entwicklung der künftigen Regelwerke zuständig ist, hält die komplette Abschaffung von Mindestgewichten für einen interessanten Ansatz. Teams könnten dann selbst entscheiden, ob sie ihr verfügbares Budget lieber in eine Diät oder in aerodynamische Entwicklung stecken wollen. "Wir müssen aber aufpassen, dass der Leichtbau nicht auf Kosten der Sicherheit geht. Ich habe da zum Beispiel Bedenken, was das Thema Aufhängungen angeht."

F1 als ungewollter Trendsetter

Ob Hamilton und Co. in naher Zukunft wieder ein Fahrgefühl wie in den Nuller-Jahren haben werden, darf also angezweifelt werden. Die F1 ist bei dieser Frage jedoch nicht allein. Denn beim Gewichtsdilemma, das Stilblüten wie minimalistische Lackierungen trieb, ist die Königsklasse keinesfalls eine Randerscheinung.

Neben der bereits erwähnten IndyCar (Gewicht auf Rundkursen: 739,4 kg) wurden beispielsweise auch Le-Mans-Prototypen (z.B. Ferrari 499P: 1.064 kg) jüngst schwerer. Wie in der F1 stehen hier Hybrid-Zusätze, Sicherheitskomponenten und der Sparzwang bei Materialien im Mittelpunkt.

Gleichzeitig steigen auch auf der Straße die Fahrzeuggewichte, selbst bei den kommenden Seriensportlern. Aber auch hier sind Rekorde längst keine Sache der Vergangenheit. Der Fortschritt ist also tatsächlich nicht aufzuhalten, nur scheint er anders als erwartet zu kommen.