- Knöpfe zum Klipsen
- Heute kein Raketenstart
- Endlich Kurven!
- Platz ist in der schnellsten Hütte
Bereits bei der Auffahrt zur A99 im Nordosten von München passiert’s. Der Gedanke, dass die ganzen Besserwisser aus diesem Internetz recht gehabt haben könnten, keimt auf. Warum? Weil der Xiaomi SU7 Max agil einlenkt, dabei verbindlich rückmeldet, auf diesen einen Versatz im Belag mit seinem Fahrwerk ordentlich anspricht – und nicht zuletzt, weil der dich richtig gut hinterm Lenkrad positioniert. Nein, nicht Sportwagen-tief wie im Porsche Taycan, dem die Limousine aus China es laut eben jenen Internet-Schlaubi-Schlümpfen ja zeigen soll, nur, weil der SU7 Max in 2,8 Sekunden von null auf 100 km/h beschleunigen soll.
Aber du sitzt ergonomisch korrekt hinter dem angenehm griffigen, weil kleinen Lenkrad mit nicht zu dickem Kranz. Angemessen tief für eine Limousine, ohne den störenden von-oben-herab-Blick auf die Instrumenten-Tafel. Die Sitze selbst packen mit den verstellbaren Seitenwangen fest zu, wirken bequem gepolstert und verfügen über einen weiten Verstellbereich. Einzig eine ausziehbare Oberschenkelauflage wäre schön. Vor dir: Ein kleines Informationsdisplay (7,1 Zoll), das sich beim Start des Xiaomi durch eine Drehbewegung zeigt, ähnlich wie beim Bentley Continental GT das Zentraldisplay. Das wiederum fällt beim SU7 mit 16,1 Zoll riesig aus, beherbergt nahezu die gesamte Bedienung mit einer Logik, die der gängigen, von Tesla begründeten Mode folgt. Also erfolgt beispielsweise die Einstellung von Lenkrad und Außenspiegel über Menüs auf dem Touchscreen und den Lenkradtasten. Und per virtuellem Schieberegler lässt sich die Rekuperationsleistung von Null bis 100 Prozent nach Belieben festlegen.
Knöpfe zum Klipsen
Lustig: Über das offizielle Zubehör-Programm vertreibt Xiaomi eine Leiste mit Tasten für die Bedienung der Klimaanlage sowie einem Dreh-Drücksteller für Lautstärke und Pause/Play, die unter den Monitor geklipst wird. Kein Zubehör, sondern serienmäßig: Die Lenkstockhebel. Offenbar halten die Chinesen sie für eine ausgereifte Erfindung; einer links für Blinker und Fernlicht, einer rechts für die Fahrstufen. Wer die Bedienoberfläche seines Smartphones nutzen möchte, erlebt, dass diese sich nach dem Koppeln über die gesamte Bildschirmfläche ausdehnt. Sehr schön, aber auch irgendwie erwartbar bei dem Automobil eines Unternehmens, das eben vorwiegend Smartphones herstellt. Wie dem auch sei: Gut gelöst! Denn nicht nur hier denkt Xiaomi mit. Um nämlich einem etablierten Wettbewerber wie dem Porsche Taycan die Rücklichter zu zeigen, reicht es nicht, einfach nur Leistung in die mit 4,99 Meter Länge, 1,96 Meter Breite und 1,46 Meter gar nicht mal so kompakte Limousine zu packen (eine 360-Grad-Kamera mit mehreren, gleichzeitig auf dem Monitor dargestellten Blickwinkeln hilft beim Einparken und Rangieren).
Sicher, 495 kW (673 PS) und 838 Nm schaden nicht, doch vor allem gilt es, diese nicht nur auf der Geraden, sondern auch in Kurven in Agilität zu Übersetzen. Eine Agilität, die der Fahrer beherrschen und damit auch genießen kann. Die Hardware-Voraussetzungen dafür stimmen schon mal: Vorderachse mit doppelten Dreiecks-Querlenkern, dazu eine Fünflenker-Hinterachse, adaptive Dämpfer, Zweikammer-Luftfederung, allerdings keine gelenkten Hinterräder. Doch jetzt erstmal: Ruhiges Gleiten, denn auf der A99 sagen die variablen Anzeigen gerade Tempo 120 an. Dementsprechend rollt der SU7 Max im Comfort-Modus dahin, obwohl "Range" eher angesagt wäre, denn zum Start der Ausfahrt beträgt der Füllstand des 101-kWh-Akkus nicht einmal 50 Prozent. Okay, dann eben schnell laden, schließlich gibt Xiaomi die maximale Ladeleistung mit 300 kW (bei 800 V) an und HPCs stehen um München herum genug, nun, herum. Geht aber nicht. Weil der Adapter für chinesische auf europäische CCS-Stecker fehlt.
Heute kein Raketenstart
Daher liegt das Ladelimit heute bei 22 kW AC, was in Anbetracht des vorgesehenen Zeitfensters und Arbeitspensums (Fahren, fotografieren, filmen) Faxen wie Sprint Start, Tempobolzen generellen, aber auch allzu engagiertes Kurvenfahren verbietet. Schon nach den ersten Zwischenspurts sinkt die Restreichweite von 248 km recht rasch, zumal die Längsdynamik weder im Sport- noch im Sport-Plus-Modus aus dem mittleren Geschwindigkeitsbereich so wirkt, als sei sie von einem anderen Stern. Womöglich muss sich aber die E-Mobilität selbst zuschreiben, dass ihre Nutzer abstumpfen, denn Leistung kommt ja praktisch frei Haus. In jedem Fall sprintet die laut Hersteller leer nur knapp zwei Tonnen schwere Limousine angemessen flott voran, nervt dabei nicht mit irgendwelchen künstlichen Sound-Animationen, bleibt wunderbar ruhig, sodass sich lediglich die vermeintlichen Windgeräusche an der strömungsgünstigen Karosserie ausmachen lassen. Fahrwerksgeräusche? Fehlanzeige, selbst bei kurzen Bodenwellen und Querfugen nicht, trotz der 20-Zoll-Räder (vorne 245er-, hinten 265er-Bereifung, Typ Michelin Pilot Sport EV).
Dann wieder: Tempolimit. Zeit, die adaptive Geschwindigkeitsregelung mit Spurführung auszuprobieren. Sie erlaubt maximal Tempo 130 – und mag nicht so recht. Obwohl kein Fahrzeug vorausfährt, will die Elektronik bei 95 km/h nicht weiter beschleunigen, fürchtet sich offenbar vor den Kurven und Steigungen der A8 in Richtung Irschenberg. Zudem mag sie sich nicht so recht entscheiden, wo genau nun die Fahrbahnmitte ist, tänzelt immer ein wenig hin und her. Letztlich äußert der SU7 seine Unzufriedenheit in Mandarin, schmeißt auf dem Monitor eine Warnmeldung in chinesischer Häuschenschrift aus. Ach ja: Bei dem Vorführwagen des Importeurs auto-china.com handelt es sich um die Ausführung für den chinesischen Markt, die 18 in diesem Jahr bereits an Kunden ausgelieferten sowie alle künftigen Modelle beherrschen auch Englisch. Und bekämen einen CCS-Adapter beigelegt, sagt der Importeur.
Endlich Kurven!
Na dann: Lieber runter von der Autobahn, Kurven suchen. Übrigens: Die Spreizung zwischen den verschiedenen Fahrmodi (zu den genannten vier kommen noch zwei individuell komponierbare) äußert sich vorwiegend in der Leistungsentfaltung, weniger in Fahrwerkshärte und Lenkungsdramatik. Insgesamt bleibt der SU7 Max immer auf der eher sportlich-verbindlichen Seite, ohne es zu übertreiben, weder in die eine noch in die andere Richtung. So fegt er dann auch mit großem Engagement durch die ersten Biegungen, liefert über Fahrwerk und Lenkung zuverlässige, nie nervige Rückmeldung über Gripniveau und Fahrbahnzustand, erlaubt hohe Querbeschleunigung bei guter mechanischer Traktion.
Doch wenn du ihn jetzt forderst, mal sacht in Richtung Grenzbereich schielst, merkst du, wie zunächst Grip und Rückmeldung von den Vorderrädern ins Nichts diffundieren, kurz darauf dann Leben ins Heck kommt; im Comfort-Modus auf eine ausgeprägtere, je nach Fahrer womöglich erschreckendere Art und Weise als im Sport-Modus. Gut möglich, dass sich Xiaomi hier Abstimmungsarbeit und damit Entwicklungszeit gespart hat. Und die Bremse? Seit dem Videoclip, in dem sein serienmäßiger SU7 auf einer Rennstrecke in China wegen Bremsversagen in der Streckenbegrenzung endet (mit einem aus der Verankerung gerissenen Fahrersitz), erreichte der Wagen in diesem Internet noch eine zweite, andere Popularität. Doch ein echter Bremsen-Belastungstest war im Rahmen dieser Ausfahrt nicht möglich. So lässt sich lediglich sagen, dass die Brembo-Bremse vor allem mit einem verlässlichen Pedalgefühl und einem recht kurzen Pedalweg arbeitet. Passt also so weit.
Platz ist in der schnellsten Hütte
Jetzt aber: Laden, mit 22 kW. Und dabei noch eben probieren, ob der Xiaomi SU7 auch im Fond passt. Tatsächlich kommst du selbst mit 1,92 Meter Körpergröße ordentlich unter, blickst durch das riesige, dunkel getönte Panoramadach in den weiß-blauen-Bayernhimmel. Ob ihm Kühlfach, dass sich in der vorderen Mittelkonsole befindet und zur Rücksitzbank hin öffnet, wohl ein Helles befindet, alkoholfrei natürlich? Nein, ein stilles Mineralwasser, immerhin. Wenn ein paar Kästen davon im SU7 Platz finden sollen, wird’s im Kofferraum wohl schnell eng. Weniger wegen der 517 Liter Volumen, sondern eher wegen der engen Öffnung, denn wie der Porsche verzichtet auch der Xiaomi auf eine große Heckklappe. Und auf Variabilität, denn selbst eine Durchreiche fehlt.
Die Rücklehne klappt im Verhältnis 1⁄3 zu 2⁄3 – fertig. Spätestens dabei stößt du ja auf größere Qualitäts- oder Verarbeitungsnachlässigkeiten. Nicht aber hier. Klar, edel geht anders, aber das beherrscht so ein Taycan ebenfalls nur bedingt. Erst recht gemessen am Preis. Was der SU7 Max kostet? auto-china.com ruft 69.900 Euro auf, inklusive 3 Jahren Garantie (8 Jahre oder 160.000 km auf die Batterie). Werkstätten? Xiaomi will mit 1700 freien Betrieben in Deutschland zusammenarbeiten, eine Übersicht dazu existiert allerdings noch nicht. Zum Vergleich: Ein hinsichtlich der Leistung passender Taycan GTS kostet mindestens 148.800 Euro. Spätestens jetzt sieht das Internet das Ende der etablierten Hersteller als gesichert, auto motor und sport wie immer frühestens nach einem ausführlichen Test.