Pflastersteine, auf denen schon seit Jahren kein Auto mehr unterwegs war, und Klinkergewölbe wie aus einem Edgar-Wallace-Film: Der piekfeine Range Rover Evoque wirkt in dieser Umgebung ganz besonders frisch. Land-Rover-Chefdesigner Gerry McGovern scheint ihn aus einem Stück geschliffen zu haben, so glatt und stimmig steht er da. Wie beim Vorgänger spannen Dach und Gürtellinie ein nach vorn geöffnetes V auf – das markante Erkennungszeichen des Evoque. Und wie bei seinem größeren Vorbild Velar sind die Türgriffe jetzt versenkt, ziehen sich nach dem Türenschließen beim Losfahren mit einem hörbaren Klacken in die Karosserie zurück. Vorne und hinten blinzeln die Leuchten aus schmalen LED-Schlitzen und am Heck fällt auf, dass hinter den kleinen Gittern rechts und links vom Diffusor keine Endrohre sitzen – die biegen sich vorher nach unten weg. Gefakte Abgasanlagen-Enden greifen gerade um sich, besonders VW und Audi sind ganz groß darin.

Den Innenraum hat Alan Sheppard gestaltet. Er spricht gut Deutsch, weil er jahrelang die Innenräume für Rolls-Royce gemacht hat und während dieser Zeit beim Mutterkonzern BMW in München saß. Sheppard macht es nach wie vor riesigen Spaß, noble Innenräume zu entwerfen, seiner Meinung nach schafft man nur mit einem schicken Interieur die Kunden dauerhaft zu erfreuen und zu binden. Finanziell bewegt sich Sheppard an der ganz langen Leine, Land Rover begrenzt seine Ideen nicht mit einem knappen Budget. Und so ist hier drinnen alles ähnlich stylisch und hochwertig wie beim Velar, allerdings gibt es einen deutlichen Unterschied: Im Evoque wählt der Fahrer die Gänge per Hebel und nicht mit einem großen Drehknopf. Der Ausblick nach hinten scheint wegen des sich tief nach unten ziehenden Dachkanten-Spoiler noch eingeengter als beim Vorgänger – aber dagegen hilft clever positionierte Technik: Eine Kamera sitzt in der Haifischflossen-Antenne auf dem Dach und projiziert ihr Bild auf Wunsch in den Innenspiegel. Das Bild ist hochauflösend, sehr hell und lässt sich gut erfassen – bei Außenspiegelkameras haben wir hingegen schon zweischneidige Erfahrungen gemacht. Die Außenspiegel des Evoque sind klassischer Bauart und bilden das Geschehen neben dem Auto großflächig ab.

Nächster Schritt in der Kameratechnik
Vorne gibt es auf den bequem-sportlichen Sitzen genügend Platz auch für große Menschen, hinten sind die wegen des verlängerten Radstandes zwei Zentimeter Knieraum-Gewinn spürbar, aber das zum Heck hin abfallende Dach sorgt bei Sitzgrößen für Haarkontakt. Die Sitze können nicht nur mit Leder, sondern auch mit einem Wollmischgewebe mit aus Plastikflaschen zurückgewonnenem Kunststoff oder einem auf Eukalyptus-Fasern basierenden Stoff bezogen werden. Möchte das jemand? Eher selten: In der Praxis ordern die meisten Land-Rover-Kunden nach wie vor Leder – Wollstoffe vom dänischen Spezialisten Kvadrat gibt es schließlich als Option beim Velar seit dessen Markteinführung im September 2017.
Ganz besonders stolz ist Land Rover auf die im Range Rover Evoque eingesetzte Kameratechnik. So verschwindet der Motorraum auf Knopfdruck – zumindest im zentralen Infotainment-Bildschirm. Das Bild der unten in den Außenspiegel nach vorne ausgerichteten Kameras sowie das Bild der Frontkamera rechnet das Ground-View-System zu einem 180-Grad-Bild um. Diese Ansicht wird gespeichert und je nach Radumdrehung virtuell unter den Vorderwagen geschoben. Wir haben es in den Londoner Eisenbahnkatakomben an einem Schienen-Parcours ausprobiert: Langsam und unter perfekter Einweisung eines Helfers an die Schienen heranfahren und dann die kleinen Schienenrampen in Angriff nehmen. Als Ungeübter schaut man lieber raus zum Helfer als zum künstlichen Monitor-Bild. Aber dank hineinprojizierter Vorderräder lässt sich dort die Spurweite gut abschätzen und das Hindernis halbwegs anpeilen. Ein wenig verwunderlich ist, dass die virtuellen Räder im Bild immer 20 Zentimeter über den Schienen schweben – aber daran gewöhnt man sich und beim nächsten Facelift ist das vielleicht schon wegprogrammiert. Und wenn es nur darum geht, hohe Borsteine oder steile Rampen im vorderen toten Winkel zu erkennen, hilft das System enorm.

Wasserfahrt
Wir kriechen mit unserem Evoque weiter durch die Katakomben über steile Anstiege und Flächen mit heftiger Seitenneigung – nichts davon ist eine Herausforderung für die gut abgestimmte Technik. Sowohl der Si4 mit 300 Benzin-PS als auch der Td4 mit 180 Diesel-PS machen sich laufruhig und kräftemäßig souverän an die Arbeit, die aufgefrischte Neungang-Automatik schaltet dabei unmerklich. Und so schleichen wir eine steile Rampe hinauf, sehen nur noch die Backstein-Decke und den ausgestreckten Zeigefinger am ausgestreckten Arm des Einweisers. Oben angekommen erkennen wir, das der Helfer vor uns einen harten Job hat: Er trägt eine Wathose. Hinter ihm geht es steil bergab – direkt in einen glucksenden Pool. Der Mann stürmt unerschrocken ins ungeheizte Nass, wir schließen die Seitenscheiben und fahren artig hinterher. Kontrolliert und ruhig taucht der untere Teil des Evoque in den Pool, 60 Zentimeter Wattiefe sind zehn mehr als beim Vorgänger. Von heißen Motorteilen erzeugter Wasserdampf steigt in kleinen Wolken auf, während wir in diesem entrückten Pool in Londoner Backsteinkatakomben nach links abbiegen und das Gewässer über eine Metallgitter-Rampe rutschfrei verlassen. Die Poolwellen beruhigen sich, der Wathosen-Mann im Rückspiegel wird immer kleiner.