Porsche 935 im Fahrbericht

Porsche 935 im Fahrbericht
Mit dem 700-PS-Porsche über die Rennstrecke

Porsche 935, Exterieur
Foto: Porsche

Noch ein paar mehr Siebener gefällig? Bitteschön: Die gegenüber der Basis 911 GT2 RS um 32 Zentimeter verlängerte Karosserie des neuen 935 soll an jenen aus dem Jahr 1978 erinnern, Spitzname „Moby Dick“, für Le Mans 750 PS stark und 366 km/h schnell. Weiter geht’s: Die Bohrung des 3,8-Liter-Sechszylinder-Triebwerks beträgt 77 Millimeter.

Eben dieses Aggregat brüllt dir nun ins Genick, eben, über der Bodenwelle in der langen Linkskehre, die auf die Start-Ziel-Gerade mündet, kippte seine Stimme, da der kurzeitige Traktionsverlust die Drehzahl bei 7.200/min in den Begrenzer schubste. Jetzt bassbläserbrüllt der Boxermotor aus den exaltierten Doppelendrohren die riesige Haupttribüne zusammen, 240, 250, 260 km/h, runterbremsen, vom fünften in den vierten Gang schalten, einfach an der Carbon-Wippe am Motorsport-typischen Lenkrad-Fragment ziehen.

Pottwal trifft zorniges Rindvieh

Porsche 935, Exterieur
Porsche

Eine Zwischengas-Salve peitscht in Richtung Tribüne, der 935 biegt ab, eher gemäßigt stürmisch denn wüst, vielleicht fehlt den frischen Slicks noch Temperatur. An was es nicht fehlt: Leistung. Der Turbomotor beißt schon wieder zu, plustert sich mit bis zu 1,55 bar Ladedruck auf, für den kurzen aber heftigen Anflug durch die Schikane auf die nächste Rechtskurve. Die geht noch im vierten problemlos, ja nun, bei einem maximalen Drehmoment von 750 Newtonmeter nicht wirklich überraschend, zumal die Masse von rund 1,4 Tonnen in etwa so viel Widerstand bietet wie ein morschiger Weidezaun einem zornigen Rindvieh.

Die Strecke übrigens leistet dem sandigen Untergrund in dieser Region, gelegen zwischen Berlin und Dresden, zunehmend geringeren Widerstand, der Asphalt wellt sich gerne, gerne dort, wo du es eigentlich nicht gebrauchen kannst. Beispielsweise direkt im Scheitelpunkt der engen Linkskurve, die dich auf die Gegengerade herauskatapultieren sollte. Kurzer Schluckauf, die Regelsysteme greifen ein, halten die Leistung eine Idee zu lange zurück, doch eben in jenem Moment, als du die ESC-off-Taste suchst (sitzt eigentlich recht präsent dort, wo sonst der Navi-Monitor wohnt), entleibt sich der Boxermotor wieder. Keine Zeit für Tasten-Spielereien. Sonst raspelst du vielleicht ein Teil des lackierten Kohlefaserkleides an der Streckenmauer ab. Unschön. Wie gesagt, 77 Exemplare, jedes davon 701.948 Euro teuer.

Keine Traktionsprobleme

Vierter Gang, fünfter Gang, das starr aufgehängte Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe jongliert in irrem Tempo mit seinen Zahnradpaarungen. Wo war jetzt noch der nächste Einlenkpunkt? Im hinteren Teil der Strecke gibt es vor allem von einem besonders viel: von nichts. Irgendwie fehlen Orientierungspunkte. Beschließe so abzubiegen, dass der 935 über den unmotiviert ausfransenden linken Curb schießt, dabei ziemlich in Bewegung, sich aber schnell setzt, so beim Umlenken in die nächste Rechts stabil bleibt. Dann eine längere Links-180-Grad-Kurve, unter Last wieder leichtes Untersteuern, sie hätten ihn schon noch ein bisschen zuspitzen dürfen, den Wahnsinns-Elfer.

Aber nun gut, so muss sich niemand wirklich vor ihm fürchten. Vielleicht erhöht das ja auch die Chancen, dass die 935er von ihren Besitzern auch mal laufen gelassen werden und sich nicht in der Sammler-Garage mit anderen Supersportwagen rein theoretische Helden-Geschichten erzählen müssen. Und Porsche hilft seinen Kunden sicher, die für sie adäquate Fahrwerksabstimmung zu finden.

Die nächste Gerade. Links vom Cosworth-Motorsport-Kombiinstrument tickt die Nadel des Sport Chronos unaufhörlich, rechts davon im Prinzip die gleiche Uhr, umfunktioniert zur Ladedruckanzeige. Nette Idee. Wieder eine breite, schnelle 180-Grad-Kehre. Platz bleibt hier genug für die 2,03 Meter breite Karosserie. Herausbeschleunigen. Traktion? An der Antriebsachse: Etwa soviel wie die Produktionsmenge an Spätzle aller baden-württembergischer Haushalte. Also erheblich.

Bremskraft durch Muskelkraft

Porsche 935, Exterieur
Porsche

Zunächst verabschiedet sie sich an der Vorderachse, lässt sich ein bisschen über Lastwechsel zurückholen. Mehr Biss wäre aber dennoch schön. Stichwort beißen: Die Bremse. Der 935 ankert vor der nächsten Links, die Wadenmuskulatur verhärtet sich. Bremskraftverstärker? Nicht hier. Waagenbalke für die Bremskraftverteilung – ja. Der Porsche bleibt hier sehr stabil, sehr sicher. Du beginnst, ein bisschen mit der rasanten Rarität zu spielen, fühlst dich wohl, eingeklammert vom Schalensitz, festgezurrt von den Sechspunktgurten, eingerahmt eingeschweißten Sicherheitskäfig. Über dir: Eine nach FIA homologierte Dachluke, wenn dir nach einem Crash die Rettungskräfte den Helm abnehmen müssen.

Gut, so wild willst du es natürlich nicht treiben, auch wenn du nun den 935 mutig vor der Einfahrt in die Boxengasse in die enge Rechts wirfst, das lange Heck leicht wird, die Lampen der Regelelektronik weibisch-violett aufleuchte. Ja, ich zahle gerne in die Chauvi-Kasse ein. Vielleicht sollte ich doch…? Nein, ich schalte das System nicht ab. Versuche stattdessen so zu fahren, dass es nicht anspringt. Nagele voll über die fiese Bodenwelle in Richtung Start-Ziel. Wieder schreddert der Motor in den Drehzahlbegrenzer, alle Lampen leuchten. Bei 7.200/min. Die siebte Runde beginnt. Und damit auch die letzte.