Polestar 1: Erste Fahrt im heißen Schweden

Polestar 1
:
Erste Fahrt im Luxus-Hybrid-Volvo

© Polestar 10 Bilder

Mit dem Polestar 1 kommt das erste Auto der neuen Elektro-Submarke von Volvo auf den Markt. Mit Hybridantrieb, 609 PS und 1.000 Nm Drehmoment. In der Toskana durften wir zum ersten Mal hinters Lenkrad. Wie’s war? Lesen Sie selbst!

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Genau genommen heißt er Alpha Ursus Minoris, ist 430 Lichtjahre von der Erde entfernt und ist ein Dreifach-Sternesystem im Sternbild des Kleinen Wagens. Weil der Stern scheinbar ziemlich genau in der nördlichen Verlängerung der Erdachse sitzt, wird er gemeinhin Polarstern genannt: Polestar. Auf dem Auto steht der Name freilich nicht, nur ein Sternensymbol vorn und hinten weißt auf den Markennamen hin. Er sieht ohnehin aus wie ein Volvo, die T-förmigen LED-Leuchten vorn, die Lampen hinten, die P 1800-inspirierte Dachlinie, unverkennbar Volvo.

Der Eindruck setzt sich im Innenraum fort, Instrumente, Bedienung, Lenkrad ­– man könnte auch in einem sehr flachen S90 sitzen. Das Interieur ist zudem sorgfältig verarbeitet, auch das sehr volvig. Die Fahrwerksabstimmung, hat Polestar CEO-Thomas Ingenlath versprochen, die würde es so bei einem Volvo nie geben.

© Christian Bittmann / Polestar

609 PS und 1.000 Nm treiben den Schweden nach vorn.

Von Florenz gen Süden

Den Aufwand, den Polestar bei der Radaufhängung des 1 treibt, natürlich ebenfalls nicht. Die passiert auf der SPA-Plattform der großen Volvo-Modelle, als Dämpferelemente dienen feinste Öhlins-Komponenten, manuell einstellbar wie bei einem Rennwagen. Die vorderen Elemente lassen sich über zwei Einstellrädchen im Motorraum verstellen, bei den hinteren wäre das Mitführen eines Rangierwagenhebers hilfreich. Wir belassen es bei der werkseitigen Einstellung, zehn Klicks vorn und neun hinten, heißt es.

Die Straßen in der Toskana sind ja nicht immer topfeben, der Polestar rollt durch Florenz nach Süden, vorbei an der Porta Romana, eine kleine Horde Vespas umschwirrt den großen Wagen, ein Twizy flaniert vorbei, gefolgt von einem türkisfarbenen Fiat 500 Nuova, Bilderbuch-Italien. Bis auf das Wetter, es regnet in Strömen.

© Polestar

Die rein elektrische Reichweite liegt bei 125 Kilometern (WLTP).

Bis zu 1.000 Nm für den Vortrieb

Der Regen folgt uns aus der Stadt in die Hügel in Richtung Poggio und Chianti, die Wolken hängen dicht über den Bergen und Nebelfetzen ziehen durch die Täler. Da trifft es sich gut, dass im Polestar alle vier Räder angetrieben werden, denn der Grip auf den toskanischen Landstraßen ist so wechselhaft wie die Spielstärke der italienischen Fußball-Nationalmannschaft: mal Weltklasse, mal praktisch nicht vorhanden.

Das gibt dem komplexen Antriebssystem des Polestar jedenfalls viele Gelegenheiten zu zeigen was es kann. Immerhin gibt es ja 448 kW und 1.000 Nm in Vortrieb zu verwandeln, keine leichte Übung. Die 309 PS des Zweiliter-Benziners sowie bei Bedarf zusätzliche 52 kW des Startergenerators werden ausschließlich auf die Vorderräder losgelassen, hinten kommen zwei Mal 85 kW der beiden Elektromotoren hinzu. Die E-Maschinen an den Hinterräder führen freilich kein Eigenleben, sie sind über ein Planetengetriebe miteinander verbunden. So kann die Vortriebskraft wahlweise zu dem Rad mit der besseren Traktion geleitet werden oder ein Torque Vectoring-Effekt erzeugt werden.

Polestar 1 1:58 Min.

Höllisch vorwärts – auch ohne Faustschlag

Klingt kompliziert, im Alltag merkt man wenig davon. Nur ab und zu scharren die Vorderräder kurz über den nassen Asphalt, bevor der Grip wieder an allen vier Rädern zupackt. Dann ist man meist schon schneller unterwegs, als es die Polizei in Italien (oder sonstwo) erlaubt. Der kontinuierliche Schub aus den drei Antriebsquellen fühlt nicht ganz so faustschlagartig an wie in einem Taycan oder Tesla, höllisch vorwärts geht es dennoch.

Die Landstraße kurvt zwischen Weinbergen und Pinienhainen hindurch, wenn die Sonne schiene, könnten wir einen Toskana- oder Polestar-Kalender fotografieren. Der große Gran Tursimo schwingt locker mit, das Gewicht (2.350 kg) kaum zu spüren. Das liegt zum Teil an der sehr exakt und feinfühlig agierenden Lenkung. Nicht zu leichtgängig dient sie mit leicht ansteigenden Haltekräften als Querbeschleunigungssensor, das passt. Es passt ebenso, wenn es mal was zu bremsen gibt: Sechskolbensättel von Akebono packen vorn ziemlich gnadenlos zu. Sie bremsen den Polestar auf den Punkt zusammen, heftig und bestens dosierbar.

© Polestar

Sechskolbensättel von Akebono packen vorn ziemlich gnadenlos zu. Sie bremsen den Polestar auf den Punkt zusammen, heftig und bestens dosierbar.

Auf Wunsch fährt er rein elektrisch

Das Volvo-typische Fahrmodus-Rädchen ist ebenfalls an Bord, da kann der Polestar-Pilot zwischen fünf Optionen wählen, von denen der Hybrid-Modus, in welchem sich der Antrieb selbst die gerade passende Kombination von Vortriebsmöglichkeiten sucht, die entspannteste ist.

Natürlich lässt sich der Polestar auf Wunsch rein elektrisch fahren. Dann wird er höchstens 160 km/h schnell, der Vierzylinder tritt vorübergehend in den Ruhestand und der Saft im 34 kWh-Akku reicht dann nach WLTP 125 km weit. Der lässt sich an der Steckdose nachladen: mit bis zu 11 kW am dreiphasigen Wechselstrom oder bis zu 50 kW mit dem Gleichstrom-Schnelllader. Der gemixte WLTP-Verbrauch beträgt übrigens 0,7 Liter/100 km oder 15 g CO2/km.

© Polestar

Da steigt man nur ungern wieder aus. Auch weil das Polestar 1-Fahren vermutlich ein seltener Spaß bleiben wird. Bekanntlich will Polestar jährlich im chinesischen Chengdu nur 500 Exemplare bauen, drei Jahre lang.

Gewohnte Volvo-Qualität und guter Komfort

Untergebracht sind die Batteriepacks im Chassis-Mitteltunnel sowie aufrecht zwischen Fahrgast- und Kofferraum. Mit einem Sichtfenster inszeniert der Polestar die Elektrotechnik, da sind orange Stecker und dicke Kabel zu bewundern. Gut gemeint, doch das wirkt etwa so aufregend, wie ein Blick ins Schaufenster eines Elektro-Großhandels. Viel besser wäre es, hätte man eine Durchlademöglichkeit vorgesehen. Denn der Kofferraum ist äußerst knapp bemessen. Er fasst gerade mal 143 Liter, und auch das nur dann, wenn man das Ladekabel-Gedöns daheim lässt. Ein Golfbag lässt sich da vielleicht reinzwängen, viel mehr nicht.

Apropos knapp: Der Platz im Fond reicht kaum für Erwachsene, der Zustieg ist beschwerlich, zumal die goldfarbene Gurte der Vordersitze im Weg sind. Reden wir lieber über Dinge, die der Polestar 1 besser kann: federn etwa. Denn der Federungskomfort zeigt sich trotz der mächtigen 21-Zoll-Räder beachtlich. Und die Sitze haben die gewohnte Volvo-Qualität.

Innerhalb von drei Jahren nur 500 Fahrzeuge

Da steigt man nur ungern wieder aus. Auch weil das Polestar 1-Fahren vermutlich ein seltener Spaß bleiben wird. Bekanntlich will Polestar jährlich im chinesischen Chengdu nur 500 Exemplare bauen, drei Jahre lang. Die meisten davon werden in China bleiben. Wie viele nach Deutschland kommen werden, ist unklar. 155.000 Euro soll er jedenfalls kosten, inklusive Vollausstattung mit alllem, was bei Volvo gut, sicher und teuer ist.

Fazit

Top-Fahrleistungen, interessanter Antrieb, wunderschönes Design – der Polestar 1 hat einiges zu bieten. Ein paar Schwächen hat er natürlich ebenfalls, den viel zu kleinen und nicht variablen Kofferraum etwa. Dennoch: ein eigenständiger, sportlicher Gran Turismo mit reichlich Faszinationspotenzial.

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