Wenn man die Polestar-Leute ärgern will, dann reduziert man den Polestar 1 beharrlich auf die skalierbare Produktarchitektur (SPA) von Volvo, die sie zum Beispiel auch für den S90 benutzen. Und theoretisch eben auch für den Polestar 1. Aber eben nur sehr theoretisch. In der Praxis querbeschleunigt dir der knapp zwei Meter breite Nordmann in der ersten Kurve jeden Rest von Volvo-Behäbigkeit aus der Rübe. Vor allem dann, wenn Polestar-Cheftester Joakim Rydholm hinterm Steuer sitzt, um mir die Teststrecke im schwedischen Hällered zu erklären.
Vorne zieht's, hinten schiebt's

Wobei die Konversation nach den üblichen Höflichkeiten schnell in einen Monolog abdriftet. Rydholm redet. Du versuchst, das Atmen nicht zu vergessen, während er im strömenden Regen mit 170 Sachen über eine Kuppe pflügt, hinter der ein extrem humorloser Linksknick wartet. Weil vorne ein doppelt aufgeladener Vierzylinder (309 PS) zieht und hinten zwei Elektromotoren (2x116 PS) schieben, kommt die Fuhre auf ein Drehmoment von 1000 Newtonmetern. Das muss man erst mal veratmen. War da nicht dieses Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung an der Einfahrt? 80 km/h. Theoretisch.
Aufwendiges Gesamtpaket

Praktisch bleibt der Polestar von all dem, was da jetzt eigentlich physikalisch vor sich gehen sollte, denkbar unbeeindruckt. Das liegt selbstredend an der Streckenkenntnis von Joakim Rydholm. Und am technischen Set-up, das sie dem Polestar 1 mitgegeben haben. Die Basis bildet die erwähnte um 32 Zentimeter gekürzte SPA-Plattform, speziell für Polestar wurde das Doppel-Elektromotorensystem an den Hinterrädern entwickelt. Die beiden jeweils 116 PS starken Elektromotoren sind über ein Planetengetriebe miteinander verbunden, werden aber unabhängig voneinander geregelt. Das erlaubt das sogenannte Torque Vectoring, also die aktive Drehmomentverteilung zwischen den einzelnen Rädern. Und das fühlt sich dann in der Praxis deutlich beeindruckender an, als es sich in der Theorie liest. Selbst in weniger fachkundigen Händen rauscht der Polestar 1 sehr viel agiler ums Eck, als man das so einem Edel-Brummer zutraut. 2,35 Tonnen bringt das Coupé auf die Waage. Nur, muss man an dieser Stelle sagen. Ohne die aufwendige Carbon-Karosserie wären das noch mal mindestens 240 Kilogramm mehr.
Keine Alibi-Batterie

Ganz entscheidend für den Spaß ist die Tatsache, dass dem Trio aus Vierzylinder (309 PS), Startergenerator (68 PS) und doppeltem E-Motor (232 PS) nicht schon nach wenigen Kurven der Saft ausgeht. Anders als bei den meisten Plug-in-Hybriden ist im Polestar 1 nämlich nicht nur eine Alibi-Batterie für wenige Kilometer verbaut, sondern ein 34 kWh großes Akkupaket von LG Chem, das im ehemaligen Kardantunnel und über der Hinterachse sitzt. Damit schafft der Polestar 1 im Pure-Modus 150 rein elektrische Kilometer – oder im "Messer zwischen den Zähnen"-Betrieb deutlich mehr Runden auf dem Testgelände, als so ein Durchschnittsmagen gut findet. Ist der Akku leer, kann am Schnelllader mit bis zu 60 kW nachgezapft werden.
Adaptive Dämpfer von Öhlins
Auffällig: Obwohl für die erste Ausfahrt noch Vorserienfahrzeuge zum Einsatz kommen, wirkt das Fahrwerk bereits sehr fertig. Verbindlich-sportlich, aber immer mit einem Rest Komfort. Das liegt auch am neuen, vom Spezialisten Öhlins entwickelten, aktiv gesteuerten Dämpfersystem (Continuously Controlled Electronic Suspension – CESi). Dabei verfügt jeder Stoßdämpfer über ein elektronisches Ventil. Es überwacht permanent die Befehle des Fahrers, passt die Dämpferhärte innerhalb von zwei Millisekunden an die neuen Bedingungen an. Wem das gewählte Set-up nicht reicht, der kann die Dämpfer manuell in 22 Stufen verstellen. Nicht per Knopfdruck, sondern unter der Motorhaube. "Die Verstellung übers Cockpit fühlte sich zu künstlich an", erklärt Rydholm. Künstlich mag er nicht. Aus einem guten Grund. Immerhin hat er anderthalb Jahre lang jeden Arbeitstag in einem Polestar-1-Prototypen verbracht. Und die waren alles, nur nicht luxuriös eingerichtet.
Neues Werk in China
Abgesehen vom roten Not-Aus-Knopf auf der Mittelkonsole wirkt auch die Einrichtung schon sehr serienfein. Hier ist der Polestar dann tatsächlich fast ein Volvo. Das Cockpit findet sich in der Form auch in S90 und V90. Was Materialanmutung und Verarbeitungsgüte angeht, versprechen sie bei Polestar allerdings noch mal einen deutlichen Sprung. Klingt nach feinem schwedischen Handwerk, kommt in der Serie aber tatsächlich aus China. Alle Polestar 1 werden im neuen Werk in Chengdu gebaut, für 155.000 Euro ist man im Spiel. Theoretisch. Praktisch werden nämlich nur 1500 Fahrzeuge entstehen, 500 Stück pro Jahr.