Das ist ja mal praktisch: Mercedes stellt ein neues Modell vor und wir können’s gleich bei uns in der Redaktionsheimat fahren. Also auf zum Daimler, einen ersten Schlag an Infos einsammeln und dann ab auf bekannte Testrouten. Bevor wir losfahren noch eine Standortbestimmung beim Preis: Die mittellange 5,14-Meter-Version gibt’s ab 70.631 Euro (5,37 Meter: 71.501 Euro), eine V-Klasse mit 163-PS-Diesel und gleichlanger Karosserie kostet etwa 50.000 Euro.
Zu viel Drehmoment für die Vorderachse
Los geht’s mit dem 204 PS starken EQV quer durch die Stadt: viel anfahren, viel bremsen, viel zwischenbeschleunigen – Alltag also. Das Anfahren klappt dank sauber einsetzenden 362 Nm geschmeidig, wegen des Vorderradantriebs anfangs aber wenig dynamisch, da es sonst regelmäßig aus den Radkästen qualmen würde (V-Klassen mit Verbrenner haben Hinter- oder Allradantrieb; beides ist aber für den EQV nicht geplant). Für zügige Zwischensprints hat der Elektro-V genügend Schmackes – wobei "Sprints" vielleicht etwas hochgegriffen ist: Die Power reicht, um sich innerorts agil bewegen zu können. Über Land passt der Vortrieb auch, für Überholvorgänge braucht‘s dann allerdings reichlich Platz.

Die Bremspedalabstimmung erfordert zunächst eine Eingewöhnungsphase, denn ein gutes Stück des initialen Pedalwegs bietet nur einen geringen und wenig definierten Widerstand, der beim Abmischen von Rekuperationsverzögerung und mechanischer Bremse ab einem gewissen Punkt recht stark zunimmt. Mit der Zeit kommt man gut zurecht, richtig intuitiv wird’s nach einem Tag Übung aber nicht – speziell, wenn man plötzlich abbremsen muss, wird das Anhalten eher hakelig. Technisch interessant: Der Bremskraftverstärker arbeitet mit einem Vakuum, das über eine Pumpe bereitgestellt wird.
Zahlreiche Rekuperationsmodi
Wer beim Fahrpedallupfen gerne schon eine sehr kräftige Verzögerung haben möchte, wählt den stärksten der fünf Rekuperationsmodi, in dem mit bis zu -2 m/s² gebremst wird. Am anderen Ende der Modi wird beim Lupfen gar nicht rekuperiert, der Wagen rollt also deutlich weiter, als es mit dem herkömmlichen Motorbremsmoment eines Verbrenners der Fall wäre.
Ziemlich clever ist der automatische Modus, der auch ohne eingestellte Navi-Route einiges berücksichtigt. Auffällig ist sofort, dass die Rekuperation spürbar stärker wird, wenn Fahrzeuge auf die eigene Spur ausscheren. Aber auch das gültige Tempolimit wird berücksichtigt: Bergab hält der "D-Auto"-Modus die Geschwindigkeit meist so, dass keine Fotos nach Hause kommen (etwa 44 bis 45 km/h in einer 40er-Zone). Aber Vorsicht: Meistens heißt nicht immer, 47 km/h können hier im Kessel auch vorkommen – wer das vermeiden will, muss den Tempomat bemühen. Dann hält der EQV das Tempo absolut punktgenau, ohne irgendwelche Verzögerungsruckler.
Platz noch und nöcher
Da der EQV laut Daimler außer einer geringfügig höhergelegten Karosserie keinerlei Praxisnachteile hat, bleiben die Platzverhältnisse vollständig erhalten. Die sind zumindest in der sechssitzigen Konfiguration grandios: Dann hat jeder im Van ordentlich Beinfreiheit, die hinten Sitzenden sogar jeweils zwei am Sitz verstellbare Armlehnen plus viel Platz zu den Seiten. Was die Fondpassagiere noch haben? Da wäre ein Luftausströmer, Lesespot und Dachhaltegriff für jeden und zusätzlich eine Fond-Klimazone, wenn das Häkchen im Konfigurator gesetzt wird. Hinzu kommt ein zentraler Luftausströmer zwischen den beiden Vordersitzen und unterhalb des Sitzplatzes ganz hinten links: Wer dort sitzt, kann schon mal kalte Füße bekommen – oder auch heiße.
Wie gut die Heizung funktioniert, lässt sich bei 25 Grad Außentemperatur kaum beurteilen, die hervorragende Kühlleistung hingegen schon. Wobei Klimaanlagen- und Motorleistung per Eco-Modus beschränkt werden können: Nur das eine kann der rechte Fuß erledigen und das andere scheint nur in größter Reichweitennot überhaupt relevant.
Erstaunlich gelenkig
Über kurvige Landstraßen kann der EQV übrigens ziemlich anständig fahren. Dabei wankt er gar nicht so dramatisch, und bekommt unerwartete Geschwindigkeiten gebacken. Klar, so fährt schon deshalb niemand, weil die Reifen sofort den 2,8-Tonnen-Blues jaulen – aber es geht. Ganz ohne Angstschweiß.
Dabei hilft, dass das 400-Volt-Akkupaket inklusive Crashkäfig und Verkabelung mit rund 700 Kilogramm den Schwerpunkt nach unten drückt. Wobei die großen Glasflächen im Dach diesbezüglich kontraproduktiv sind, aber wie gesagt: Passt auch so wunderbar, außerdem freuen sich die Mitfahrer über die großartige Aussicht.
Wichtiger scheint ohnehin, dass die 100-kWh-Batterie (nutzbar: 90 kWh) im WLTP-Zyklus Reichweiten von circa 350 Kilometern ermöglicht. Und dass sie am Schnelllader mit 110 kW in etwa einer Dreiviertelstunde von zehn auf 80 Prozent geladen werden kann. Zuhause wird immerhin dreiphasiges Laden mit 11 kW unterstützt.

Van-übliches Knarzen? Ja, aber…
Der Vorteil einer Testfahrt in der Redaktionsheimat ist: Wir wissen, wo die völlig kaputten Straßen sind. Ergebnis? Nun ja, der EQV ist um Welten geräuschärmer als stark gebrauchte Flughafen-Shuttle-Vans, die oft klappern, scheppern und grundsätzlich wenig vertrauenserweckende Geräusche von sich geben. Über lange Flickenteppiche reicht die Verwindungssteifigkeit des EQV dann aber doch nicht für störgeräuschloses Fahren: Da knarzt es schon oft und ausgiebig, dafür klappert aber nichts. Auf der Habenseite steht, dass es um Stuttgart herum nur hin und wieder mal zu Geräuschen kommt. Außerdem rollt der Benz mit seinen Einkammerluftfedern ringsum für einen Transporter ziemlich komfortabel ab. Außerdem kann das Fahrwerk den Van bei Bedarf anheben.
Auf der Autobahn bleiben Knarzgeräusche aus, im Regelfall hörst du nur ein Ploppen, wenn die Reifen über eine Fuge rollen – der Motor macht keinen Lärm und die Windgeräusche halten sich für ein so riesiges Fahrzeug stark in Grenzen. Außerdem frei von hörbaren Vibrationen: Die für einen Van wirklich gute Burmester-Surround-Anlage, die sogar tiefe Töne recht ordentlich abspielt.
Daimler verlangt Vmax-Gebühr
Wieso Mercedes für die Anhebung der Höchstgeschwindigkeit von 140 auf 160 km/h 174 Euro verlangt, will nicht so recht einleuchten: Hardware-Unterschiede gibt’s keine. Also ist das sozusagen das AMG-Driver’s-Package für den Elektro-Van … oder so ähnlich. Wie dem auch sei: Das Tempo erreicht der EQV 300 jedenfalls recht zügig, nur bei längeren Bergaufpassagen kann es passieren, dass die Geschwindigkeit etwas absackt, weil dem Asynchronmotor zu warm wird (Dauerleistung: 95 PS). Eine Temperaturanzeige gibt es allerdings genauso wenig wie für die Batterie, wobei der Motor diese laut Mercedes nie so stark belasten kann, dass das Kühlsystem die Batterietemperatur nicht mehr im optimalen Fenster halten kann.
MBUX erleichtert den E-Auto-Alltag
Weil die Reichweite bei der hohen Geschwindigkeit zeitraffert, lässt man das mit der Höchstgeschwindigkeit ohnehin meist sein – aber wenn der nächste geplante Ladestopp ohnehin noch dicke in der Reichweite liegt, dann kann man ja mal, oder? Und fürs Laden hat Mercedes die Navi-Software richtig durchdacht aufgerüstet: MBUX kann nicht nur Ladestationen in der Nähe, auf der Route oder am Zielort rauskramen. In der angezeigten Liste zeigen Symbole sogar an, welche Ladesäulen dort stehen (bis 50 kW; 50 – 150 kW; über 150 kW) und wie viele davon gerade frei sind – nur in wenigen Fällen bleibt der Status grau. Eher bitter: Es gibt keine Filtermöglichkeit, um den Wust der Ladeeinrichtungen bis 50 kW auszublenden (via Mercedes-me-App soll das gehen). Auch gut: Mit laufender Naviroute kümmert sich der Benz alleine um die Ladestrategie.

Was sonst noch so in den Notizen steht? Gute Nachrichten für Shuttle-Fahrer: Wenn ein Fahrgast an den Hebeln der elektrischen Schiebetüren zerrt, wird über einen Widerstand sofort kommuniziert, dass die Türe die Aufgabe selbst im Griff hat. Außerdem gibt’s Apple CarPlay, allerdings nicht kabellos. Überraschend: Ausgerechnet der-E-Van von Daimler hat noch ein Zündschloss für den elektronischen Schlüssel – moderner Antrieb mit Retro-Zugangsberichtigung – eigentlich cool.
Mercedes EQV 300 lang | |
Grundpreis | 74.554 € |
Außenmaße | 5140 x 1928 x 1901 mm |
Kofferraumvolumen | 1030 bis 4630 l |
Höchstgeschwindigkeit | 140 km/h |
Verbrauch | 0,0 kWh/100 km |