Auf einer Skala von 1 bis Verkehrskollaps: Wie irre ist es, einen Fahrtermin in der Pariser Innenstadt zu verorten? Um ehrlich zu sein: GAC hätte sich für den Erstkontakt mit dem E-SUV Aion V etwas mehr Landstraße vornehmen dürfen. Aber vielleicht illustriert auch das besondere Spannungsverhältnis zwischen E-Auto aus staatlicher Fernost-Produktion und europäischer Großstadt die Ambitionen des Herstellers besonders gut.
Mangelndes Selbstbewusstsein kann man den Chinesen kaum vorwerfen. Wäre auch unangebracht, denn schließlich ist die Guangzhou Automobile Group einer der größten Autobauer des Landes – auch wenn man da im ersten Moment die eurozentristische Stirn runzeln mag. Mit der eigens für Elektrofahrzeuge gegründeten Submarke Aion will GAC im kommenden Jahr den europäischen Markt erobern. Zunächst in Portugal, Polen und Norwegen, wenig später auch in Deutschland (2026).
Bis zu 750 km Reichweite
Kurz zu den harten Fakten: Der Aion V ist ein 4,60 Meter langer Elektro-SUV mit Frontantrieb, der ausschließlich mit LFP-Akkus bestückt wird. 62, 75 oder 90 kWh sind im Angebot. Letztere Batterie soll eine Reichweite von bis zu 750 Kilometern ermöglichen – gemessen nach dem chinesischen CLTC-Zyklus. Zwei Motoren mit 150 oder 165 kW (204 oder 224 PS) stehen zur Wahl. Zur Ladeleistung gibt es bislang keine klaren Zahlen. Zwischen 260 und 370 Kilometer Reichweite sollen innerhalb von 15 Minuten in den Akku fließen. Im Schnitt (also nicht Peak-Ladeleistung) wären das zwischen 90 und 115 kW. Der Radstand von 2,77 Meter beschert auch den Fond-Passagieren komfortable Platzverhältnisse. Weniger komfortabel: das Beladen des Kofferraums mit hoher Ladekante.

Die hohe Ladekante schmälert den Belade-Komfort; die eingezogenen Radhäuser das Ladevolumen. Offizielle Angaben zum Platzangebot gibt es nicht.
Die eigentliche Sensation liegt allerdings in dem Umstand, dass dieses Auto, schon in der Basisversion umfangreich ausgestattet, auf dem Heimatmarkt umgerechnet zwischen 16.800 und 25.000 Euro (Topmodell) kostet. In Deutschland könnte der Aion V also durchaus unterhalb von 30.000 Euro angeboten werden und das wäre in diesem Segment eine Ansage. Bevor Sie das mutmaßen, übrigens nicht zulasten der Sicherheit. Sowohl in China als auch in Europa erreicht der Aion V fünf NCAP-Sterne. Der Akku hält zudem den GAC-Verantwortlichen zufolge selbst Pistolenbeschuss stand.
Cockpit im Tesla-Style
Die alles entscheidende Frage: Was bekommt der Kunde für sein Geld? Zunächst mal ein ansprechend kastig gestaltetes Fahrzeug mit großem Panorama-Glasdach, mindestens 18-Zoll-Felgen, schöner LED-Lichtgrafik und großem 14,6-Zoll-Display im Cockpit. Letzteres ist ausgesprochen aufgeräumt, erfordert aber in der Bedienung ein wenig Hingabe. Die Dreh-Drück-Regler auf dem Lenkrad in Kombination mit dem großzügigen Touchscreen in der Mitte erinnern unweigerlich an Tesla.

Die Cockpit-Gestaltung ist ansprechend, ebenso Verarbeitung und Materialien.
Bei unserer kurzen Testfahrt durch den Pariser Stadtteil Montparnasse bleibt allerdings wenig Zeit, um sich mit der Bedienung des Infotainment-Systems vertraut zu machen. Zu progressiv kreuzen Roller, Scooter und Fußgänger die Wege, sodass die Augen konzentriert auf der Straße verbleiben. Den leichten Lenkrad-Schiefstand mag man dem Fahrzeug im Vorserien-Status verzeihen. Schließlich verzeiht der Aion V seinerseits dank seines weichen Fahrwerks und gemütlicher Sitze der französischen Hauptstadt selbst das Verlegen von grobem Kopfsteinpflaster.
Ausstattung und Verarbeitung
Überhaupt durchquert der E-SUV das Verkehrsgetümmel reichlich unaufgeregt. Der Vortrieb schiebt ausreichend verbindlich mit deutlicher Spreizung im Sportmodus, die Übersichtlichkeit ist dank des würfeligen Designs gelungen. Einzig die etwas künstlich gestrafft wirkende Lenkung verzerrt das komfortable Gesamtbild durch ein unnötig starkes Rückstellmoment. Da es sich beim Testwagen allerdings um ein Vorserienfahrzeug ohne finale Abstimmung handelt, sollte diesem Eindruck kein abschließendes Urteil folgen.

Die Pariser Innenstadt durchquert der Aion V unaufgeregt. Die straffe Lenkung könnte noch etwas Feinarbeit vertragen, insgesamt liegt der Fokus nämlich ganz klar auf Komfort.
Die Verarbeitung sowie die Ausstattungsmerkmale vermitteln den Eindruck eines Fahrzeugs aus höherer Klasse. Chefdesigner Zhang Fan erklärt im Gespräch, dass Autos in China mit einem Fokus auf das Wohlfühlen im Innenraum entwickelt werden. Quasi als Teil des eigenen Lebensbereichs und nicht als Werkzeug für die Strecke von A nach B. An Bord ist ein gekühltes Fach in der Mittelkonsole, die Sitze legen sich auf Knopfdruck flach, falls den Insassen der Sinn nach einem Nickerchen steht. Für das E-Auto relevanter: die in allen Ausführungen serienmäßige Wärmepumpe. Assistenzsysteme verbaut Aion jede Menge, einzig der nackten Basisversion bleiben sie überwiegend vorenthalten. Damit dürfte zumindest diese Version kaum in Europa an den Start gehen.