Festhalten alle miteinander, die Leistungsspirale hat Fahrt aufgenommen, verwandelt sich durch die Fusion von Elektro- und Benzinmotoren allmählich zum Tornado, der die Kernzahlen in schwindelerregende Höhen peitscht. Jetzt hat der Wahnsinn den BMW M5 erwischt: 727 PS und 1.000 Nm toben im Hybrid-System des G90 durch den variablen Allradantrieb, was einem explosionsartigen Zuwachs von 127 PS und 250 Nm gegenüber dem Vorgänger codenamens F90 entspricht, aber eben auch ein deftiges Mehrgewicht von 540 Kilo im Schlepptau hat. Ja, fünfhundertvierzig! Runtergebrochen aufs Wesentliche ist die jüngste Episode des Begründers der Powerlimousinen-Klasse damit nicht nur die mit Abstand stärkste, schwerste und (mit einem Grundpreis von 144.000 Euro) teuerste aller Zeiten, sondern auch die erste, die sich im Leistungsgewicht zurückentwickelt hat: 3,2 kg pro PS bisher zu 3,3 jetzt.

Radstand und Spurweiten des neuen M5 sind gegenüber Vorgängermodell deutlich vergrößert.
Der E-Hybrid legt den V8 schlafen
Keine Frage, das sind Nachkomma-Problemchen, die am Ende nicht nur von der schieren Vortriebsbrunst verschluckt, sondern auch dadurch überkompensiert werden, dass der E-Boost die Spontaneität nochmal auf ein anderes Level hievt.
Wobei der M5 ausdrücklich nicht zu denjenigen gehört, die einen Push-Up fürs Ansprechverhalten nötig hätten. Anders als beispielsweise der ebenso hybridgetrieben AMG C 63, dessen massiv aufgeladener Zweiliter-Vierzylinder nurmehr, wie ein Sack Kartoffeln am Gasfuß hängt, wenn dem E-Motor der Saft ausgeht, vereinen sich die acht Zylinder und ihre zwei Turbolader hier auch ohne E-Support zu einem homogenen Team.
Allerdings ist das insofern von geringer Relevanz, als der Verbrenner praktisch nie allein ranmuss. Auf rund 500 Testkilometern zwischen München und dem Bayrischen Wald war das 18,6-kWh-Resevoir jedenfalls so gut wie nicht kleinzukriegen – trotz mutwilligen und energischen Versuchens wohlgemerkt. Sicher, die Nachhaltigkeit der Hybridpower hängt auch vom Modus ab. Der E-Betrieb legt den V8 schlafen, reicht rechnerisch zwischen 67 und 69 km, bis maximal 140 km/h und geht natürlich voll zulasten des Akkustands, der sich übrigens auch mit bis zu 7,4 kW per Kabel aufpäppeln lässt.
"Hybrid" versteht sich als Status quo. Er spannt den solitär 585 PS starken 4,4-Liter und die im Getriebe eingebaute 145-KW-E-Maschine zum Team zusammen, lässt die jeweiligen Konzeptvorteile Pingpong spielen oder legt sie übereinander zugunsten eines überaus heftigen Wow-Effekts.
Angesichts des erheblichen Vortriebs, der durch die Vereinigung der Kräfte entsteht, würde wohl niemand auf die Idee kommen, noch mehr Längsperformance einzufordern. Dennoch versprechen die beiden Dynamic-Programme am Ende genau das. Ersteres reduziert die Verbrauchseffizienz zugunsten einer noch höheren Nachladeleistung durch den Ottomotor, die Endstufe "Dynamic-Plus" lässt den Antrieb schließlich aus allen Rohren feuern. Ziel: Maximale Power solange der Vorrat reicht.

Die bayrische Wunderwaffe sprintet in 10,9 s von Tempo 0 auf 200 km/h.
Performance und Effizienz nach Maß
So oder so, der M5 tunkt einen kopfüber in ein Vollbad aus Vehemenz. Der Schub entfesselt sich stringent, mit vereinnahmender Brachialität, dumpfem Auspuffgebrüll, rassigem V8-Rhythmus und gehörig Zunder bis obenraus. Bei spätestens 7.200/min lässt der Wandlerautomat die vibrierende Muskulatur unter einem Gangwechsel zusammenzucken, jedoch ohne dass die nächstlängere Übersetzung irgendetwas am Grad der Anspannung in den Gebeinen zu ändern scheint. Mein voller Ernst: Im Grunde ist es völlig wurscht, ob gerade der dritte oder sechste Gang einliegt. Den Ersten kann man sich eh schenken, der Achte deckt alles von Ortsausgang bis Vmax (optional bis 305 km/h) notfalls auch alleine ab.
Zahlen dazu? Gibt’s auch. Wobei der Stammtischwert von 3,5 Sekunden auf 100 die massive Elastizität längst nicht so gut zum Ausdruck bringt wie die 2,2 Sekunden, die der M5 benötigt, um von 80 auf 120 zu preschen. Imposant zudem: Die Boost-Control. Sie steht im Geschwindigkeitsbereich zwischen 30 und 150 km/h zur Verfügung, wird durch Langdruck am Runterschaltpaddel initiiert und bürstet den M5 komplett auf Krawall. Alle Dynamiksysteme schnappen augenblicklich in ihre schärfste Stufe, gleichzeitig haut der Hybrid alles rein, was er hat, reagiert galliger und schiebt noch bombastischer.
Doch auch wenn Unmengen an Power schon immer das Herzstück darstellten, sein Standing hat sich der M5 nicht als Dragster erarbeitet, sondern durch seine Geschicklichkeit im Umgang mit der unbändigen Kraft. Anders gesagt: Im ewigen Hickhack mit E-AMG und RS 6 avancierte der BMW vor allem wegen seiner ausgeprägten Querdynamik-Talente zur Nummer eins. Tja, und das viele Gewicht droht die nun zur Disposition zu stellen – zumal BMW-M die träge Masse ohne aktive Wanksysteme unter Kontrolle bringen will.
Die drängende Frage war daher die nach dem Wie? Also wie man es geschafft hat, dass der 2,4-Tonnen-Brummer am Ende weder bockig über schlechte Straßen bibbert, noch um die Ecke torkelt wie nach sieben Bier? Laut der Ingenieure profitiere das Handling in erster Linie von der Multifunktionalität der Basis, die sich den Akku schwerpunktgünstig zwischen die Achsen packt, anstatt als Buckel unter den Kofferraum. Dennoch sei der Aufwand weitaus größer gewesen als bei sämtlichen Vorgängern. Die M-spezifischen Maßnahmen reichen vom Anzugsmoment einzelner Verschraubungen bis zur Kinematik des Fahrwerks mit Doppelquerlenkern vorn und einer Fünflenker-Hinterachse, dessen Kräfte wiederum von Versteifungen der Karosseriestruktur gekontert werden – einfach ausgedrückt.
Zumindest auf der Landstraße greift das Prinzip Trutzburg. Völlig immun gegen Rollbewegungen ist der M5 zwar nicht, das merkt man spätestens, wenn man sich mit etwas zu viel Überschuss in Kurven wirft. Dafür hat man mehr Fahrgefühl für den gewaltigen Bewegungsapparat als bei der aktiv stabilisierten Konkurrenz, kann den M5 mit der etwas spitz ansprechenden, dann aber präzisen Lenkung wuchtig in Ecken hinein und dank Hinterachslenkung und Aktiv-Diff in urtypischer BMW-Manier auf der anderen Seite wieder herauspressen – Zwinkersmiley, Sonnenbrillensmiley.
Neue Möglichkeiten zur Individualisierung des Fahrerlebnisses
Alle Fahrdynamikvariablen (Festigkeit der Lenkung, Dämpfer, Bremspedaldruckpunkt, Schalttaktik) sind wie bei den M-BMW inzwischen üblich ebenso unabhängig von den Fahrmodi regelbar wie die Instrumentengrafik, entscheidend für den Grundtenor ist aber auch hier der Allradmodus. Im Standard-Programm liegt der M5 so satt wie er dasteht mit seiner verbreiterten Spur, "4WD-Sport" lässt das ESC die Fangleine lockern und den M-Motionen dementsprechend mehr Auslauf über die Hinterachse, "2WD" macht den M5 zum Hecktriebler, sollte angesichts der enormen Wucht aber mit Vorsicht genossen werden.
Und überhaupt ist das mit dem Genießen nun so eine Sache. Nicht, dass es reizlos wäre, in einer Raketenlimousine mit opulenten Kontursesseln und M-farbener Ambientebeleuchtung durchs Hinterland zu düsen. Problem ist nur, dass man von einem regelrechten Eisberg an Power-Potenzial dabei meist nur an der Spitze kratzen darf. Die Traktion ist unerbittlich und das Kurvenverhalten bis kurz vorm Limit so stabil, dass man auf Landstraßen entweder in einer Tour russisch Roulette mit seiner eigenen Führerscheinkarriere spielt oder sich mit dem ersten Drittel des Gaspedalwegs begnügen muss. Mit anderen Worten: Man kämpft mit dem Gewissen bereits lange bevor man mit dem Auto zu kämpfen hätte.
Als nächstgelegener Fluchtweg empfiehlt sich die Autobahn. Sie ist das bevorzugte Jagdrevier des M5 – das gilt für alle seiner Art, für die jüngste Baustufe jedoch insbesondere. Hier bekommt die Drehmomentwalze den Auslauf, den sie braucht, die Masse bleibt im Flow, die stattliche Breite stört allenfalls in Baustellen, dafür muss man sich beim Reifenluftdruck fortan zwischen der Komfort- (bis 250) und der etwas hölzern abrollenden Vmax-Einstellung entscheiden.
Rennstrecke? Die andere Option zum Ausleben. Zumal sie stets einen festen Platz im Repertoire des M5 einnahm. Im Präsentationsprogramm des Neuen war sie aber nicht vorgesehen. Ein Omen? Nun, ich sag mal so, die M-Vertreter waren sehr bemüht zu betonen, dass die Power-Limo trotz ihrer Competition- und CS-Varianten nie das klassische Tracktool gewesen sei, was bislang wie gesagt aber nicht bedeutete, dass er diese Rolle nicht beherrschen würde. Inwieweit das immer noch gilt, wird erst der Test zeigen, fest steht nur, dass die Herausforderung dahingehend für die M-Macher noch nie größer war. Ablesbar womöglich auch daran, dass – untypisch für die Garchinger – bis dato noch keine offizielle Nordschleifen-Zeit kursiert.