Bentley Mulsanne im Fahrbericht: Luxuslimousine mit sportlichem Talent

Bentley Mulsanne im Fahrbericht
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Luxuslimousine mit sportlichem Talent

Bentley Mulsanne © Hans-Dieter Seufert 24 Bilder

Mit dem neuen Bentley Mulsanne bietet die britische Luxusabteilung des VW-Konzerns dem Geldadel eine neue Form des herrschaftlichen Gleitens. Innerhalb der elitären Auto-Gesellschaft soll der Mulsanne der Sportsmann sein.

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Er ist eingeschlafen. Dabei haben wir uns im Bentley Mulsanne gerade so richtig warmgelenkt, auf die Amplitude dieser Hügelkette eingeschwungen und sind überrascht, wie der schwere Wagen seiner Masse trotzt, mit zunehmendem Tempo scheinbar immer geschmeidiger wird – als wir im Rückspiegel unseren Begleiter im Fond hinwegschlummern sehen.

Der Bentley Mulsanne: 1.020 Nm halten sich nicht lange mit Fahrwiderständen auf

Welch Kompliment an die Kultiviertheit des Mulsanne, Bentleys neuem Traumschiff. Das gefühlte Gierzentrum, also der Punkt, um den sich der Luxusliner in der Kurve dreht, liegt weit hinten Richtung Fond, erklärt Entwicklungschef Ulrich Eichhorn später. Das schmeichelt dem Fahrer, weil die Herrschaften auf den Rücksitzen selbst dann in sich ruhen, wenn vorne kräftig am Lenkrad gekurbelt wird. Es verstärkt zudem den Eindruck, der Bentley Mulsanne lasse sich nicht aus dem Tritt bringen – 2,5 Tonnen bahnen sich ihren Weg. Masse läuft. Und 1.020 Nm halten sich im Fahrbericht nicht lange mit Fahrwiderständen auf. Eine Nockenwellen-Verstellung verbreitert den Drehmoment-Buckel des 6,8-Liter-V8, die beiden Mitsubishi-Turbolader scheinen noch früher als bisher anzublasen, und die Mühelosigkeit des Schubs ist schon beinahe provozierend, zumal die Achtgang-Automatik von ZF gekonnt hohe Stufen hält; selten klettert während des Fahrberichts die Drehzahlmessernadel im Bentley Mulsanne über 3.000/min. Bleibt er im Teillastbereich unter 2.000/min, so schaltet sich jeder zweite Zylinder ab, und der Mulsanne ist quasi mit einem V4 unterwegs. Diese Neuerung samt geänderter Motorelektronik soll den Verbrauch um 15 Prozent senken, wirkt sich aber nicht negativ auf den sämigen Lauf des Achtzylinders aus.

Beim Rangieren nimmt man dankbar die serienmäßige Rückfahrkamera zur Hilfe

Als unser Begleiter wieder die Augen aufschlägt, kann er kaum glauben, dass er den fahrdynamisch ansprechendsten Teil der Fahrberichts-Strecke verträumt hat. Noch immer mäandert der großkalibrige Viertürer durch die Landschaft, oszilliert nun aber langhubig über Bodenwellen hinweg. Die Stellung Comfort der Dämpferkennung lässt die Karosserie des Bentley Mulsanne atmen, also über die Hügel wiegen. Zuvor stand der Charakter-Schalter in der Mittelkonsole auf Sport, was die langhubigen Bewegungen des Aufbaus reduziert und der Fahrer als satte Bodenhaftung empfindet. Selbst bei unaristokratischem Tempo lässt sich der Kreuzer in Kurven genau dort platzieren, wo er hingehört. Und wer angesichts der Leibesfülle damit fahrerischen Aufwand verbindet, liegt falsch: Die hydraulisch unterstützte Servolenkung des Bentley Mulsanne gaukelt sogar eine gewisse Leichtfüßigkeit vor. Anders in der Stadt, wenn der Straßenbau den knapp zwei Meter breiten Schultern des Fünfeinhalb-Meter-Kolosses nicht genug Bewegungsraum bietet. Beim Rangieren nimmt man dankbar die serienmäßige Rückfahrkamera zur Hilfe.

Der Bentley Mulsanne ist ein moderner Klassiker mit Reifepotenzial

In seinen Dimensionen überragt der Bentley Mulsanne den kleinen Bruder Continental Flying Spur (5.290 Millimeter Länge) deutlich, liegt eher bei einem Rolls-Royce Phantom als bei einer Mercedes S-Klasse. Beim Auftritt sowieso: Kolossal rollt der Bentley heran, spielt beim Design mit den gewagten Scheinwerfer-Positionen des Achtliters von 1930 und zeigt damit anachronistische Züge – ein moderner Klassiker mit Reifepotenzial. Eine Traditionsmarke wie Bentley muss vorsichtig sein mit jähen Veränderungen wie Modellwechseln. Es könnte die Kundschaft verschrecken, die sich gerade mit dem seit 1998 gebauten und vor zwei Monaten eingestellten Arnage angefreundet hatte. So aber stempelt der Fahrberichtskandidat Bentley Mulsanne mit ähnlichen Gesichtszügen seinen Vorgänger nicht zum Greis und hält, wenn er im Herbst eingeführt werden wird, einen gewissen Pietäts-Abstand. Bentley hat den Prunk im Vergleich zum Arnage noch subtil gesteigert, was man kaum für möglich gehalten hätte: Wer dem Wurzelholz-Band mit den Augen folgt, sollte einen beweglichen Nacken besitzen – es läuft einmal rund um den Innenraum, selbst hinter den Kopfstützen entlang.

Innen wirkt der Mulsanne erfreulich analog

Der Rest ist nahezu vollflächig beledert, Kunststoff sticht nur bei den Schaltern hervor. Hier ist das Umstandskrämerische des Arnage abgelegt; doch obwohl der Bentley Mulsanne auf das moderne Bediensystem des Audi A8 zurückgreift, wirkt er erfreulich analog, ohne sich dem digitalen Fortschritt zu verschließen. Ein iPod lässt sich andocken, aber er wandert diskret in eine Schublade, wie auch der Navigations-Bildschirm auf Wunsch hinter einem Holzrollo verschwindet. Natürlich haben auch die Herrschaften vom weitläufigen Fond aus Zugang zu wichtigen Funktionen.

Gleichwohl ist die hierfür vorgesehene läppische Plastik-Fernbedienung eines Bentley unwürdig, zumal sie kaum stärker zu ihrem Aufbewahrungsort kontrastieren könnte – einem schmucken Holzkästchen mit massiven Metallscharnieren. Oder überhaupt zum ganzen Innenraum: Das von subtilem Lederduft umwehte Vollholz-Ambiente suggeriert Unvergänglichkeit, die massive Karosserie Rostresistenz. Ein Bentley Mulsanne als Altwagen? Schwer vorstellbar. Eher schon, dass die rollende Suite wie Familiensilber von Generation zu Generation weitervererbt wird.

Der Neue Bentley erinnert stark an den Arnage

Hier wie auch beim yachtartigen Fahrgefühl mit einer sich bei Vollgas reckenden Haube erinnert der Neue stark an den Arnage. Eine Vermutung liegt nahe: Der Bentley Mulsanne muss eine geschickt optimierte Version seines Vorgängers sein. Doch Entwickler Eichhorn schüttelt den Kopf und verneint ebenso eine Verwandtschaft zum kleineren Bruder Continental Flying Spur. Bentleys Würdenträger sei tatsächlich eine Neukonstruktion und komme mit relativ wenig Konzern-Gleichteilen aus, etwa der Luftfederung, der Klimaanlage oder dem Bediensystem des Audi A8. Dass der Name von einem Dorf an der Le Mans-Strecke stammt, bezieht sich auf die Renn-Tradition des Hauses.

Doch so abwegig ist der Transfer nicht: Innerhalb seiner Klasse dürfte der Bentley Mulsanne das sportlichste Talent besitzen – bei gleichzeitiger Kultiviertheit, so wie es Bentley-Chef Franz-Josef Paefgen immer wieder fordert. Und so wie es der Mulsanne hält. Folgendes Szenario wäre vorstellbar: Die geldadelige Familie startet erstmals mit ihrer Neuanschaffung an die Côte dAzur. Er lässt es in den Seealpen laufen, sie appelliert besorgt an das Wohl der Kinder – nur um bei einem Blick nach hinten festzustellen: Sie sind eingeschlafen.

Tabelle (techn. Daten)

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