Die Mille Miglia 1955 ist ein Ereignis für die Geschichtsbücher: Bei keinem anderen Rennen verbindet sich der Perfektionsgeist des gesamten Teams so sehr mit dem Können und dem Mut der Besatzung. Stirling Moss und Denis Jenkinson gewinnen im Mercedes 300 SLR mit einem nie mehr eingestellten Streckenrekord und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 157,65 km/h.
Doch für das Gerüst des Erfolgs sorgt das gesamte Team unter Rennleiter Alfred Neubauer. Denn neben dem genauen Streckenaufschrieb, den Beifahrer Jenkinson für das Rennen auf eine fortlaufende Papierrolle überträgt, überlassen die Helfer hinter den Kulissen nichts dem Zufall. Nur für ein Bedürfnis bleibt kein Platz: den Gang zur Toilette für die Besatzung. Die mehr als zehn Stunden müssen nonstop bewältigt werden - so prestigeträchtig und hart umkämpft war der Sieg bei der Mille Miglia 1955.
Die Mille Miglia bricht alle Rekorde
Wie die 24 Stunden von Le Mans oder das 1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring gehörte das Straßenrennen zu den Gründungsveranstaltungen der Markenweltmeisterschaft, die den Sportwagen-Duellen eine zusätzliche Brisanz verlieh. 1955 brach die Mille Miglia, der erste europäische WM-Lauf der Saison, alle Rekorde: 521 Nennungen verzeichnete der Automobilclub von Brescia als Veranstalter, noch 20 mehr als 1952; ein Mammutereignis, von dem die Gründer 1927 nicht zu träumen wagten.
Die jungen Grafen Aymo Maggi und Franco Marzotti sowie Giovanni Canestrini, der Sekretär des Automobilclub Brescia, und der Journalist Renzo Castagneto sind die Gründer der Mille Miglia und erfanden mit dem roten Richtungspfeil eines der unverwechselbaren Markenzeichen des Rennsports. Sie wollten in der zweiten Hälfte der 20er Jahre die Begeisterung für das Automobil in der breiten Bevölkerung wecken: Dazu schickten sie die schnellsten Sportwagen zum Einzelzeitfahren auf eine Route, die von der lombardischen Industriestadt Brescia in die italie-nische Hauptstadt Rom und wieder zurück führte - keine elitäre Veranstaltung für ein paar rennverrückte reiche Abenteurer, sondern ein Spektakel für die Masse.
Nicht nur die italienischen Marken wie Alfa Romeo, O.M. oder Maserati nutzen die große Bühne auf den Landstraßen, sondern auch die Fahrer. Wer möchte sich nicht feiern lassen, am besten 1000 Meilen lang? Doch die Geschichte kennt nicht nur die großen Namen wie Tazio Nuvolari, der zwei Mal die Mille gewinnen konnte. Sie lebt zum Beispiel auch von den stillen Helden, die es trotz ihrer Erfolge nie zu einem vorderen Platz in der Ruhmeshalle des Motorsports brachten. Clemente Biondetti etwa ist mit vier Erfolgen der Rekordsieger der Mille Miglia - ein Volksheld wurde er ebenso wenig wie der zweifache Gesamtsieger Giannino Marzotto, der sich stets mit Kashmir-Pulli, Schlips und Kragen bekleidet ans Steuer seines Ferrari setzte.
Rekordjagden um den höchsten Schnitt
Ferrari-Privatfahrer Marzotto sorgte 1953 mit einem Schnitt von 142,35 km/h für den Streckenrekord, den Mercedes-Pilot Moss zwei Jahre später brechen sollte. Der wohlhabende Italiener erzielte damit immerhin den sechstbesten Schnitt aller Zeiten bei der Mille Miglia - vor Juan Manuel Fangio, den er im direkten Duell 1953 ebenso schlug wie im Fernduell um die Rekordzeit.
Für die Zuschauer der Mille Miglia an der Strecke zählte vor allem eines: Der Sieger sollte ein rotes Auto fahren. Mit elf Gesamterfolgen für Alfa Romeo, acht für Ferrari und je einem für O.M. sowie Lancia gelang das nur fast. 1931 entführte die Mercedes-Besatzung Rudolf Caracciola/Wilhelm Sebastian zum ersten Mal einen Sieg aus Italien, 1940 zog BMW mit der Mannschaft von Hanstein/Bäumer nach - mit einem Sieg allerdings, der auf einem untypischen, weil flachen Dreiecks-Rundkurs erzielt wurde.
Diese Austragung war eine Reaktion auf einen schweren Unfall 1938 mit zehn toten Zuschauern. Mangelnde Sicherheit für die Schaulustigen besiegelte auch das Ende des Rennens nach einem weiteren Unfall 1957.
Mille Miglia-Museum - der ganzjährige Wallfahrtsort im Osten von Brescia
Im ehemaligen Kloster von San Eufemia ist seit 2004 das Museum der Mille Miglia untergebracht. In neun Zeitabschnitte gegliedert erfahren die Besucher alles über das schönste Rennen der Welt, wie Enzo Ferrari einst die Mille Miglia nannte.
Zu den Exponaten gehören zahlreiche Rennfahrzeuge. Ziel der täglich außer montags geöffneten Ausstellung ist auch, die Route für die Besucher erlebbar zu machen. Auch die heutige Mille Miglia als berühmteste Oldtimerrallye der Welt ist ein Thema. Ganz neu ist die Partnerschaft zwischen dem Museum und Mercedes-Benz. Derzeit sind fünf Rennwagen der Marke zu sehen, die die Mille Miglia zwei Mal gewinnen konnte.
Zum Museum gehört auch das Restaurant "Taverna Mille Miglia" und ein Laden, der den
Mille Miglia-Fans viel zu bieten hat. Weitere Informationen zum Museum, dem Laden sowie der "Taverna Mille Miglia" unter www.museomillemiglia.it