Robb Horton ist nervös. Seine erste Mille Miglia beginnt mit Stress. Im strömenden Regen musste der US-Amerikaner mit Wohnsitz in Oberriexingen den Goliath vom Hänger laden. Jetzt versucht er, die großen Startnummern auf die nasse Karosserie zu kleben. Viel Zeit bleibt nicht mehr: In 30 Minuten machen die Technischen Kommissare Feierabend. Zwischendrin schaut er nach oben und sucht in der Messehalle seinen Beifahrer. Gemütlich schlendert Heinz Gerngross zum Standplatz der schwarzen Limousine. „Komm, hilf bitte beim Schieben“, ruft Horton ihm zu. Auf zum letzten Akt der Abnahmeprozedur.
Goliath ist der Exot im Starterfeld
Der Goliath ist wohl eines der exotischsten Autos im 415 Starter großen Feld der Mille Miglia. Zwischen den Ferrari, den insgesamt 35 Mercedes vom SSK über die 300 SL Coupé bis zum 300 SLR, den Alfa Romeo und Cisitalia sowie all den anderen edlen Klassikern wirkt die pontonförmige Limousine aus Bremen wie ein Außerirdischer.
Robb Horton erzählt: "Wir sind die Liste der teilnahmeberechtigten Autos durchgegangen und haben diejenigen in die engere Auswahl genommen, die wir uns überhaupt leisten können." Zugleich sollte das Auto so selten sein, dass man auch die Chance auf einen Startplatz bei der Mille Miglia hat.
So geriet der Goliath GP 700 ins Fadenkreuz der beiden ehemaligen Bosch-Mitarbeiter. Vom Goliath-Experten Hans-Günter Riedel kauften sie einen von schätzungsweise 25 noch erhaltenen GP 700. Von der Papierform sicher kein typisches Mille-Miglia-Auto - Zweizylinder-Zweitakter, 25,5 PS schwach und 902 Kilogramm schwer.
Auch die Renngeschichte des Tourenwagens bei der Mille Miglia deutet nicht auf Heldentaten hin: 1954 war das italienische Team Grieco/Gremoldi mit einem GP 700 dabei. Es erreichte den 24. Platz in der Klasse, benötigte bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 71,6 km/h rund vier Stunden länger für die tausend Meilen als die Klassensieger Jean Rédelé und Louis Pons in einem vom späteren Alpine-Chef selbst getunten Renault 4 CV.
Eingerahmt von Alfa und Fiat
In den Fünfzigern stellten die Teams mit den Tourenwagen bis 1,3 Liter Hubraum fast die Hälfte aller Teilnehmer beim italienischen Straßenrennen. Bei der Mille Miglia für Klassiker heute wird der Goliath von einem Alfa Romeo 1900 und einem Fiat 8V eingerahmt – eine nette Gesellschaft für den kleinen Schwarzen.
Das vielseitige Starterfeld mit in diesem Jahr erstmals über 400 Autos von 1927 bis 1957 zieht wieder tausende Zuschauer an die Strecke von Brescia nach Rom und wieder zurück. Sie sind für den Charakter der berühmtesten Oldtimerrallye der Neuzeit ebenso wichtig wie das erlesene Teilnehmerfeld.
Einer der treuesten Mille-Miglia-Fans ist Mister Croccantino. Noch bekannter als der Patissier vom Gardasee ist jedoch sein Fiat Multipla. Seit 1990 ist der schwarze Lockenkopf, der eigentlich Giuseppe Zioni heißt, mit dem Minivan dabei.
Während Zioni mit seinem 23 PS starken Seicento von 1961 ohne Startnummer im Feld mitfährt, kürzt Ossi Dill aus Erlangen im modernen Auto ab und steuert mehrere ausgewählte Streckenpunkte pro Tag an. „Wir haben ein ausführliches Roadbook“, berichtet der Berufsschullehrer. Wie seine Freunde Alexander und Bernd steht auch der Franke in zünftiger Zimmermannskluft am Streckenrand – das Markenzeichen der deutschen Fangruppe.
Das Trio begrüßt jeden vorbeifahrenden Teilnehmer mit schrägen Klängen aus Blasinstrumenten. „Normalerweise bekommen wir die Teilnehmer sieben Mal während einer Mille Miglia zu sehen“, bemerkt Dill stolz. Doch in diesem Jahr streikt die Lichtmaschine an ihrem VW Caddy, und dies bedeutet das vorzeitige Ende.
Bremer Uhrwerk
Der Goliath von Robb Horton und Heinz Gerngross summt dagegen wie ein feines Uhrwerk. Lediglich die Trommelbremsen bereiten Horton Kopfzerbrechen. „Auf einer Bergabpassage waren sie ganz weg“, meint er mit Sorgenfalten auf der Stirn, die er aber gleich wieder mit einem Lächeln glättet, als sein Beifahrer Heinz Gerngross bemerkt: „Dafür läuft unser neuer Motor immer besser.“ In der Woche vor der Mille Miglia musste nach einem Lagerschaden noch ein Ersatzmotor gefunden und eingebaut werden. „Wir haben einen Motor bekommen, der zuvor noch nie gelaufen war“, erklärt Gerngross, der bei Bosch als Ingenieur für Gemischaufbereitung gearbeitet hat.
Während das Goliath-Team ohne Servicefahrzeug auskommt, kann sich Schauspielerin Hannah Herzsprung, die als Beifahrerin von Jaguar-Europachef Bernhard Kuhnt ihre erste Mille Miglia erlebt, für den C-Type bei Bedarf auf kundige Werksmechaniker im Begleitfahrzeug verlassen. Für die 31-Jährige bedeutet die Fahrt eine Reise in die Familiengeschichte: „Werner Engel, mein Großvater mütterlicherseits, hat hier in den fünfziger Jahren teilgenommen.“ Engel fuhr einen Mercedes und wurde 1955 sogar Rallye-Europameister.
Ebenfalls im klassischen British Racing Green, aber in einem Bentley von 1927, genießt Herbert Grönemeyer seine erste Mille Miglia. Der Musiker hat gerade seine Arbeit an einer Filmmusik beendet und endlich Zeit. „Ich bin ein Autofreak und hatte schon lange den Plan, hier mitzufahren“, berichtet der 57-Jährige, der so oft wie möglich das große Steuer des 6 1/2 Litre mit All-Weather-Tourer-Karosserie von Jürgen Grossmann selbst in die Hand nahm.
Egal ob Grönemeyer oder Gerngross, ob Herzsprung oder Horton: Die Mille Miglia übt auf alle Autofans eine so große Anziehungskraft aus wie keine andere Oldtimerveranstaltung. Selbst weitgereiste Rennprofis wie Andy Wallace zieht sie an. Der ehemalige Jaguar-Werksfahrer, der als erster Rennfahrer alle drei klassischen Langstreckenrennen in Daytona, Sebring und Le Mans gewinnen konnte, ist beeindruckt. „Das ist eine tolle Sache“, schwärmt der Engländer, der sich das Steuer mit der Radsportlegende Sir Chris Hoy teilt. „Ich bin sein Renn-Coach, weil er jetzt im englischen Ginetta-Markenpokal startet“, erläutet Wallace.
Filmstar sucht Schleichwege
Die beiden Motorsportler starten in einem XK 120 wie auch ihr Teamkollege Daniel Day-Lewis. Der Schauspieler, der als einziger Darsteller der Filmgeschichte drei Oscars gewann, fügt sich nahtlos ins äußerst prominent besetzte Team des englischen Sportwagenbauers. Der 1,87 Meter große Ire, zuletzt für seine Titelrolle in "Lincoln" ausgezeichnet, musste sich einige Schleichwege suchen, um dem Starrummel zu entkommen.
Hanns-Werner Wirth und Christian Geistdörfer hingegen folgten penibel den roten Pfeilen der Tour. Mit dem BMW 328 Coupé Touring aus dem Münchener Werksmuseum, das Walter Bäumer und Huschke von Hanstein 1940 bei der einmalig auf einem Rundkurs ausgetragenen Mille Miglia zum Gesamterfolg verhalf, erkämpfen die beiden Rallyespezialisten den zehnten Gesamtrang. „Bei so vielen sehr guten Teams ist der Platz unter den besten Zehn ein sehr großer Erfolg für uns“, betont Wirth. Den Gesamtsieg sichern sich zwei junge Argentinier in einem Bugatti T 40 von 1927.
Für die Goliath-Mannschaft ist allein das Ankommen ein Riesenerlebnis: „Ich hatte keine Probleme mit den Bremsen mehr. Auch ist der Motor mit jedem Kilometer besser gelaufen, wodurch wir recht flott unterwegs waren”, zieht Robb Horton stolz sein Fazit. Dann wäre der Goliath ja für seine zweite Mille Miglia 2014 bestens eingefahren.
Drei Fragen an Marco Makaus, CEO von Mille Miglia srl.
Makaus: In diesem Jahr waren viele Dinge in der Vorbereitung schwieriger als in den Jahren zuvor. Aber die Teilnehmer haben die Mille Miglia unterstützt: Sie haben sich einfach gemeldet und haben gesagt, dass sie kommen. Wir wollten ein starkes Zeichen setzen.
Makaus: Es geht um die Zukunft der Mille Miglia, die ein Schwungrad für unsere Wirtschaft ist. Ein folgenschwerer Unfall kann sie für immer stoppen. Das dürfen wir nicht riskieren.
Makaus: Die Arbeit der deutschen Hersteller mit ihrer Tradition ist die beste in der ganzen Welt. Sie treffen die richtige Balance aus Leidenschaft und Geschäft.
Die Mille Miglia im Bugatti T35 T von 1926
Wer 1600 Kilometer in einem Bugatti T 35 T Grand Prix-Wagen durch Italien tourt, der darf nicht zimperlich sein. Der Sportler ist recht hart gefedert. Rippen im Asphalt werden von einem Sitzpolster abgefedert. Wenn aber zwei Passagiere im engen Cockpit reisen, dann sitzen beide mit einem Teil ihres Hinterns auf dem Chassis. Fahrtwind und Regen werden von den kleinen Frontscheiben abgehalten. Die Räder haben Schutzbleche. Das Spritzwasser kommt so nicht von vorn, sondern von hinten ins Cockpit. Das Passagierabteil ist recht eng geschnitten. Der Weg am großen Lenkrad vorbei in Richtung Fußraum erfordert eine gewisse Gelenkigkeit. Die Pedale sitzen so eng beisammen, dass man das Kupplungspedal nur mit schmalen Fahrerschuhen bedienen kann. Während der Pilot am Volant dreht, hat der Beifahrer immer wieder an einem Messinghahn den Benzindruck zu reduzieren.
Wer den Bugatti aber etwas hurtiger Richtung Futa oder Raitcosa treibt, der wird für all die kleinen Unpässlichkeiten entschädigt: Der erlebt eine quirlige, extrem handliche Fahrmaschine. Für Wolfgang Schreiber, Bugatti-Präsident und Bentley-Boss, war es die erste Mille Miglia. Sie endete auf Platz 101. „Ein unglaubliches Erlebnis“, sagte er begeistert. „2014 komme ich wieder.“
Ergebnis der 31. Mille Miglia Storica 2013
16. bis 18. Mai 2013, Streckenlänge 1.485 km mit 54 Wertungsprüfungen.
Gesamtwertung
- Tonconogy/Berisso (ARG/ARG) Bugatti T40 (1927)
- Mozzi/Gessler (I/USA) Alfa Romeo 6C 1500 (1933)
- Moceri/Cavalleri (I/I) Aston Martin Le Mans (1933)
- Fontanella/Covelli (D/D) Ford Model B (1933)
- Ferrari/Ferrari (I/I) Bugatti T37 (1927)
- Erejomovich/Gallo (ARG/ARG) Aston Martin Le Mans (1933)
- Giacomello/Gennaro (I/I) Bugatti T37 (1926)
- Cané/Reichle (I/QA) Bugatti T37 GP (1927)
- Belometti/Putelli (I/I) Fiat 508 S Siata Spider (1933)
- Wirth/Geistdörfer (D/D) BMW 328 Coupé Touring (1939)