Jochen Rindt - Tod eines Formel 1-Popstars

Jochen Rindt - 40. Todestag
Im Gedenken an eine Legende

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Jochen Rindt schreibt 40 Jahre nach seinem tödlichen Unfall in Monza wieder Schlagzeilen. Wenn über einen Rennfahrer, der vor vier Jahrzehnten gestorben ist, gleich zwei abendfüllende TV-Dokumentationen produziert werden, dann muss an diesem Typen etwas Besonderes gewesen sein.

Der 5. September 1970 ging als schwarzer Tag in die Formel 1-Geschichte ein. Mit Rindt starb einer besten Botschafter seines Sports. Einer, dem wie Gilles Villeneuve auch nach seinem Tod noch Heldenverehrung zuteil wurde, auch wenn er nur sechs Grand Prix gewinnen konnte. Zeitgenössische Beobachter bezeichneten den smarten Österreicher mit den coolen Sprüchen als "James Dean der Formel 1".

Jochen Rindt in einer Liga mit Clark und Senna

Rindts Erfolgsbilanz kann sich nicht an der von Jim Clark oder Ayrton Senna messen, und doch wird der Österreicher in einem Atemzug mit den beiden Formel 1-Legenden genannt. Weil er ein Typ war, der die Fans schon zu Lebzeiten faszinierte. Weil er spektakulär fuhr und Rennen gewann, die kein anderer gewinnen konnte. Und sicher auch, weil er im Rennauto starb. Rindt ist der einzige der 31 Weltmeister, der seinen Titel posthum erhielt. 

Sein Landsmann Helmut Marko beschreibt, was der Name Rindt in Österreich und nicht nur dort immer noch auslöst: "Es ist unglaublich, welche Anziehungskraft Jochen heute noch hat. Sein Grab in Monza ist immer frisch gepflegt. Das ist nichts Organisiertes. Da kommen spontan wildfremde Menschen und legen Blumen hin."

Österreicher mit deutschen Wurzeln

Karl Jochen Rindt wurde am 18. April 1942 in Mainz geboren. Als er drei Jahre alt war, kamen seine Eltern im Bombenhagel der letzten Kriegstage um. Rindt wurde zu den Großeltern nach Graz geschickt, behielt aber seinen deutschen Pass. Da er stets mit österreichischer Lizenz fuhr, galt er nach den Statuten des Weltverbandes als Österreicher.

Sein Talent war schon in der Formel Junior und Formel 2 erkennbar. Rindt bewegte sich ständig am Limit, am liebsten quer. Beim GP Österreich 1964 gab er auf einem Brabham-BRM sein Formel 1-Debüt. Ab 1965 war das Fahrgenie mit den markanten Gesichtszügen Stammpilot in der Formel 1. Die ersten drei Jahre bei Cooper, 1968 bei Brabham, der letzte Abschnitt der Karriere bei Lotus.

Rindt siegt 1965 in Le Mans

Der dritte WM-Platz 1966 auf dem schwergewichtigen Cooper-Maserati zeigte genauso seine Qualitäten wie der Triumph 1965 bei den 24 Stunden von Le Mans zusammen mit Masten Gregory. Ein Versuch beim 500 Meilen-Rennen von Indianapolis endete mit einem spektakulären Crash. In der Formel 2, die die damaligen Formel 1-Piloten als Nebenerwerbsquelle betrachteten, galt Rindt als ungekrönter König. Keiner gewann in der zweiten Liga so oft wie er.

Trotzdem hing Rindt in all den Jahren der Ruf des ewigen Talents, des schlampigen Genies an. Der berühmte englische Motorsport-Journalist Denis Jenkinson verwettete seinen roten Rauschebart, dass Rindt nie einen Grand Prix gewinnen würde. Tatsächlich musste sich der Österreicher 49 Rennen lang gedulden, bis er endlich 1969 in Watkins-Glen bei einem Formel 1 Rennen erstmals ganz oben auf dem Podest stand.

"Typisch Jochen", ulkte sein Freund Jackie Stewart. "Er hat sich das Rennen ausgesucht, bei dem es das meiste Preisgeld zu gewinnen gab." Ein paar Tage später bekam Rindt Post von Jenkinson. Inhalt: Der abrasierte Bart. Rindt hatte einen guten Geschäftssinn. Er zählte zu den Großverdienern der Branche, er lebte am Genfer See, er hatte eine eigene Motorshow, und er moderierte für den ORF eine Autosendung.

Wechsel zu Lotus - Rindt will den Titel

Lotus stand damals in dem Ruf, schnelle, leichte, geniale aber auch zerbrechliche Autos zu bauen. Auch Rindt war nicht wohl bei dem Gedanken, in das Team von Colin Chapman zu wechseln, doch er tat es mit den Worten: "Wenn ich Weltmeister werden will, muss ich zu Lotus." Die Ehe mit Lotus-Gründer Chapman war von Anfang an eine Zweckgemeinschaft.

Schon bei seinem zweiten Einsatz für den britischen Rennstall lag eine Katastrophe in der Luft. Es war die Zeit, in der den Autos Flügel wuchsen. Den extremsten Weg ging wie üblich Lotus. Beim GP Spanien auf dem Montjuich-Stadtkurs knickte zunächst bei Graham Hill der Heckflügel ein. Der Engländer kam mit dem Schrecken davon, als sich sein Auto über 150 Meter Wegstrecke an der Leitplanke austobte.

Beim Zurücklaufen an die Box beobachtete Hill, dass sich bei seinem Teamkollegen derselbe Defekt anbahnte. Bevor er Rindt warnen konnte, klappte auch bei ihm der Flügel wie in Fallbeil nach unten. Rindts Lotus krachte nach einem Ritt auf der Leitplanke in das am Streckenrand geparkte Wrack von Hill und überschlug sich. Der Unfallpilot wurde mit einem Nasenbeinbruch und einer Gehirnerschütterung aus dem Torso seines Lotus 49 herausgeschnitten.

Kein Vertrauen in zerbrechlichen Lotus

Auf die Frage, ob er jetzt das Vertrauen in Lotus verloren habe, antwortete Rindt mit einem Schuss Sarkasmus: "Ich habe nie eines gehabt." Für die Saison 1970 hatte sich der Grenzgänger Chapman Besonderes ausgedacht. Während Rindt die Saison mit dem modifizierten Vorjahresmodell 49C begann, bereitete Lotus in geheimer Mission zwei Wunderwaffen vor. Das Vierradauto 63 und den Typ 72, der den Rennwagenbau revolutionieren sollte.

Mechaniker Herbie Blash, heute als Rennleiter in Diensten der FIA, erinnert sich: "Insgesamt hatte Lotus 25 Angestellte. Die mussten sich um die Formel 1, die Formel 3, Indy und Sportwageneinsätze kommen. Zu den Grand Prix fuhren nur sechs Leute vom Team mit. Dazu Chapman und die Fahrer. Da wir in der Formel 1 mit dem 49C, dem 63 und dem 72 drei unterschiedliche Autos zu betreuen hatten, fiel so viel Arbeit an, dass wir kaum Schlaf fanden. Jochens Manager Bernie Ecclestone warnte Chapman von Zeit zu Zeit. Deine Leute sind übermüdet. Du lässt sie zu viel arbeiten."

Revolutionärer Lotus 72

Das Vierradprojekt wurde nach einem Einsatz beim nicht zur WM zählenden Lauf im Oulton Park sehr zur Freude von Rindt eingestellt. Er hasste das Auto. Doch das Debüt des Lotus 72 verzögerte sich. Die rot-weiße Flunder war ein Meilenstein der Formel 1-Geschichte. Inmitten der biederen Konkurrenzprodukte sah es aus wie ein Fahrzeug aus einer anderen Rennserie. Seine Keilform, seine seitlich angebrachten Kühler, vorne innenliegende Bremsen, ein hecklastige Gewichtsverteilung und ein dreigeteilter Heckflügel waren Elemente, die man so zum ersten Mal sah.

Rindt misstraute dem Wagen, vor allem den vorne innenliegenden Bremsen, die über Bremswellen mit den Rädern verbunden waren. Die Bremsscheiben, die im Wageninneren nicht so gekühlt werden konnten wie außen in den Radträgern, gaben die hohen Temperaturen an die hohl gebohrten Bremswellen weiter, was immer wieder zu Problemen mit dem Material führte. Da die Wellen wie ein Tunnel von zwei Seiten angebohrt wurden, kam es an der Schnittstelle manchmal zu Verwerfungen. Mehr als einmal brach eine der Wellen mit den entsprechenden Folgen. Das Auto war dann kaum kontrollierbar.

1970: Erster Saisonsieg in Monte Carlo

Der 72er feierte beim zweiten Rennen in Jarama ein unauffälliges Debüt. Rindt schied nach zehn Runden mit Problemen an der Zündung aus. In Monte Carlo holte sich Rindt in einem denkwürdigen Rennen seinen ersten Saisonsieg. Er saß im Lotus 49C mit dem Dreifach-Heckflügel des Lotus 72. Bis Rennmitte lag der Österreicher aussichtslos hinter seinem WM-Rivalen Jack Brabham. Dann startete er eine Aufholjagd mit Rundenzeiten, die acht Zehntel unter der Pole Position und 2,7 unter der eigenen Trainingszeit lagen. Brabham wurde nervös, verbremste sich in der letzten Kurve der letzten Runde, und Rindt hatte die ersten neun Punkte auf seinem Konto.

In Spa kam es erneut zu einem Disput mit Chapman. Rindt weigerte sich den Lotus 72 zu fahren. Auf der gefürchteten Hochgeschwindigkeitspiste, damals noch 14 Kilometer lang, zog er den bewährten 49C vor. Erst in Zandvoort zeigte das Wunderauto 72 seine Qualitäten. Rindt gewann unangefochten. Es war ein bitterer Lorbeer. Sein bester Rennfahrerfreund Piers Courage verbrannte nach einem Unfall in einem von Frank Williams eingesetzten de Tomaso.

Rindt feiert Siegesserie im Sommer

Es folgte ein unvergessener Sommer. Rindt siegte in Clermont-Ferrand, Brands Hatch und Hockenheim und rannte mit dem WM-Titel auf und davon. Seine Siegesserie machte ihn auch im eher Motorsport feindlichen Deutschland zum Popstar. Die Medien interessierten sich plötzlich für die geächtete Sportart. Das ging soweit, dass sich Deutsche und Österreicher darum stritten, welcher Nationalität der kommende Weltmeister anzurechnen sei. Hockenheim verzeichnete mit 140.000 Besuchern am Sonntag Rekordbesuch.

Der GP Österreich verzeichnete logischerweise einen noch größeren Andrang. Zeltweg platzte aus allen Nähten. Rindt stellte in der Alpenrepublik in punkto Popularität sogar die Skifahrer in den Schatten. Im Training erfüllte Rindt die in ihn gesetzten Erwartungen mit der Pole Position, obwohl die Strecke von Zeltweg eher auf die PS-stärkeren Zwölfzylinder von Ferrari, Matra und BRM zugeschnitten war. Die Mechaniker mussten wieder einmal Tag und Nacht arbeiten. Blash: "Ken Tyrrell drohte mit einem Protest, wenn wir nicht die Seitenkästen stutzen würden. Sie waren seiner Meinung nach eineinhalb Zoll zu breit. Wir haben die ganze Nacht an den Kühlern gefeilt, um das Auto reglementskonform hinzubringen."

Lotus-Bremswellen bekannt anfällig

Im Rennen scheiterte der Nationalheld allerdings. Ein Motorschaden beendete die einmalige Siegesserie. Doch der GP Österreich frischte auch Rindts Argwohn in die Technik seines Autos wieder auf. Teamkollege John Miles konnte mit Mühe einen Unfall vermeiden, weil vorne eine Bremswelle gerissen war. Der Engländer, der aussah wie ein Theologiestudent, war zu Tode erschrocken. Die Fahrer forderten daraufhin stärkere Wellen, Rindt bot sogar an für einen begrenzten Zeitraum ein paar Kilo abzunehmen, doch Chapman blieb auf diesem Ohr taub.

Trotz der Enttäuschung beim Heim Grand Prix reiste Rindt zuversichtlich nach Monza. Jack Brabham lag vier Rennen vor Ende der Saison 25 Punkte zurück. Doch Rindt wusste, dass die größere Gefahr von Jacky Ickx ausging, dessen Ferrari 312 von Rennen zu Rennen besser wurde und der in Monza über ein Leistungsplus von 20 bis 30 PS verfügen würde. Lotus entschied deshalb nach dem ersten Training die Flügel am 72 abzumontieren. Die flügellose Flunder war ein schwer zu beherrschendes Projektil. "Jochen kam damit klar", erinnert sich Blash. "Er verstand nicht viel von der Technik des Autos, aber er konnte wie kein Zweiter mit schwierig zu fahrenden Autos umgehen."

Russisches Roulette in Monza

John Miles war dagegen todunglücklich. Der Engländer machte seinem Teamkollegen Vorwürfe, wie man in einem so kriminell schlecht liegenden Auto überhaupt fahren könne und bat Colin Chapman, sein Auto mit Flügeln auszurüsten. Was Mister Lotus umgehend ablehnte. Im Team hatte sich längst ein ungutes Gefühl breit gemacht. Monza bestand damals nur aus Geraden, den Vollgas-Kurven Curva Grand und Ascari, den beiden mittelschnellen Lesmo-Kurven und der Parabolica. Der Rundenschnitt bewegte sich jenseits von 240 km/h.

"In diesen Tagen war die Formel 1 wie Russisches Roulette", blickt Herbie Blash zurück. "Wir wussten, dass jederzeit etwas Schlimmes passieren konnte." Der erste Trainingstag bestätigte die bösen Vorahnungen. Wieder gab es Probleme mit einer der Bremswellen. Der dritte Fahrer Emerson Fittipaldi zerstörte ein Auto bei einem furchterregenden Crash in der Parabolica.

Letzter Angriff auf die Pole Position

Am Samstag nahm zunächst alles seinen gewohnten Verlauf. Rindt wollte seinen Angriff auf die Bestzeiten der Ferrari erst in den letzten Trainingsminuten starten, dann wenn die Bahn kühler war. Gerüchte, er hätte an diesem Tag Bedenken geäußert in seinen Lotus zu klettern, bestreitet Blash. "Jochen war ein sehr starker Charakter. Er hatte keine Angst, Chapman seine Meinung zu sagen. Hätte er sich unwohl gefühlt, wäre er nicht in das Auto gestiegen."

In der fünften Trainingsrunde, gegen 15:20 Uhr Ortszeit, verstummte plötzlich der Motorenlärm. Die Boxen waren damals noch nicht über Funk mit dem Fahrer verbunden, eine Live-Übertragung gab es nicht. Man war auf Augenzeugenberichte angewiesen. Denis Hulme wusste etwas. Er lag direkt hinter Rindts Lotus, als der rot-weiße Keil in der Bremszone der Parabolica urplötzlich nach links ausbrach, die Leitplanke an einen Befestigungspfosten traf und dann sich wild drehend in einer Staubwolke verschwand.

Rindt verblutet auf dem Weg ins Krankenhaus

Der erste Aufprall erwies sich für Rindt fatal. Aus Angst vor Feuer weigerte sich Rindt, die Oberschenkelgurte festzuziehen. Die beinahe liegende Position in seinem Lotus brachte es mit sich, dass er unter den Hosenträger- und Bauchgurten durchrutschte und im Cockpit verschwand. Es gab nichts, was ihn aufhalten konnte. Der Vorderteil des Lotus war unter der scharfkantigen Leitplanke abgetrennt worden. Das Gurtschloss, das Lenkrad und das Armaturenbrett fügten Rindt schwere Brustkorb- und Wirbel-Verletzungen zu. Die Luftröhre und Halsschlagader wurden durchtrennt.

Bernie Ecclestone glaubt noch heute, dass sein Fahrer bei einer professionellen Rettung trotz der schweren Verletzungen überlebt hätte. Als Rindt endlich im Krankenhaus ankam, war er längst verblutet. Das Team Lotus verließ Monza so schnell es ging. "Chapman hatte noch den Unfall von Graf Berghe von Trips im Gedächtnis, als man ihm den Prozess machen wollte, weil Trips mit seinem Fahrer Jim Clark kollidiert war", erzählt Herbie Blash. "Wir haben alles zusammengepackt, die Jungs sind im Transporter zurück nach England, und ich musste Jochens BMW nachts in die Schweiz fahren."

Ecclestone kümmert sich um alles

Der Mann, der vor Ort alles regelte, war Bernie Ecclestone. Der heutige Formel 1-Chef und Rindt waren Geschäftspartner. Den Begriff Manager mag Ecclestone bis heute nicht. "Jochen war ein Freund. Ich habe mich um seine Angelegenheiten gekümmert." Während die Rennwelt nach Bruce McLaren und Piers Courage nun um einen weiteren Formel 1-Star trauerte, ging das Leben weiter. Wie immer in diesen Tagen. Der Tod war damals ständiger Begleiter. Lotus pausierte ein Rennen und meldete sich beim GP USA mit Emerson Fittipaldi und Reine Wisell zurück. Beides waren unbeschriebene Blätter.

Rindt hatte nach dem Sieg von Ickx beim Rennen zuvor in Kanada noch 17 Punkte Vorsprung. Ickx musste die beiden letzten Grand Prix in den USA und Mexiko gewinnen, um den Österreicher noch abzufangen. Nach dem Rennen in Watkins-Glen war der Traum ausgeträumt. Der Belgier wurde nur Vierter. Emerson Fittipaldi gewann in seinem erst vierten Einsatz das bestdotierte Rennen der Saison und Wisell rundete als Dritter die Sensation ab. Damit war Rindts Titelgewinn amtlich.

"Für mich", zieht Blash Bilanz, "war Jochen der ultimative Racer. Ein Instinktfahrer mit einer unglaublichen Fahrzeugbeherrschung und eine starke Persönlichkeit. Ein Typ, an den sich jeder erinnert, der ihn kannte."