Ich habe Schiss. Inmitten von Offroad-Profis auf meinen Einsatz wartend frage ich mich, warum ich eigentlich zugesagt habe, als Michael Podlogar Ende Juni anfragte, ob ich beim 24-Stunden-Rennen der German Off Road Masters (GORM) dabei sein möchte – als Fahrerin. Fest steht, ich habe zugesagt und darum warte ich nun morgens um eins in völliger Dunkelheit auf einem ehemaligen Armeeübungsgelände bei Schwerin darauf, dass ein zur Offroad-tauglichen Rennmaschine umgebauter Suzuki Jimny namens Jimboy in die improvisierte Box kommt.
Gut, Rennmaschine ist möglicherweise leicht übertrieben, aber vom normalen Haus-und-Hof-Jimny unterscheidet er sich schon, auch wenn er in der Klasse T2, Serienfahrzeuge, an den Start geht.
Da ist zum Beispiel der 1,5-Liter-DDiS-Turbodiesel, der den kleinen Suzuki im Normalzustand mit 86 PS über den Asphalt treibt – bei unserer Geländevariante sind es dank Steuergerät-Optimierung und Detailverbesserungen circa 130 Pferdchen und 320 Nm Drehmoment. Da ist das Suzuki-Samurai-Verteilergetriebe mit extrem verstärkter Aufhängung und Differentialsperren vom australischen Offroad-Ausstatter ARB und da ist außerdem das extra für den Jimny gebaute und optimierte FOX Racing Shocks-Fahrwerk der Firma Offroad Extrem.
Zwei Rallye-Suzukis im Einsatz
Hinzu kommen ein Überrollkäfig, FIA Schalensitze, FIA 5-Punkte-Gurt und ein Sportlenkrad; ausgebaut bzw. stillgelegt wurden dafür Airbags und ABS. Im Gegensatz zu mir ist Jimboy ein echter Gelände-Veteran. 2007 bei der Kroatia Trophy erstmals eingesetzt, versuchte er sich 2008 bei der Breslau Rallye und in den vergangenen drei Jahren beim 24-Stunden-Rennen der GORM, aus dem er 2009 sogar als Sieger hervor ging. In dieser schönen Augustnacht soll er nun also mich über die Piste des SOREA Parks manövrieren, beziehungsweise ich ihn. Dabei sah es kurz nach Rennstart um 19 Uhr so aus, als würde aus dem Ausdauerlauf ein Kurzstreckensprint.
Das Rennen hängt am seidenen Faden
Die starke Hitze und große Trockenheit der vergangenen Tage sorgten für eine derart extreme Staubentwicklung, dass die Sichtweite binnen Minuten auf wenige Meter sank und sich Rallyelegende Jutta Kleinschmidt an einen Sandsturm in der Sahara erinnert fühlte. Da der Staub nicht nur das Rallyegelände mit einer graubraunen Glocke überzog, sondern auch Schwerin und die umliegenden Dörfer in Dunkelheit hüllte, wurde das Rennen nach nur zwei Stunden unterbrochen – Fortsetzung ungewiss. Die Feuchtigkeit der einsetzenden Nacht band den Staub dann zumindest etwas und der Polizeichef höchstpersönlich blies zum Restart. Meinem Renn-Debüt steht also, bis auf meine Angst, nichts mehr im Wege.
Dabei ist die Aufgabe denkbar einfach: Vier Fahrer haben 24 Stunden Zeit um den Suzuki möglichst oft über den 17 Kilometer langen Kurs zu peitschen, ohne dabei das Auto zu beschädigen und damit lange Reparaturpausen oder gar einen Rennausfall zu provozieren. Dem entgegen stellen sich unzählige Bodenwellen, Steilkurven, Sprunghügel, Sand- und Schlaglöcher. Ein in der Dunkelheit übersehenes und daher ungebremst angefahrenes Hindernis kann das Aus für Achse und Co bedeuten.
Keine Zeit zum Nachdenken
Mit sanftem Hupen kündigt Jimboy seine Ankunft in der Box an und zum Nachdenken bleibt keine Zeit mehr. Die beiden Fahrer vor mir haben gut vorgelegt, dementsprechend hoch sind die Ansprüche an meinen Renneinsatz: Während der mexikanische WRC - und King of the Hammers-Gastpilot Jose Ponce mir zur Aufmunterung etwas von der Kraft der Haie erzählt, ist die Ansage der Teamkollegen konkreter: „Wenn du für die vier Runden länger als 2:15 Stunden brauchst, schicken wir einen Suchtrupp los.“
GORM 2012: Die staubige Hölle
Vom 5-Punkte-Gurt in den Schalensitz gepresst geht es mit Markus, meinem Copiloten, raus aus der Box und rein in die staubige Hölle. Unbekannt ist mir das Gelände nicht, denn meine Bewährungsprobe am Steuer hatte bereits am Nachmittag stattgefunden. Im freien Training drehte ich zunächst auf dem Beifahrersitz meine Runden, um den Profis bei der Arbeit zuzusehen, dann wurden die Plätze getauscht und ich musste ran. Nach einigen Kilometern hatte mein geländeerfahrener Beifahrer genickt und anerkennend gesagt: „Dich nehmen wir nicht als Copilot, dich setzen wir als Fahrerin ein!“ Was also soll schief gehen?
Nun aber ist es dunkel, die Piste ausgefahrener als noch am Nachmittag und die Luft staubgeschwängert. Alles egal. Die Ohren dumpf vom der Enge des Helms und dem Dröhnen der Motoren, jagen wir durch die Schweriner Nacht. Nach der ersten noch zögerlichen Runde lässt die Aufregung nach und Adrenalin schießt in den Körper. Es macht Spaß! Markus hilft bei der Suche nach dem idealen Weg durch die Schikanen und nach vier Runden sind wir schon wieder zurück in der Zivilisation des Fahrerlagers. Mit Staub fast bis zur Unkenntlichkeit paniert, verschwitzt, erschöpft aber komplett glücklich. Glücklich ist auch der Rest des Teams, denn mit 32 Minuten pro Runde liege ich unter der Zeitvorgabe von 2:15 Uhr.
Achse krumm: das Aus?
Am frühen Morgen passiert dann das Unglück: Ein übersehenes Schlagloch, ein Rempler der Konkurrenz: Abgefahrene Freilaufnabe, verzogene Achse – fahrunfähig. Während der zweite Jimny - Jimbob - des Werk 1 Racing-Teams von den Teamchefs Michael Podlogar und Dennis Meyer sowie Paris-Dakar-Gewinnerin Jutta Kleinschmidt weiterhin über den Kurs getrieben wird, steht Jimboy in der Box und streckt traurig sein Vorderrad von sich. Doch mein Beifahrer erweist sich als Retter in der Not und erweckt den Totgeglaubten zu neuem Leben. Sein Arbeitseifer steckt die anderen an, die Achse wird unter Hitze gerade gezogen und nach mehrstündiger Pause ist der kleine Suzuki zurück im Rennen.
Dankbarer könnte ich Markus nicht sein, denn schließlich geht es bei einem Ausdauerrennen vor allem um eines: Ankommen. Und das tut der kleine Jimny. Zwar kann er dank seines verletzten Vorderlaufs nicht mehr mit Fullspeed durch den Staub brettern, aber er hält durch.
Nach 24 Stunden fahren Jimboy und Jimbob unter dem Jubel der Zuschauer und des Teams gemeinsam durch den Zielbogen – Jimboy als 26., Jimbob als 13. der Autowertung. Und was wurde aus dem Staub, beim staubigsten Rennen der GORM-Geschichte? Ein starker Wind am zweiten Tag verwehte die Staubglocke und färbte den Himmel über Schwerin wieder blau.
Theresa Juranek