Warum fuchteln die da hinten eigentlich so rum? Entschleunigung haben sie gepredigt, totale Entspannung versprochen. Wer bitteschön, hat das Klassenziel eher erreicht als wir? In Altenessen schon verfahren, na und? Orientierungslos in Herdecke, da entfährt uns ja noch nicht einmal ein müdes "Omm". Zweimal sind wir gar hinter den Besenwagen zurückgefallen, wen stört's? Wieso also treiben uns die Helfer so vehement vom Schlosshof in Nordkirchen mit dem schnöden Argument, sie wollten dann irgendwann auch mal los? Die haben die Idee noch nicht richtig verinnerlicht.
Das Wort Rallye nimmt hier keiner in den Mund
Es ist eine automobile Wanderfahrt - WP bedeutet nicht Wertungsprüfung, sondern Wanderpunkt; Einladung zum Schlendern. Selbsterfahrung beim Umrunden der Wasserburg Vischering, statt Roadbook ein Körbchen Erdbeeren in der Hand. Auch von Siegern und Verlierern wird nicht gesprochen. Es gibt Sonderpokale für die Schönheit des Vehikels und unterwegs absolvierte Spielchen, aber ansonsten keine Schummeleien mit im Radio eingebauten Schnittcomputern, keine Proteste, kein Klassement. Hier darf sich jeder als Sieger fühlen - Waldorfschule auf Rädern.
Das finden nicht alle gut, und so hocken zwei Herren nach dem Etappenziel beim Bier in der Hotelbar, weisen auf die Großleinwand, wo die zweite Halbzeit des müden WM-Kick zwischen Brasilien und Portugal angefangen hat. "Pillepalle, wie diese Veranstaltung", sagt Werner Reifferscheid. Beifahrer Wolfgang Obladen vermisst seine Stoppuhr. "Mein rechter Daumen weiß gar nicht, was er tun soll." Also zwei Zeitprüfungen hätten sie schon einbauen können, meinen die Herren beim Herrengedeck.
Die andere Fraktion ist deutlich in der Mehrheit und fährt sorglos schlicht den allerorten aufgehängten Richtungsanzeigern nach. "Wie herrlich", jubelt Marianne Kaimer aus Kettwig - und weigert sich seit Kurzem strikt, Chinesenzeichen zu entziffern. "Wir hatten uns dauernd in der Wolle", meint sie mit Hinweis auf Ehemann Friedhelm. Viele sind der Roadbooks überdrüssig, der Schlauchprüfungen müde. Helga Kessler bringt es auf den Punkt: "schöne Landschaften, schöne Autos, kein Stress". "Die rennen uns die Bude ein", sagt ein ADAC-Sprecher. Deutschlands größter Automobilclub sieht sich als Erfinder der Wanderfahrten und hat die Zeichen der Zeit erkannt. Nach Jahren des Freikletterns auf der Karriereleiter, der hemmungslosen Geldvermehrung, der ständigen Erreichbarkeit, des immer im Dienstseins sehnt sich der Mensch nach Ruhe.
Künstliche Verlangsamung ist nicht gefragt
Walter Röhrls Stammbeifahrer Christian Geistdörfer hat passend einen Wanderer aus dem Audi-Museum organisiert und mosert schon nach dem Prolog über die Trillionen von roten Ampeln, gepaart mit Myriarden von Baustellen. Sein Beifahrer Dr. Scheuer, Staatssekretär im Bundes-Verkehrsministerium, teilt Geistdörfers Abneigung. Der CSU-Mann versucht aber routiniert, parteipolitisches Kapital aus der heftigen Bautätigkeit zu schlagen: "Da kann man mal sehen, wie unser Konjunkturpaket greift."
400 haben eine Nennung abgegeben, 105 Autos dürfen starten. Weniger ist mehr. "Bei fünf Versuchen durften wir ein einziges Mal die Trentino Klassik mitfahren", sagt Andreas Färber grinsend. Gleichmäßigkeitsprüfungen sind nicht sein Ding, wenn schon würde er mal gern ein richtiges Rennen fahren. Bis dahin fühlt er sich bei Wanderfahrten bestens aufgehoben. "Die Organisation ist erste Sahne, nur fühlten wir uns so geschlossen." Der Opel P1 des Hamburgers trägt zum besten Sommerwetter ein unverrückbares Hardtop.
Auch unser Audi heizt sich schwerstens auf. Aber sich Träumen bollernder Klimaanlagen hinzugeben, wäre der völlig falsche Ansatz. Es gilt vielmehr, eins mit der Sonne zu werden. Lernen lässt sich von Vater und Sohn Kohaus, die einen Messerschmidt Kabinenroller an den Start gebracht haben. Vater Heinrich sitzt als Sozius hinten und genießt die Gegend in der "Sauna mit Durchzug".
Es ist nicht so, dass es um nichts ginge
Und so steht Anita Gajda nervös trippelnd auf dem Zierrasen vor Schloss Westerholt, im Anschlag einen Golfschläger, mit dem sie aus 75 Zentimetern Entfernung einputten soll. "Wenn du nicht triffst: Scheidung", hat Ehemann Waldemar verkündet. Die Umstehenden überlegen, ob er da nicht einen taktischen Fehler macht. Schön absichtlich daneben - keine Gütertrennung, die hübsche Alpine A 110 gehört praktisch schon ihr. Doch die bessere Hälfte versenkt den Ball souverän. Mit hohen Hacken hüpft sie über das Grün und jubelt: "keine Scheidung, keine Scheidung". Wahre Liebe nach 23 Jahren Ehe. Da muss sogar der Rasenmeister lächeln.
Es muss nicht immer gleich Liebe sein: "Die Freundschaften, die ich auf Wanderungen schließe, sind meiner Erfahrung nach wertvoller als die Bekanntschaften bei Wettbewerben", sagt Hans Middelberg. Vor Jahrzehnten hat er das beschauliche Deutschland gegen die Hektik von New York City eingetauscht. Der erfolgreiche Architekt ist derart überzeugter Wanderer, dass er für Aktionen wie die Trentino Klassik eigens einen seiner fünf Adenauer Mercedes über den Großen Teich schippern ließ.
Die Polizei traut dem Frieden nicht
Hinter Marl lungert eine Radarfalle. Verkniffene Gesichter unter den Dienstmützen, der Horch vor uns fährt statt der erlaubten 70 nur 55. Mit überhöhter Geschwindigkeit sind wir nur einmal unterwegs. Auf dem Gelände der Polizeiakademie bei Bork wimmelt es von Uniformen, da juckt es einfach zu stark im Fuß. Ansonsten schnurrt unser Audi 100 wie ein Kätzchen durch die Lande. Rüstige 38 Jahre alt, aber 100 PS, Automatik und Schiebedach. "Top in Schuss", sagt ein Bewunderer auf dem überfüllten Marktplatz von Castrop Rauxel. Hier gilt Mausgrau übrigens noch als leuchtende Farbe. Die Leute lächeln, es ist aber auch wirklich ein sehr fröhliches Grau.
Über dem Ruf des Ruhrgebiets liegt dagegen immer noch des Rußes Schwärze. Viele Süddeutsche waren noch nie da; wer tauscht schon den Schwarzwald gegen einen Wald von rauchenden Schloten? Dabei sind die meisten Schornsteine verschwunden, die Fördertürme heute Denkmale. Der Startort Essen ist in diesem Jahr Europas Kulturhauptstadt. Das Stauwehr am Baldeney-See ist lila erleuchtet, im Wasser schwimmen Kunstskulpturen. Auf dem Schiffchen spielt eine Dixie-Band, der Renner am Büffet ist Currywurst. Isolde Holderied ist so bayerisch, dass sie zu Zeiten ihrer Profikarriere im Rallyesport auch schon mal Fotos im Dirndl machen ließ. "Ich bin überrascht, wie viel Landschaft es hier gibt", sagt sie. Hans Middelbergs Leben ist reicher geworden: "Seit ich so viele Oldtimer-Rallyes fahre, lerne ich die deutschen Landschaften schätzen."
Beim Verlassen der Schnapsbrennerei bei Obersprockhöfel sind wir die Vorletzten. Der Fahrer des Besenwagens lädt einen Käfer auf, der total im Hier und Jetzt aufgegangen ist. Er hat vor lauter Entspannung die Bremsflüssigkeit einfach laufen lassen und rührt sich kein Stück mehr. Früher bestimmten Eile und Effizienz sein Leben. Er war mal Pannenhelfer beim ADAC.