Wenige Tage vor dem Start der Histo-Monte zeigen deren Teilnehmer ein ähnliches Verhalten wie ansonsten der Rest der Republik vor Weihnachten: Mit Spannung schauen sie immer wieder prüfend gen Himmel, hören stündlich den Wetterbericht und senden regelmäßig Stoßgebete an Frau Holle, um ein paar möglichst schneereiche Tage zu erbitten. Schließlich ist der Erfolg einer Winterrallye direkt proportional zur Schneehöhe auf den Wertungsprüfungen und zur Güte der Minusgrade, ein tibetanischer Mathematiker soll das angeblich mal bewiesen haben.
In diesem Jahr jedenfalls entwickeln sich die Vorhersagen prächtig
Nach einem nicht wirklich weißen Weihnachten haben verschiedene Tiefausläufer das Land seit Wochen fest im Griff; in Teilen Deutschlands, die von der Außenwelt abgeschnitten sind, sprechen in nordischen Sagen Bewanderte bereits vom Fimbulwinter, der das Ende der Götter ankündigt. Als dann noch während der Fahrzeugabnahme auf dem Marktplatz im hessischen Hanau bekannt wird, dass auf der ersten Etappe bis Freiburg gleich zwei Prüfungen wegen Unpassierbarkeit abgesagt werden müssen, glänzen die Augen der rund 100 Teilnehmer wie die von Kindern unterm Weihnachtsbaum.
Aufgeregt prüfen sie noch einmal die Profiltiefe ihrer grobstolligen Winterreifen und klappern vergnügt mit den Schneeketten. "Ohne ordentlich Schnee ist eine Winterrallye sinnlos, da kann man ja gleich im Sommer fahren", bekräftigt auch mein Beifahrer Stephan Huber, während er probiert, wie schnell man im Zweifel die beiden Ersatzräder mit bereits aufgezogenen Ketten hinter Fahrer- und Beifahrersitz des Skoda 110 R hervorwuchten kann. "Das Wechseln beider Hinterräder geht erfahrungsgemäß schneller als das Kettenauflegen", meint Jens Herkommer.
Der 40-jährige Skoda-Spezialist aus dem Erzgebirge schaut noch einmal in den rückwärtigen Maschinenraum des Heckmotor-Coupés: Öl, Kühlwasser, Keilriemen, alles da, und rät: "Motor und Getriebe habe ich gerade überholt; geht es also zu Beginn gelassen an." Dann entlässt er uns mit einem beruhigenden "die Ketten werdet ihr übrigens kaum brauchen, das Differenzial hat eine 40-Prozent-Sperre" an den Start.
Insgesamt 28 Wertungsprüfungen
1.740 Rallyekilometer liegen laut dem 162 Seiten starken Roadbook vor uns bis in den Hafen von Monte Carlo, und schon nach wenigen Kilometern wird klar, dass die Streckenführung wenig mit den bisherigen 15 Ausgaben der Histo-Monte gemein hat. So fehlen beispielsweise bereits auf der ersten Etappe zwei liebgewonnene Prüfungen langjähriger Teilnehmer, nämlich das Opel-Testzentrum in Dudenhofen sowie der gefürchtete Chemin de Kreuzberg im Elsaß. Dafür hat Organisationsleiterin Gabriele Triefenbach insgesamt eine Route ausgesucht, die zum besten gehört, was man zwischen Hessen und der Côte d‘Azur anstellen kann.
"Der Streckenverlauf ist wirklich sehr schön", lobt auch Klaus Peter Thaler, der mit dem Werks-Opel Commodore B GS längst zum Inventar der Histo-Monte zählt. Falls also jemand in diesem Jahr ein paar Tage Zeit hat und nicht weiß, was er damit anstellen kann, sollte er vielleicht ganz artig bei Frau Triefenbach anrufen und um ein überzähliges Roadbook bitten. Selbst wer den Pfälzerwald, die Vogesen, das französische Jura und die Seealpen schon unzählige Male durchstreift hat, wird wunderschöne Passagen entdecken, von denen er bislang nichts wusste. Das Beste daran aber ist in diesem Februar, dass der Asphalt zumeist von einer Schneeschicht bedeckt ist, insbesondere auf den insgesamt 28 Wertungsprüfungen.
Das beginnt gleich auf der ersten WP "Ruine Rodenstein", im Prinzip ein Rundkurs, auf dem man sich prächtig verfahren kann und zwei Mal mit einer vorgegebenen Zeit durch dasselbe Ziel eilen muss. Wir schießen natürlich im Eifer des Gefechts mit Vollgas über das erste Ziel hinaus, verfehlen dadurch den Linksabzweig zwanzig Meter dahinter, müssen drehen und auf dem rutschigen Geläuf Zeit aufholen. Zum Glück entwickelt der 1,1-Liter-Reihenvierzylinder des Skoda dank Jens Herkommers kundigen Händen schon bei niedrigen Drehzahlen richtig Kraft, und die Traktion des gut 800 Kilogramm leichten Coupés ist in der Tat hervorragend, so dass wir die Zielzeit nur um wenige Zehntel verfehlen.
"Damals waren das bei uns absolute Traumautos"
Ein paar Prüfungen und eine Mittagsrast in Pirmasens weiter kurz nach der französischen Grenze ist schon die Anfahrt zur WP "Col de Goetzenburg" ein einziges rutschiges Abenteuer. "Wenn die WP genauso aussieht und wir dort einen 45er Schnitt fahren sollen, dann schnallst du dich jetzt besser richtig an", grinse ich zu meinem Beifahrer herüber. Doch zu früh frohlockt, der Aufstieg zum Col ist meist schneefrei. Am Abend in Freiburg sind die ersten Positionen bezogen, es führt Klaus Peter Thaler mit Udo Volckmann im Opel.
Dahinter lauern die üblichen Verdächtigen, darunter die Vorjahressieger und Vorvorjahressieger Matthias Kahle und Peter Göbel. Die beiden mehrfachen deutschen Rallyemeister fahren einen nahezu identischen 110 R von 1971 in derselben auffälligen Werkslackierung, einzig die Zulassungsnummer unterscheidet ihr Coupé von unserem. Mit dem privaten, gelben Exemplar von Rainhard und Sylvia Bauer bewegt sich noch ein dritter 110 R im Teilnehmerfeld, was umso bemerkenswerter ist, weil die tschechischen Coupés in freier Wildbahn sonst so selten sind wie eine blaue Mauritius.
"Vom 110 R sind in zehn Jahren lediglich 56.902 Einheiten gebaut worden, und nur ganz wenige davon kamen in die DDR", erklärt Jens Herkommer: "Damals waren das bei uns absolute Traumautos." Verständlich, schließlich mussten sich die schnellen Tschechen technisch vor dem Westen nicht verstecken. Was spätestens der aus dem 110 R hervorgegangene Skoda 130 RS bewies, mit dem Václav Blahna bei der Rallye Monte Carlo 1977 seine Klasse gewann und der als bester Gruppe 2-Tourenwagen gekürt wurde. Dieses Rallye-Tier hatte mit 140 PS zwar beinahe doppelt so viel Leistung wie unser 110 R, doch auch unser Motor dreht nach jedem Gipfelsturm freier hoch.
"Durch den Schnee ist es diesmal deutlich anspruchsvoller als sonst"
Das Fahrgefühl liegt irgendwo zwischen Alpine und 356, und die Traktion ist dank Heckmotor und Sperre in der Tat phänomenal: Egal ob in Le Markstein in den Vogesen, am Mont de Laval im Jura oder später am Col de Grimone in den Seealpen - wo andere längst Haftung und Haltung verlieren, zieht der Skoda unbeirrt seine Bahn. Bis zum Schluss bleiben unsere Schneeketten trocken. "Durch den Schnee ist es diesmal deutlich anspruchsvoller als sonst", konstatiert Opel Kadett C GT/E-Fahrer Klaus Schepper - und sieht dabei sichtlich erfreut aus.
Und manches Gefährt, das für den Wintersport nicht auf den ersten Blick geeignet scheint, entpuppt sich gar als Traktionswunder: "Wir haben auch noch keine Ketten gebraucht", erklärt Jaguar Mk2-Bändiger Lorenz Inhof. "Nur bergab schieben die knapp zwei Tonnen Lebendgewicht dann doch ganz schön", schränkt der Schweizer lächelnd ein. Am Abend in Aix-les-Bains haben sich heimlich, still und leise Reinhard und Doris Huemer mit ihrem VW 1302 S ganz nach oben im Klassement gearbeitet. Bereits im vergangenen Jahr hatte das österreichische Vater-Tochter-Team, das ausschließlich mit mechanischen Uhren und Wegstreckenzählern arbeitet, einen vierten Gesamtrang gefeiert, diesmal könnte es noch besser werden.
"Letztes Mal war es so lustig, da mussten wir unbedingt nochmal fahren", sagt Reinhard Huemer. Das Erfolgsrezept des 56-Jährigen: "Nur nicht so viel am Tripmaster korrigieren." Das wirkt auch auf der dritten Etappe bis Monte Carlo und auf der letzten Schleife am vierten Tag, die über den Col de Turini nach Italien führt - historisch korrekt, denn auch bei der Monte 1975 wurden zwei Prüfungen der Rallye San Remo gefahren.
Und so können die Teams noch den berühmten "Röhrl"-Schriftzug am Abzweig nach San Romolo bewundern, den der benachbarte Kiosk-Besitzer seit 1986 regelmäßig erneuert, und Mittags im bekannten Rallye- Restaurant "Dall´Ava" speisen. Nur Schnee gibt es hier keinen mehr. Und am liebsten wäre den Teilnehmern natürlich eine dichte Decke vom Marktplatz in Hanau bis in die Einfahrt zur Tiefgarage des Le Meridien Beach Plaza in Monaco. Das wäre dann wie Weihnachten, Ostern und Histo-Monte am selben Wochenende.