Als VW sich im Frühjahr 2017 im Zuge von Abgasmanipulationen vor einem US-Gericht der Verschwörung zum Betrug, der Behinderung der Justiz der Vereinigten Staaten und des Verkaufs von Fahrzeugen unter falschen Angaben für schuldig bekannte, war das einer der Höhepunkte des Dieselskandals. Die Folge waren massive Strafzahlungen von Volkswagen. Die Eigentümer der 590.000 auf dem US-Markt manipulierten Fahrzeuge bekamen eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 11 Milliarden Dollar (aktuell umgerechnet zirka 9,3 Milliarden Euro). Weitere zwei Milliarden Dollar (1,69 Milliarden Euro) steckte VW in das Projekt Electrify America, mit dem, unter anderem, in den gesamten USA ein Netz von Schnelladesäulen für Elektroautos aufgebaut wird. Wenig beachtet blieben bisher die 2,9 Milliarden Dollar (2,45 Milliarden Euro), die VW in einen Treuhandfond stecken musste. Über diesen Fond soll der Schwerlastverkehr in den gesamten USA sauberer werden – für die Verteilung der Gelder sind die einzelnen Bundesstaaten zuständig. Überraschender Weise könnte genau dieser Fond zu mehr Nutzfahrzeugen mit Dieselantrieb führen, wie die New York Times jetzt berichtet.

Elektro-Schulbus dreimal so teuer wie ein Dieselbus
Der Schritt zu rein elektrisch angetriebenen Fahrzeugen ist manchen US-Bundesstaaten einfach noch zu teuer. So kostet ein klassischer US-Schulbus mit Elektromotor das Dreifache eines Diesel-Busses. Aber moderne Dieselmotoren sind ungleich sauberer als alte – trotzdem sorgen sie immer noch für lokale Emissionen. Ob das wenigstens als Übergangslösung vertretbar ist, darüber ist in den USA eine heftige Diskussion entbrannt. Schließlich sind nach den US-Regelungen alle Dieselfahrzeuge und auch Schiffe, wie beispielsweise Fähren, bis Baujahr 2009 im Rahmen der Fondzahlungen durch moderne Antriebe ersetzbar. Zu den Fahrzeugen zählen auch Lkw, Ackerschlepper, Gabelstapler und Flughafen-Spezialfahrzeuge. Die US-Handelsgruppe Diesel-Forum empfiehlt, dass etwa 70 Prozent des Fondgeldes in den Austausch alter gegen neue Dieselmodelle fließen sollte.

Neue Diesel wären noch lange im Gebrauch
Katherine Stainken, Policy Director bei der Non-Profit-Organisation Plug In America, findet das beunruhigend. Plug In America hat sich der Aufklärung über und der Verbreitung von Elektromobilität im Zusammenhang mit lokal erzeugten erneuerbaren Energien verschrieben. Stainken betont, dass das Geld nicht für Antriebe ausgegeben werden sollte, die lokale Emissionen verursachen, sondern ausschließlich für Elektrofahrzeuge – auch im Schwerlastbereich. Schließlich könne ein neuer Diesel-Lkw noch 20 Jahre unterwegs sein. Das Diesel-Forum entgegnet, dass die Abgasvorschriften für neue Dieselmotoren sehr streng seien. Verantwortliche des Forums führen eine Studie an, laut der die schädlichen Emissionen von Nutzfahrzeugen in den letzten Jahren um 94 Prozent gesunken seien. Laut der US Environmental Protection Agency (EPA) ist der Ausstoß schädlicher Stoffe bei Nutzfahrzeugen seit 1970 um 99 Prozent heruntergegangen.

Ein Dieselschlepper gleich 74.000 Pkw
Allen Schaeffer, Chef des Diesel-Forums, betont, dass alte Dieselantriebe im Schwerlastbereich zu den größten Stickoxidquellen zählen. Einen alten Dieselschlepper gegen einen neuen zu tauschen, hätte den gleichen Effekt, als nehme man 74.000 Pkw von der Straße. Ken Adler, leitender Wissenschaftler bei der nichtstaatlichen Umweltschutzorganisation Environmental Defense Fund, sieht in der Abwägung zwischen neuen Dieselmotoren und Elektroantrieben eine Frage der inneren Einstellung: Wer von einer existentiellen Bedrohung durch einen Klimawandel ausgeht, setzt wohl eher auf Elektroantriebe – aber neue Dieselmotoren seien tatsächlich sauber.

Elektroantriebe für schwere Nutzfahrzeuge noch nicht alltagstauglich
Das Elektro-Lager gibt bei der Diskussion zu, dass elektrische Antriebe für den Schwerlastverkehr noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium stecken. Tesla hat einen Sattelschlepper mit einer Reichweite von 805 Kilometer angekündigt, aber die ersten Auslieferungen auf 2021 verschoben. Tesla-Nutzfahrzeug-Konkurrent Nikola wollte ebenfalls einen batteriebetriebenen und einen Lkw mit Brennstoffzellen-Antrieb auf die Räder stellen. Allerdings kamen Zweifel am Entwicklungsstand der Technik des Startups auf, in deren Zuge Firmenchef Trevor Milton zurücktreten musste – aktuell ist unklar, wie es um Nikola steht. Gleichzeitig hegen Wissenschaftler inzwischen auch Zweifel an der Tauglichkeit von Brennstoffzellen-Antrieben selbst für schwere Nutzfahrzeuge. Liebherr bietet allerdings inzwischen einen vollelektrischen Beton-Fahrmischer an – dies funktioniert, da solche Fahrmischer vom Zementwerk zur Baustelle üblicherweise nur vergleichsweise kurze Strecken zurücklegen.

Kalifornien bei Bewertung nicht vorn
Die in den USA und Kanada beheimatete Verbraucherschutzorganisation Public Interest Research Group (PIRG) sieht in der Anschaffung neuer Dieselfahrzeuge eine vertane Chance und hat eine Bewertungsliste zur Einschätzung des Ausgabeverhaltens einzelner Bundesstaaten erstellt. Washington State und Hawaii bekamen die Bestnote A-plus, Rhode Island und Vermont erreichten immerhin noch ein A. Kalifornien bekommt das meiste VW-Geld, da in dem Bundesstaat die meisten vom Dieselskandal betroffenen VWs zugelassen waren – und der in Sachen Umweltschutz als fortschrittlich geltende Bundesstaat erreicht nur ein B. Washington, D.C., Puerto Rico und 21 weitere Bundesstaaten bekommen nur ein D – das bedeutet, dass sie der Elektromobilität bei Nutzfahrzeugen aktuell keine Priorität einräumen.

Diesel soll keine echte Erneuerung sein
Matt Casale, bei der US-amerikanischen PIRG zuständig für Umweltkampagnen, möchte allein deshalb Elektroantrieben den Vorzug einräumen, damit nicht die gleichen Technologien weiterbestehen, die einst für die zugrundeliegenden Probleme verantwortlich waren. Außerdem seien auch viele Diesel-Nutzfahrzeuge am Ende ihrer Lebensdauer angekommen und bedürfen ohnehin eines Austausches – dies mit dem VW-Geld zu bezahlen, widerspräche dem Gedanken einer Erneuerung. New York, von der PIRG wie Kalifornien mit einem B bewertet, erstattet bei einer Anschaffung eines Elektronutzfahrzeugs 95 Prozent der Mehrkosten, die gegenüber einem Diesel-Fahrzeug anfallen. Emissionsfreie Busse subventioniert der Bundesstaat komplett, Schulbusse zu 80 Prozent. New York profitiert dabei auch vom langsamen Start seines Investitionsprogramms und kann jetzt mit Technologien planen, deren kurzfristige Realisierung vor drei Jahren noch nicht absehbar war.