Der Aufschrei ob der scheinbaren Sensation war vor allem in den USA groß: Porsche bringt sieben Jahre nach Tesla ein vergleichbares, aber erheblich teureres E-Auto auf den Markt dessen Reichweite aber wird von der Long-Range-Variante des Tesla Model S 100 D um 85 Prozent getoppt.
Die Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency), ja, die, die VWs Dieselskandal verfolgt hat, zertifiziert auch Verbrauch und Reichweiten von Autos. Beim Porsche Taycan Turbo gibt sie umgerechnet 30,4 kWh/100 km und eine Reichweite von 323 Kilometern (201 Meilen) an. Mitte Januar 2020 taxierte die US-Behörde die Reichweite des stärkeren Taycan Turbo S sogar nur auf rund 309 Kilometer (192 Meilen). Zum Vergleich: Für die Performance-Variante des Model S P100 nennt die EPA einen Verbrauch von umgerechnet 19,8 kWh/100 km sowie eine Reichweite von 560 Kilometern. Damit ist die Reichweite des schnellsten Tesla-Modells bei der US-Behörde 73 Prozent höher als die des zweitschnellsten Taycan.
Harte Temperatur-Korrektur bei der EPA
Warum also kommt der Taycan bei der EPA so schlecht weg? Da hilft der Blick auf die Methodik der US-Behörde. Sie hält zur Ermittlung der Reichweite von Elektroautos zwei Möglichkeiten bereit. Beide Varianten sehen Verbrauchsmessungen in klassischen Highway- sowie City-Zyklen mit unterschiedlichen Ladezuständen der Batterie auf dem Prüfstand vor und korrelieren den Verbrauch mit dem Energiegehalt der Batterie. Beide versuchen zudem einen Faktor zu ermitteln, der den Einfluss der Temperatur repräsentieren soll. Möglichkeit 1 fährt die Messungen mit verschiedenen, unterschiedlichen Temperaturstufen, eine komplizierte Berechnung ergibt dann den Faktor. Möglichkeit 2 verwendet pauschal den Faktor 0,7. Weil die bisherige Praxis nur geringe Unterschiede (im einstelligen Meilenbereich) zwischen den beiden Methoden ergab, entschied sich Porsche für die weniger aufwendige Methode 2. Mit dem bekannten Ergebnis. Der große Einfluss der Temperatur hat seine Ursache darin, dass die EPA Angaben machen will, die keinem Käufer im geographisch und klimatisch ausgedehnten Nationalstaat eine irreführende Angabe machen möchte.
Zum Vergleich: Der WLTP in Europa wird bei 23 Grad auf dem Prüfstand gefahren, dann wird rechnerisch korrigiert auf 14 Grad (mittlere Temperatur in Europa). Die 323 Kilometer EPA-Reichweite des Taycan mit dem Kehrwert von 0,7 multipliziert ergeben eine in den US-Zyklen gemessene Reichweite von gut 462 Kilometern. Mit der europäischen Temperatur-Korrektur führte das vermutlich wieder mitten in den WLTP-Bereich (381 bis 450 Kilometer).
Mit der Abweichung der EPA-Reichweite vom WLTP-Wert ist Porsche in guter Gesellschaft anderer nicht-amerikanischer Hersteller: Der Audi E-Tron (WLTP-Reichweite bislang: 411 Kilometer) schaffte 204 Meilen, der Jaguar i-Pace (WLTP-Reichweite: 480 Kilometer) 234 Meilen. Was sich beim Porsche zusätzlich ungünstig ausgewirkt haben dürfte: Die EPA verlangt, die Testfahrzeuge so auszustatten, wie sie die meisten Kunden kaufen würden. Optionen, die mehr als 33 Prozent der Kunden wählen (würden), müssen ins Prüffahrzeug. Porsche bietet traditionell viele Individualisierungsmöglichkeiten, welche die Kunden gerne wählen. Viele davon sind übers Gewicht hinaus verbrauchsrelevant, wie große Räder etwa (beim Taycan bis 22 Zoll). Insofern musste man für die USA auch ohne den Korrekturfaktor von 0,7 eher mit dem unteren WLPT-Wert rechnen (380 Kilometer).
Vergleichstest: Audi E-Tron gegen Jaguar i-Pace, Mercedes EQC und Tesla Model X
Tesla sparsamer als Taycan
Bleibt noch die Frage, warum Tesla so viel besser abschneidet und bei der US-Marke der Abstand zur WLTP-Reichweite nicht so groß ist. Das Tesla Model S in der Performance-Variante „verliert“ nur 38 Kilometer von WLTP nach EPA. Allerdings klafft schon beim NEFZ-Verbrauch zwischen Porsche Taycan Turbo und dem Model S in der Performance-Variante eine Lücke von 6 kWh (20 versus 26 kWh/100 km). Der Tesla ist also sparsamer – in Zyklen, die wenig Last fordern. Bei Porsche ist man überzeugt, dass solche Abstände um so kleiner werden, je dynamischer das Fahrprofil.
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Das passt zum Entwicklungsziel des Taycan: Porsche hat von Anfang an versucht, ein besonders fahrdynamisches Elektroauto, einen elektrischen Sportwagen eben, zu bauen. Verbrauch und Reichweite mit einer Ladung waren nicht erste Priorität. Vielmehr sollten die Kunden im Alltag schnell über weite Strecken reisen können, ohne wegen einer schweren Riesenbatterie oder reibungsarmer Reifen bei der Fahrdynamik Einbußen hinnehmen zu müssen. Also: Lieber schneller fahren und dann wieder schnell laden – mit 800-Volt-Technik. Der Reichweitenrekord von Porsche geht daher anders: In Nardò schaffte ein Taycan-Prototyp 3.425 Kilometer innerhalb von 24 Stunden – trotz Ladestopps. Das ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 143 km/h. Die Fahrgeschwindigkeit lag trotz Außentemperaturen von bis zu 42 Grad zwischen 195 und 215 km/h.
Bei Zyklus-Messungen mit viel niedriger Teillast und Konstantfahrt ist damit wenig Staat zu machen. 800 Volt-Technik und die teuren, zwei permanent erregten E-Maschinen haben Effizienzvorteile erst bei größeren Leistungsanforderungen, Abtrieb und haftungsstarke Reifen bringen hingegen Nachteile, helfen aber der Fahrdynamik. Was der Taycan viel besser kann, als der Tesla: Volllast immer wieder.
Taycan Turbo S im auto motor und sport Test
So beschleunigte Porsche ein Vorserienfahrzeug 26 Mal hintereinander aus dem Stand von null auf 200 km/h. Der durchschnittliche Beschleunigungswert der Messfahrten lag dabei laut Porsche unter zehn Sekunden, die Differenz zwischen schnellster und langsamster Beschleunigung bei 0,8 Sekunden. Ein Model S P100D Performance schaffte im sport auto Vergleichs-Test hingegen keine ganze Runde auf dem kleinen Kurs in Hockenheim mit voller Leistung.
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Eine Verbrauchsmessung war dabei nicht mehr sinnvoll. Aber der Taycan Turbo S konnte im ersten Test überhaupt (auto motor und sport 01/2020) seinen NEFZ-Verbrauch (26,9 kWh/100 km) auf der zwar sparsam, aber im Winter auf öffentlichen Straßen gefahrenen Eco-Runde mit 22,7 kWh/100 km sogar unterbieten. Die dazu passende Reichweite (415 Kilometer) toppt den vergleichsweise realistischen WLTP-Wert (388 bis 412 km). Wohlgemerkt: auto motor und sport testete den Taycan Turbo S. Für den Turbo nennt Porsche einen WLTP-Wert von 381 bis zu 450 Kilometer. Im Sport-Fahrer Verbrauch von auto motor und sport, erheblich flotter gefahren als es den meisten US-Kunden erlaubt sein dürfte, zog der Taycan Turbo S 43,8 kWh/100 km. Das würde einer Reichweite von 215 Kilometern entsprechen – ein Wert, der auch für ähnlich starke, rasant bewegte Verbrenner gelten könnte. In derselben Disziplin konsumierte ein Tesla Model X in der Long Range Version in einem Vergleichstest von Elektro-SUVs übrigens 49,5 kWh/100 km.
Äpfel und Birnen
Ein unfairer Vergleich? Auf jeden Fall! Hier müssten wir unbedingt hinzufügen, dass das Modell X viel größer ist als der Taycan, mehr Platz und Transportfähigkeit bietet und deswegen mehr Stirnfläche aufweist … Und beim Vergleich der EPA-Reichweite von Taycan und Model S müsste man eben dazu sagen, was der Taycan besser kann, als das Model S. Das muss die EPA nicht. Sie teilt nur mit, wie weit eine volle Batterie eines Autos einen US-Kunde mit großer Wahrscheinlichkeit bringt – egal, wo. Und egal wie schnell der Akku geladen werden kann.