Cinemania ist ein deutscher-amerikanischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2002. In dem Film geht es um fünf New Yorker Filmfreaks, die seit Jahren täglich drei bis fünf Filme ansehen – im Kino. Einer der Kinosüchtigen beteuert, dass er komplett in der Filmwelt lebe und dass es für ihn keinen Grund gäbe, der Realität den Vorzug zu geben. Nächster Hinweis dann beim kalifornischen Concours d'LeMons 2017: Ein Mann mit Hasenkostüm-Kopf tanzt neben seinem bizarren Auto – dabei trägt er ein T-Shirt mit der Aufschrift "Reality sucks". Mild ausgedrückt ist dieser Mann also mit der Realität unzufrieden. Es scheint durchaus den Wunsch zu geben, die Realität mehr oder weniger den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Das macht BMW jetzt – mit der Studie iVision Dee, die gleichzeitig ein Vorgeschmack auf die Fahrzeuge der ab 2025 ausgelieferten Neue Klasse sein soll. Dee steht für Digital Emotional Experience, also für ein digitales Emotionserlebnis. Das findet über ein Monster-Head-up Display statt, dass die komplette Frontscheibe abdeckt. Das System kann mehr, als es der gute alte Fahrerlebnis-Schalter in der BMW-Mittelkonsole je konnte.
Im Zuge der Vorstellung des iVision Dee bezeichnet sich BMW als die Head-up Display Company. Die Frontscheiben-Displays kamen bereits in den 1940er-Jahren in Kampfflugzeugen zum Einsatz, längst nutzen auch Piloten in der zivilen Luftfahrt diese ergonomische Projektions-Technik. Als erster Autokonzern setzte GM 1988 ein Schwarz-Weiß-Head-up-Display in der fünften Generation des Oldsmobile Cutlass Supreme ein, Ende der 1990er-Jahre konnten Fahrer der sechsten Generation des Nissan 240SX ebenfalls so ein Display bestellen. Mit einem farbigen Head-up Display rüstete GM erstmals im Jahr 2001 die Corvette aus. Und als erster europäischer Hersteller stieß dann BMW 2003 dazu – für den 5er und den 6er gab es ein Head-up Display von Siemens VDO. Ingenieure und Kunden waren von dieser Art der Anzeige so begeistert, dass die Bayern dran geblieben und tatsächlich zum einem führenden Hersteller von Autos mit Head-up Display gewachsen sind.
Scheinwelt-Steigerung mit Reality Slider
Head-up Displays sind bereits Erweiterte Realität (augmented reality) – oder zumindest ein Vorläufer davon. Und BMW geht beim iVision Dee in Sachen Head-up Display einen Riesenschritt: In fünf Stufen soll sich die Realität gegen eine virtuelle Wirklichkeit tauschen lassen – bei Stufe fünf zeigt der Blick in die Frontscheibe dann frei erfundene Welten, nur die Straße ist noch reell. Die einzelnen per Armaturenbrett-Touch-Sensorik abrufbaren Stufen nennt BMW Slider, das ganze System heißt demzufolge Reality Slider. BMW-Entwicklungs-Chef Frank Weber spricht von reinventing reality – er möchte also die Realität neu erfinden. Dafür sollen später auch einmal die Seitenscheiben dimmbar sein und als Projektionsfläche dienen. Beim iVision Dee ist auch der Blick von außen nach innen manipulierbar – auf Wunsch projiziert die Technik den Avatar (eine dem Internetbenutzer in der virtuellen Welt zugeordnete künstliche Figur) in die fahrerseitige Seitenscheibe – für Außenstehende sitzt dann also optisch ein Fahrer am Steuer.

Ab 2025 bietet BMW Head-up Displays, die über die komplette Windschutzscheibe reichen, in Serienmodellen der Neuen Klasse an.
Adrian van Hooydonk, Chefdesigner der BMW Group, betont, dass moderne Autos wie der iVision Dee zum ultimate digital companion werden sollen – also zum ultimativen digitalen Begleiter. Dabei schließen die Bayern die Software anderer Hersteller nicht aus: Smartphones mit Android- oder Apple-Betriebssystem sollen sich auch weiterhin komfortabel mit der BMW-Technik koppeln lassen. Aber die BMW-Verantwortlichen betonen auch, dass ein Smartphone nicht bei Wind und Wetter Personen und Gepäck in einem geschützten klimatisiertem Raum von A nach B bringen kann, weshalb sich das Smartphone, die BMW-eigene Projektions-Technik sowie Software und das Auto an sich prima ergänzen.
Neue Konstruktions-Konzepte
Beim iVision Dee geht es BMW noch um zwei weitere Aspekte: Fahrzeuge des Konzerns sollen so schnell wie möglich zu 100 Prozent nachhaltig sein und die Elektromobilität soll mit den kommenden Autos noch mehr Vorteile bieten. 2025 erfolgt dann mit der Einführung der neuen Klasse ein "giant step" – also ein Entwicklungsschritt, wie es ihn bisher in der Geschichte des Herstellers noch nicht gegeben haben soll. So kommen neue Batterietypen mit Rundzellen anstelle der bisher verwendeten prismatischen Zellen zum Einsatz, die zum einen eine höhere Energiedichte aufweisen und für deren Herstellung zum anderen weniger kritische Rohstoffe nötig sind. 2030 soll dann eine reichweitenstarke Feststoff-Batterie einsatzbereit sein. Die Batterien kommen als Cell-to-Pack-Konstruktion, oder nach BMWs eigener Schreibweise, als Pack-to-Open-Body-Konzept ins Fahrzeug. Bei Cell-to-Pack sind die Batteriezellen direkt in den Akku integriert, einzelne Batteriemodule gibt es nicht mehr.

Mehrfarbige E-Ink-Technologie
Und auch beim Design ist der iVision Dee ein großer Schritt – bisher gab es keinen BMW mit so wenig Linien. Schlicht, glatt und mit veränderbaren Außenfarben in insgesamt 240 Segmenten an Front, Heck und den Zierstreifen unter und hinter den Seitenscheiben. Die Anschlussstecker der Farbwechsel-Segmente sind deutlich schlanker und kleiner als bei der E-Ink-Vorgängerstudie xFlow, die BMW Anfang 2022 zur CES mitgebracht hatte. Inzwischen sind nicht mehr nur schwarz und weiß, sondern auch echte Farben in vielen Abstufungen möglich – insgesamt kann die Technik jetzt 32 Farben darstellen. Die Wechselzeit ist erheblich kürzer als noch beim gemächlich umschaltenden iX Flow. Die kurze Reaktionszeit ermöglicht auch das Darstellen von Gesten – in Kombination mit einer Spracherkennung soll so eine emotionale Kommunikation mit der Darstellung von Gefühlen möglich sein. Ursprünglich war die E-Ink-Technik für das blendfreie Anzeigen von Warnhinweisen im Innenraum gedacht – die Kunden interessieren sich aktuell aber anscheinend mehr für den Entertainment-Aspekt der Farbwechsel.
Innen ist der iVision Dee, der so ähnlich mal als neuer BMW 3er kommen könnte, ebenfalls sehr klar und übersichtlich gestaltet. Bildschirme gibt es nicht mehr – das frontscheibengroße Head-up Display bietet genug Platz für Entertainment und sämtliche Informationen. Die verkleideten Oberflächen sind mit nachhaltig gewonnenen Stoffen bezogen und Bedienelemente, beispielsweise zum Öffnen der Türen von innen, fehlen optisch komplett. Diese sind hinter dem Stoff versteckt und leuchten erst bei Bedarf durch den Bezugsstoff hindurch.
Vollautonomes Fahren kein Thema
Und etwas fehlt beim iVision Dee offensichtlich: BMW sieht das Konzept nicht als Technologieträger für autonomes Fahren. Das Thema scheint bei den Herstellern zunehmend an Bedeutung zu verlieren – anscheinend sind die Hürden für das Erreichen von vollautonomem Fahren nach Level 5 oder auch nur von teilautonomem Fahren nach Level 4 doch noch zu hoch. BMW gibt deshalb wieder die Parole "Hände ans Lenkrad – Blick auf die Straße" aus. Die aktuell eingesetzte Technik beherrscht Level 2 – und diese Technik wollen die Ingenieure weiter verbessern. Möglichweise kommt auch teilautonomes Fahren nach Level 3 für bestimmte Verkehrsgebiete, wie beispielsweise die Autobahn. Diese Technik soll dann auch einer breiten Käuferschaft zur Verfügung stehen.
Den iVision Dee zeigt BMW auf der CES 2023 (5. bis 8. Januar in Las Vegas).