Class One steht: Schulterschluss zwischen DTM und Super GT

Class One zwischen DTM und Super GT
Ein Schritt zur Rettung der DTM

Gerhard Berger war erleichtert und angespannt zugleich. Die Schlinge um den Hals der DTM hat sich ein bisschen gelockert. Zusammen mit Masaaki Bandoh, Chef der Super GT; verkündete der Österreicher am Samstag (23.6.2018) vor dem ersten Rennen am Nürnberger Norisring den Durchbruch für ein gemeinsames Reglement der beiden Rennserien. „Wir sind endlich in der Endstation angekommen“, sagt der Mann, der seit 2017 der Internationalen Tourenwagen-Rennen e.V. als erster Vorsitzender vorsteht. Die ITR, das ist die Dachorganisation der DTM. Die DTM ist damit aber noch lange nicht gerettet. Es ist vielmehr ein Zwischenschritt. Audi und BMW wollen alsbald einen dritten Hersteller an Land gezogen sehen. Ansonsten steigen sie aus.

Gleichteile zwischen DTM und Super GT

Seit 2012 strebten DTM und Super GT nach einem gemeinsamen Reglement. Man näherte sich über die Jahre an. Wie zum Beispiel durch ein einheitliches Monocoque ab 2014. Oder eine Reihe von Gleichteilen. Die außer dem Chassis derzeit folgende sind:

  • Überrollstruktur
  • Crashstruktur vorne, seitlich, hinten
  • Hilfsrahmen vorne
  • Getriebe (unterschiedliche Übersetzungen)
  • Getriebeölkühler
  • Antriebswellen
  • Bellhouse
  • Pneumatik-Schaltsystem
  • Kupplung
  • Bremse (Sättel, Beläge, Scheiben)
  • Bremsscheibentopf
  • Lenkung
  • Lenksäule
  • Servopumpe
  • Tank mit Pumpen
  • Adapter Tank-Flanschplatte
  • DDU-Display
  • Wischermotor
  • Luftheber
  • Pedalerie
  • Kopfstütze
  • Dämpfer
  • Skidpad Rahmen
  • Lenkrad Schnellverschluss
  • Power Control Modul (eine Art Sicherungskasten)
  • Abrisskante hinten
  • Reifen Luftdruck Kontrollsystem

Aber der Prozess eines vereinheitlichen Reglements, durch das man theoretisch mit einem Auto in beiden Serien fahren kann, was man Vorständen gut verkaufen kann, zog sich hin. Mal hieß es in den Medien, die sogenannte Class One sei kurz vor dem Abschluss. Mal hieß es, sie würde nie kommen. Die Wetterlage änderte sich wie im April. Alles war dabei: Sonnenschein, Nieselregen, Starkregen, Schneefall. Jetzt drücken zumindest einzelne Sonnenstrahlen durch eine noch immer dichte Wolkendecke.

Knochenarbeit für gemeinsames Reglement

Die Drähte zwischen Deutschland und Japan glühten. Berger spricht von täglichen Telefonaten. Knochenarbeit nennt es der Mann, der in 210 GP-Starts zehn Rennen gewann, später die Geschicke von BMW-Motorsport leitete, Toro Rosso mitführte, in der FIA die Nachwuchsserien neu ordnete. Und seit 15 Monaten an der Rettung der DTM arbeitet. „Meine Vorgänger haben es eingeleitet und viel erreicht. Ich hatte das Glück, in der Endphase zu übernehmen.“

DTM - Super GT - Hockenheim 2017
Wilhelm

Es ist ein wichtiger Schritt zur Rettung geglückt. Obwohl die Regeln noch nicht final geschrieben sind. „Wir alle wissen, dass ein Reglement ein lebendes Dokument ist“, sagt Berger. Es geht um die letzten Details, heißt es. Kein Vergleich zur Sportwagen-Weltmeisterschaft, wo zwar für 2020 eine neue Topklasse aufgesetzt werden soll, mehr als ein paar Bullet-Points allerdings nicht vorhanden sind. Noch nicht einmal ein Name für die Nachfolgeklasse der LMP1.

Keine Vorkammerzündung geplant

Die DTM wird 2019 die V8-Dinos mit vier Litern Hubraum und Saugrohreinspritzung ins Museum stellen und zu Vierzylinder-Turbomotoren mit zwei Litern Hubraum und Direkteinspritzung wechseln. Das war schon vorher klar. Eigentlich hätte man diesen Motor schon 2017 gewollt. Da blockte aber Mercedes. Lexus, Nissan und Honda fahren schon seit 2014 mit Turbovierzylindern. Ohnehin haben die Japaner in der Vergangenheit die gemeinsam erarbeiteten Richtlinien zügig umgesetzt. Nur die DTM hinkte hinterher.

Der Schulterschluss mit der Super GT führt auch zu Änderungen an der Aerodynamik. „Wir kombinieren die Einheitsteile mit japanischen Elementen“, sagt BMW-Motorsportchef Jens Marquardt. „Das Auto wird dem diesjährigen sehr ähneln“, berichtet Audi-Motorsportchef Dieter Gass. „Von außen sind die Unterschiede nicht so stark sichtbar. Unter der Kohlefaserhaut sind die größten Änderungen. Der neue Motor bedingt eine neue Kühlluftführung. An der Fahrzeugfront wird man es an geänderten Kühleinlässen erkennen.“

Die DTM-Autos erhalten 2019 einen neuen Unterboden und einen einteiligen Heckflügel. Nach Japan-Spezifikation. Für die DTM bedeutet es die Abkehr vom DRS-System. Front- und Heckdiffusor entsprechen ebenfalls japanischer Spezifikation. Im Gegenzug verzichten die Japaner auf technische Spielereien wie eine Vorkammerzündung. Das würde die Entwicklungskosten hochtreiben. Dass Super GT-Autos aktuell mehrere Sekunden schneller sind als ihre DTM-Pendants hat vor allem mit den Reifen zu tun.

Berger verspricht sich einen größeren Schritt hin zum Ritt auf der Kanonenkugel, wie er ihn gerne sehen würde. „Die Autos werden über 600 PS leisten. 70 bis 100 PS mehr als bisher. Das verschiebt das Leistungsgewicht deutlich. Dadurch wird noch weniger wie auf Schienen gefahren.“

Die DTM wird das neue Reglement bereits 2019 umsetzen. Die Super GT ein Jahr später. „Sie sind in einem anderen Entwicklungszyklus als wir. Da macht es für sie Sinn, erst 2020 umzustellen“, sagt Berger. „Dann werden die Autos zu 90 Prozent identisch sein. Es wird nur noch marginale Unterschiede geben, die dem Charakter beider Serien geschuldet sind.“ BMW-Motorsportoberhaupt Marquardt vergleicht es mit GT-Serien. „GT3-Autos fahren überall auf der Welt. Da gibt es jeweils nur kleine Anpassungen je nach Land.“

Audi und BMW locken Toyota

DTM-Rennen sind Sprintrennen. Super GT-Rennen hingegen auf Distanzen von 300 bis 500 Kilometer ausgelegt. In Japan wird auch weiter nachgetankt werden, die Fahrer gewechselt und mit unterschiedlichen Reifenmarken gefahren. Ihre Eigenständigkeiten sollen beide Rennserien auch in Zukunft prägen. Sie differenzieren sich hauptsächlich über das sportliche Reglement. Die gemeinsam geschaffene Technikplattform eröffnet die Möglichkeit, in beiden Serien zu starten. „Wir müssen mit unseren japanischen Kollegen bewerten, ob und inwiefern es für uns Sinn machen würde, in Japan zu fahren“, sagt Marquardt.

Vielmehr wollen die deutschen Premiumhersteller lieber die japanischen Marken in der DTM sehen. Sowohl Audi als auch BMW machen Toyota schöne Augen. Sie wollen den Automobilgiganten in die DTM locken. „Sie haben das Produkt und bereits die Infrastruktur in Deutschland.“ Toyota-Motorsport sitzt bekanntlich in Köln und koordiniert von dort aus unter anderem seine Le Mans-Aktivitäten und das Programm der Rallye-Weltmeisterschaft. „Ich habe mit meinen alten Kollegen schon gesprochen“, erzählt Marquardt. „Und das nicht nur zum Spaß.“ Das Interesse aus Japan liegt allerdings im Promillebereich.

Lexus LC500 - Super GT
ams

Beide sehen nicht die Gefahr für einen DTM-Neueinsteiger, von den deutschen Premiummarken verprügelt zu werden. „Der Moment, in die DTM einzusteigen, war noch nie so günstig wie jetzt.“ Marquart spricht von einem Handbuch, das es jetzt gäbe und ausreiche, um sich für einen Einstieg zu wappnen. „Man weiß, auf was man sich einlässt. Das Reglement für die Motorenentwicklung ist bekannt. Die Autos sind bekannt. Die Plattform ist bekannt. Die Kosten sind bekannt. Bessere Rahmenbedingungen kann man sich gar nicht wünschen.“ Gass ergänzt: „Durch den hohen Anteil von Gleichbauteilen läuft man nicht Gefahr, gnadenlos hinterherzufahren.“ Ob dem tatsächlich so ist, würde man erst auf der Rennstrecke feststellen. Was sollen die Motorsportchefs auch anderes sagen?

DTM für unter fünf Millionen Euro

Laut Berger brauche es durch die engmaschigen Regularien keine großen Entwicklungsmannschaften mehr. „Es braucht ein Team, das die Renneinsätze führt.“ Die Kosten für den Aufbau eines DTM-Autos würden zwischen GT3 und GTE liegen. Also zwischen 500.000 und 950.000 Euro. Wohl eher Richtung oberer Preisspanne. Die Einsatzkosten für zwei Autos beziffert der Österreicher auf „unter fünf Millionen. Ein Privatteam kann das mit Sponsoren tragen“.

BMW und Audi wollen spätestens 2020 einen dritten Hersteller sehen. Sie können und wollen nicht ewig auf dessen Bekanntgabe warten. Man hört, der Fahrplan für die DTM müsse Ende Juli stehen. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass das Feld im nächsten Jahr erst einmal über werksunterstützte Privatteams aufgefüllt wird. „2019 könnte ein Übergangsjahr sein“, sagt Berger. „Es wird immer enger, schon für nächstes Jahr einen dritten Hersteller zu finden. Wenn wir keinen finden, sind wir voll auf die Unterstützung von Audi und BMW angewiesen.“

Zwischen den Zeilen hört man heraus: Die werden nur mitspielen, wenn ein Neueinsteiger für 2020 garantiert ist. Wenn keiner der Japaner kommt, wer dann? Aston Martin und Maserati wurden gehandelt. Aber auf welcher Basis? Aston Martin baut Sportwagen und GT-Autos. „Ein Nissan GT-R oder Honda NSX sind auch keine Tourenwagen“, erwidert Gass. In Le Mans hörte man: Aston Martin hat vielmehr Interesse daran, ab 2020 in der Topklasse der Sportwagen-WM mitzumischen, die die Idee von Hypercars, wie es der Aston Martin Valkyrie ist, mit Prototypensport vermischt. Eine Woche später hat sich der Wind gedreht. Es wird gemußtmaßt, Aston Martin könne mit Sponsoring von Red Bull 2020 in der DTM mitmischen. Und parallel die WEC bespielen.

Abfuhr für GTE-Autos

Wie lange würde es dauern, mit einem weißen Blatt Papier einen Vierzylinder-Turbo zu bauen? „12 bis 15 Monate“, rechnet Marquardt vor. Berger bringt die Rallycross-Weltmeisterschaft ins Spiel. Dort wird mit Zweiliter-Vierzylinder-Turbos gefahren, die verschiedene Hersteller betreiben und als Basis für einen Neueinsteiger herhalten könnten.

Die Idee einer gemeinsamen Weltserie oder Champions League als Ergänzung zu DTM und Super GT, wie sie die Hersteller träumen, hält der ehemalige Formel 1-Pilot noch für verfrüht. „Das müsste sich ergeben.“ Im Prinzip wäre das die Class One, die man einst im Sinne hatte, und die der Weltverband FIA unterstützen könnte. Natürlich um mit abzukassieren. Berger muss vielmehr erst die DTM zurück auf Kurs bringen. Bei BMW und Audi müssen sie solch eine Idee hingegen den Vorständen schmackhaft machen. Damit die nicht den Stecker ziehen. Zumal die Autobranche in starkem Seegang manövriert. Stichwort Dieselskandal.

Der Idee, GTE-Autos in der DTM einzusetzen, erteilt Berger endgültig eine Abfuhr. „Das passt nicht zur DTM-Kultur. GTE-Autos brauchen eine Balance of Performance. Im Hintergrund würde vor jedem Rennen um die beste Einstufung geschachert und Politik betrieben werden. Genau davon wollen wir ja weg. Wir hatten es bei den Performance-Gewichten. Das war gesteuerter Sport. Durch eine BoP wird der Sieger praktisch am Tisch festgelegt.“