Um sich zurückversetzt zu fühlen oder einfach nur dem Zeitgeist zu entfliehen, ist es nicht unbedingt erforderlich, sich auf einen technisch meist doch etwas kompromissbehafteten Oldtimer zu stürzen. Der automobile Flair früherer Tage, der sich zumindest im Kopf leicht graumelierter Autofreaks als eine Mischung aus prallen runden Formen, klassischen Rundinstrumenten, gesteppten Ziernähten und selbstverständlich auch markanter Motorakustik zusammenfügt, ist auch ohne den Verzicht auf moderne Antriebs- und Fahrwerktechnik erlebbar, wie der Test-Kandidat Wiesmann GT MF5 bestätigt.
Mit Wiesmann im münsterländischen Dülmen hält nämlich seit Jahren ein deutscher Kleinserienhersteller eine Marktnische eisern besetzt, deren Produkte den Spagat zwischen historischer Anmutung und neuzeitlicher Technik meistern. Auch das zweitjüngste Objekt der Marke, der Wiesmann GT MF5, zeigt trotz seiner erhabenen Leistungsklasse und aller rennsportmäßigen Konditionierung im Test das unverwechselbare Gesicht eines Wiesmann.
Laufkultur und der Klang überzeugen
Als solcher führt der Wiesmann GT MF5 - wenn auch stattlich in die Breite gegangen - eine charakteristische Linienführung fort, die im Geburtsjahr des ersten Roadsters im Jahr 1993 ihren Ursprung hat und schon damals eine runde Formensprache mit eindeutigem Bezug zur Vergangenheit aufwies. Allerdings: Ein Vorbild als solches gab es schon damals nicht. So haben wir es auch beim Test des Wiesmann GT MF5 mit einem echten westfälischen Original zu tun, das einem Plagiatsvorwurf mit großer Geste und selbstbewusstem Auftritt zu begegnen weiß. Dass es einen engen Schulterschluss mit BMW gibt, deren Antriebstechnik in unterschiedlichen Versionen in jedem Wiesmann-Modell zu finden ist, wird intern nicht als Schwäche gesehen, sondern als eine strategische Allianz, wie sie zielführender nicht sein kann. Wo, wenn nicht in einem Kleinserien-Sportwagen mit hohem fahrdynamischen Ambitionen, passt er besser rein: der Fünfliter-Zehnzylinder aus den bisherigen BMW-Topmodellen M5 beziehungsweise BMW M6?
Während der im Wiesmann GT MF5 verbaute 507 PS starke Super-V im Werk wohl als auslaufendes Modell gilt, dortselbst nunmehr die Achtzylinder-Biturboaufladung als Nachfolge-Technologie für künftige Typen präferiert wird, hat der große, hoch drehende Sauger im Wiesmann-Coupé eine, wenn auch eng geschnittene, Bleibe gefunden. Eine, die seinem von Berufs wegen exaltierten Wesen fraglos sehr zupasskommt. Der eine oder andere Liter Kraftstoff mehr, dem er als hoch drehender Sauger schon vom Prinzip her zugeneigt ist, dürfte in diesem extrem spaßorientierten, von schnöden Transportaufgaben gänzlich entbundenen Zweisitzer nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das Augenmerk gilt hier ausschließlich jenen Werten, die im Autoquartett als stechende Trümpfe hoch gehandelt werden. Mit 507 PS bei 7.750 Umdrehungen und einem Drehmomentberg von 520 Newtonmeter bei 6.100/min ist und bleibt der BMW-Zehnzylinder einer derjenigen Antriebe, denen alles vorzuwerfen ist - nur nicht, dass er sich nicht extrem erfolgreich bemüht, die Welt der Hubkolben- beziehungsweise Verbrennungsmotoren in den schönsten Facetten darzustellen. Laufkultur, Ansprechverhalten, Drehfreude und nicht zuletzt der Klang des Wiesmann GT MF5 lassen bekanntlich nur wenig Spielraum für Kritik.
Ein solches Prunkstück von Motor inmitten eines vergleichsweise leichten, entgegen der ursprünglichen Vermutung aber nicht minimalistisch auftretenden Kleinserien-Coupés? Das birgt Material für rührende Szenen, grandiose Abenteuer - aber möglicherweise auch für Dramen oder fatale Missverständnisse. Ein Schauspiel ist es ohnehin, wenn sich der an Extrovertiertheit nicht zu überbietende Wiesmann GT MF5 noch dazu in dieser grellen Lackierung in der Öffentlichkeit zeigt. Als gehe ein imaginärer Vorhang auf, sind es geradezu theaterreife Szenen, die sich im Test-Umfeld des grünen Stars fortwährend abspielen: Beifall, Pfeifkonzerte und gezückte Fotohandys.
Wiesmann GT MF5 in 3,9 Sekunden auf 100 km/h
Der emotionalen Äußerungen damit nicht genug, kommt es den Insassen zuweilen fast so vor, als seien ihnen Stalker auf den Fersen. Was solche, im günstigsten Fall potenzielle Nervensägen bei Verfolgungsfahrten ernten können, ist allerdings nicht mehr als eine herbe Blamage: Der mit einem Leistungsgewicht von gerade einmal 2,8 Kilogramm pro PS gesegnete Wiesmann GT MF5 rauscht in freier Wildbahn schon bei nur partieller Ausnutzung seiner Reserven so zackig von der Bildfläche, dass zuvor formatfüllend im Rücksiegel klebende Nachfolger binnen weniger Sekunden auf Stecknadelkopfgröße zusammenschrumpfen. Die 3,9 Sekunden, die das Messblatt im Test für den Sprint auf 100 km/h ausweist, geben nur unvollkommen wieder, was es heißt, dem Drang und Druck des in allen Belangen zornig wirkenden Kraftmeiers unter Vollgas ausgeliefert zu sein. Bis 200 km/h vergehen im Test 11,6 Sekunden, wobei es ungeachtet des kometenhaften Schubs vor allem auch das automatisierte, ebenfalls von BMW stammende Siebenganggetriebe ist, das solche Sprintprüfungen so einfach wie Fingerschnipsen macht.
Rundenzeit auf der Nordschleife: von 7.47 Minuten
Dass der ursprünglich aus einem wesentlich zivileren Umfeld stammende Zehnzylinder bei aller selbst auferlegten Kultiviertheit im Wiesmann GT MF5 einen völlig anderen Charakter zeigt, muss nicht verwundern: Hier ist er nicht in Watte gepackt, sondern mechanisch sehr präsent. Man spürt ihn mit allen Sinnen und wird schon ab Leerlaufdrehzahl darauf abgerichtet, bloß nicht respektlos mit ihm umzugehen. Bei falscher Behandlung ist er im Schulterschluss mit dem sequenziellen Getriebe nämlich zu durchaus bösartigen Reaktion fähig. Dann beißt er um sich wie ein verwundetes Tier, fällt über die im Ernstfall noch kalten Antriebsräder her und bringt sie völlig außer Kontrolle. Bis auf wenige Ausnahmen erscheint es beim Test des Wiesmann GT MF5 also ratsam, auf die Regeleingriffe des ESP zu vertrauen, wenn es nicht dauerhaft heißen soll: Das Rodeo ist eröffnet. Die Leistung von 507 PS so unmittelbar unter dem Gasfuß zu spüren, ist heutzutage fast schon wieder ein Privileg.
Wer bereit ist, die Herausforderung anzunehmen und das kantige Wesen des rundlichen Wiesmann GT MF5 im Detail aufzuschlüsseln, dem wird auf der anderen Seite auch viel gegeben: Nur wenige Gegner - und wenn überhaupt, dann nur solche, denen man es wegen ihres modernistischen, hochtechnisierten Auftritts auch per se zutraut - sind in der Lage, auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim Rundenzeiten von unter 1.10 Minuten darzustellen. Dazu braucht es generell ein gutes Fingerspitzengefühl, im Wiesmann GT MF5 aber erst recht: Wer sich - aus einem "normalen" Sportwagen kommend - mit dem Wiesmann im Test ohne angemessene Warmlaufphase kaltschnäuzig in die erste Biegung wirft, dem kommt im günstigsten Fall schnell die Zuversicht abhanden. Kein straßenzugelassener Sportwagen reagiert derart direkt auf kleinste Lenkbewegungen, weshalb es eine Weile braucht, um nicht schon vor der Kurve ins "Lenkradsägen" zu verfallen. Das grandiose Einlenkverhalten des Test-Kandidaten Wiesmann GT MF5 hat also zwei Seiten: Wem die Feinmotorik in den Armen fehlt, der wird mit dieser spitzen Lenkcharakteristik kaum glücklich werden. Wer sie hat, und dazu noch die korrekten Einlenkpunkte kennt, wird mit einem Einlenkverhalten belohnt, das ansonsten nur ausgewiesenen Rennautos vorbehalten ist.
Vorausgesetzt, die dafür fraglos mitverantwortlichen Sportreifen, Michelin Pilot Sport Cup+, haben ihre Betriebstemperatur erreicht. Auf der tempomäßig weitaus schnelleren Nordschleife gilt die Empfehlung, sich noch konzentrierter und bedächtiger an die Einlenkpunkte und die darauf folgenden Herausforderungen heranzutasten, erst recht. Und auch hier wird die anfangs demütige Herangehensweise an das Coupé aufs Erfreulichste belohnt. Mit einer Zeit von 7.47 Minuten ist der laubfroschgrüne Renner im Reigen der aktuellen Fahrdynamik-Helden gut dabei. Im Unterschied zur Roadster-Version trat der Wiesmann GT MF5 im Test aber mit einer Extraportion fahrdynamischen Dopings an, nämlich dem 3.490 Euro Aufpreis kostenden sogenannten Performance Kit. Dieser umfasst - sowohl was die Federn als auch was die Dämpfer angeht -, andere Kennlinien mit dem notwendigen Zugewinn an Härte.
Coupé tritt mit Performance Paket zum Test an
Aufgrund des gleichzeitigen Beibehaltens der Stabistärken ergibt sich daraus ein doch etwas eigenwilliges Setup: Die rennsportmäßige Härte, die sich im Federungs- und Abrollkomfort in mehrerlei Hinsicht manchmal unangenehm bemerkbar macht, steht in einem sonderbaren Gegensatz zu der Roll- beziehungsweise Wankneigung, die der zweisitzige Wiesmann GT MF5 im Test bei schneller Kurvenfahrt an den Tag legt. Man gewöhnt sich allerdings daran, wie die in mehreren Prüfungskriterien bewiesene Fahrdynamik eindeutig belegt. Aber der Idealfall ist diese Kombination nicht. Wer es nicht auf Bestzeiten anlegt, wird allerdings kaum dazu tendieren, den bärigen Kräften freien Lauf zu lassen, das heißt, auf die serienmäßige Unterstützung des ESP zu verzichten, weil der insgesamt hoch angesiedelte Grenzbereich nicht in jedem Fall und unter allen Situationen genau definiert ist.
Uhrensammlung im Instrumentenbrett des Wiesmann GT MF5
Die Tendenz des mit dem V-Zehnzylinder bestückten Wiesmann GT MF5, nach dem geradezu abrupten Einlenken unter gleich bleibender Last zunächst leicht ins Untersteuern zu verfallen, ist insofern etwas trügerisch, als er in dieser Situation bei kleinsten Lastwechseln, und sei es nur ein kleiner Gaspedallupfer, vom Untersteuern ins Übersteuern übergeht. Das wäre an sich nicht dramatisch, wenn in dieser Situation nicht wieder die extrem spitz agierende Lenkung ins Spiel käme: Die Gefahr, am Lenkrad zu überziehen, also zu starke Gegenmanöver einzuleiten, ist unter diesen Umständen verständlicherweise hoch. So heißt es auch bei solchen Gelegenheiten: ruhig Blut bewahren. Außer eines sensiblen, in falschen Situationen nicht zu stark zuckenden Gasfußes bedarf es also auch einer ruhigen Hand, um mit dem Wiesmann GT MF5 im Test zunächst ein verständnisvolles Agreement und anschließend eine schlagfertige Allianz bilden zu können. Bis es so weit ist, darf man sich dem schönen Vergnügen hingeben, seine ausgeprägten Rundungen liebevoll mit den Augen und der Hand zu folgen.
Dabei fallen Wölbungen und Ausbuchtungen auf, die zum Teil nicht ganz typisch für die übliche Wiesmännische Note sind. So zum Beispiel das extrem verbreiterte Heck, das den BBS-Leichtmetallfelgen inklusive der Michelins im Format 325/30 ZR 19 Raum gibt. Mit 1.940 Millimetern ist der Test-Wiesmann damit noch einmal um zusätzliche 30 Millimeter in die Breite gegangen. Sich dem Studium des Interieurs zu widmen, könnte der Begeisterung vielleicht noch mehr Vorschub leisten: Die mittig auf der ledereingefassten Instrumententafel des Wiesmann GT MF5 zusammengefasste Uhrensammlung ist es durchaus wert, sich länger mit ihr zu beschäftigen.
Während der Starterknopf links neben dem großen Drehzahlmesser keine Verwechslungsgefahr birgt, erfordern die silbernen Knopfreihen vor und hinter dem Schaltwählhebel in Sachen Identifikation schon etwas mehr Hinwendung. Allein die perfekt den Körper umfassenden Sportsitze (2.150 Euro Aufpreis) sind es wert, mindestens einmal im Test-Kandidaten Wiesmann GT MF5 gesessen zu haben. Um sie über den breiten Schweller hinweg in den Tiefen des eng geschnittenen Cockpits zu erreichen, bedarf es allerdings eines Mindestmaßes an Beweglichkeit. Während der intime Kontakt des Ellenbogens mit der Türinnenverkleidung im normalen Fahrbetrieb nur als unmaßgebliche Störung durchgeht, kann die eingeschränkte Bewegungsfreiheit bei engagierter Lenkarbeit am gleichfalls mit Ziernähten geschmückten Volant schon ernsthaft hinderlich sein: Schnelle Gegenlenkmanöver mit seitlich eingezogenem Arm sehen nicht nur etwas behindert aus, sondern machen sich auch nicht wirklich gut; was gerade in der stärksten aller Wiesmann-Pretiosen doch einen problematischen Ausgang nehmen kann - sollte die ESP-Regelung auf "Off" und das Großhirn auf stur geschaltet sein.
Wiesmann GT MF5 | |
Grundpreis | 179.800 € |
Außenmaße | 4300 x 1940 x 1170 mm |
Hubraum / Motor | 4999 cm³ / 10-Zylinder |
Leistung | 373 kW / 507 PS bei 7750 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 311 km/h |
0-100 km/h | 3,9 s |