McLaren 650S Spider im Supertest: Der Fluch des starken Vorgängers

McLaren 650S Spider im Supertest
Der Fluch des starken Vorgängers

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Usain Bolt, der schnellste Sprinter auf dem Planeten, könnte wohl ein Lied davon singen: Ob er seine Maximalleistung abrufen, sprich seinen Sprintrekord über 100 Meter wiederholen kann, hängt nicht allein von der Physis oder Psyche ab, sondern stets auch von einer Vielzahl anderer Faktoren. Ausrüstung, Wetter oder Konkurrenzumfeld zum Beispiel. Und nicht zu vergessen: auch vom Support von außen – was auch immer man darunter im Einzelnen verstehen mag.

Kann der 650S den 12C überhaupt schlagen?

Bereits der erste Supertest des damals noch 600 PS starken, später auf 625 PS gedopten und 330 km/h schnellen McLaren MP4-12C konnte dank großartig entwickelter Talente und der dadurch möglich gewordenen Spitzenleistung mit Maximalpunktzahlen im Supertest glänzen. Dank seines Leistungsgewichts von 2,4 Kilo pro PS könnte der MP4-12C der neuen aufstrebenden Konkurrenz also ganz gelassen entgegensehen – nach dem Motto: Das soll mir erst mal einer nachmachen. Kommt der designierte neue Superstar aus demselben Haus, dann wird die Sache noch interessanter – erst recht, wenn es ein Zwillingsbruder ist, der sich anschickt, die Leistungen des Topstars noch einmal übertreffen zu wollen.

Wie das alles zusammenhängt? Nun, beim neuen McLaren 650S handelt es sich nicht etwa um den Nachfolger des MP4-12C, wie man aufgrund des geänderten Namens meinen könnte. Der als Coupé und alternativ auch als Spider mit elektrisch versenkbarem Hardtop erhältliche Supersportler ist nichts anderes als eine modifizierte Version auf Basis des MP4-12C. Der Genpool beider Supersportler ist demnach also praktisch identisch.

Dass der McLaren 650S trotzdem alles besser kann als sein Ausgangsprodukt, sprich: den erklecklichen Aufpreis von rund 50.000 Euro auch vollumfänglich rechtfertigt, gilt zumindest laut Hersteller aus mehrerlei Gründen als ausgemacht. Schließlich seien über die stetige Weiterentwicklung des MP4-12C hinaus auch die Erfahrungen eingeflossen, die mit dem über eine Million Euro teuren und 900 PS starken Hybrid-Supersportler McLaren P1 gesammelt worden sind. Nicht zu vergessen auch die nun 50 Jahre währende Wettkampferfahrung von McLaren auf höchstem Motorsportniveau – und die gesammelten Erkenntnisse aus dem GT3-Engagement der Briten.

McLaren 650S mit Modifikationen nach P1-Rezept

Die selbstbewusste Ankündigung des Herstellers aus Woking, durch intensives Feintuning nach P1-Rezept an Motor, Getriebe, Fahrwerk, Bremsen und Karosserie signifikante Verbesserungen in allen Belangen erreicht zu haben, ist – zugegeben – infolge des überwältigenden Leistungsangebots und des unleugbaren Charismas schwer zu widerlegen.

So wie sich das anregende, intime Cockpit um die Besatzung schmiegt, der V8 Biturbo und das Doppelkupplungsgetriebe zusammenspielen und wie es gelungen ist, den Spagat zwischen Fahrkomfort und Rennstrecken-Affinität weiter zu harmonisieren, ist man leicht geneigt, den Aufpreis gegenüber dem MP4-12C mit einer großzügigen Handbewegung durchaus zu legitimieren.

50 PS Mehrleistung gegenüber dem Basismodell, ein um 24 Prozent erhöhter Abtrieb, modifizierte Feder- und Dämpferkennlinien und nicht zuletzt die im Detail sichtbar fortgeschriebene Gewichtsreduzierung durch zusätzlichen Kohlefasereinsatz – Beispiel Carbon-Sitze: minus 15 Kilogramm – sorgen in jedem Fall für das angekündigte "ultimative Sportwagenerlebnis".

Von einer großzügig erweiterten Bandbreite an Fähigkeiten kann indes auch nach intensiver Einlassung mit dem Objekt keine Rede sein. Die Höchstgeschwindigkeit wird trotz des PS-Aufschlags fast unverändert mit 329 km/h angegeben. Grund: Der 650S entwickelt einen höheren Abtrieb. Im Beschleunigungs-Fach darf mit kleinen Fortschritten gerechnet werden: zwei Zehntel schneller bis 100 km/h, acht Zehntel schneller bis 200 km/h – in Summe also 3,0 beziehungsweise 9,0 Sekunden für die beiden Standardprüfungen. Dafür aber geringe Einbußen in der Elastizität: Den Kraftakt von 80 auf 180 km/h im sechsten Gang erledigte der MP4-12C in 14,3 Sekunden. Für den auf unterschiedlichen Strecken, aber unter vergleichbaren Bedingungen gemessenen 650S wurden 14,7 Sekunden notiert. Spürbarer Unterschied? Null.

Die Professionalität, die Eleganz und die Dramatik dieses atemberaubenden Vorgangs dürfen als Kunststück notiert werden, das in dieser geschmeidigen, akustisch wunderbar untermalten Form als einmalig durchgeht.

Das durchweg erregende Wohlgefühl lässt die Frage zunächst in den Hintergrund treten, warum die Sprintprüfungen im Spider trotz der gegenüber dem Coupé konzeptbedingt leicht erhöhten Masse (plus 35 kg) und dem laut Prüfstandsprotokoll nicht ganz im Vollbesitz seiner Kräfte befindlichen V8-Biturbo dennoch so überzeugend gelingen konnten.

Wo soll der fahrdynamische Fortschritt herkommen?

Spätestens mit dem Blick auf die Rundenzeiten, der einzig wertvollen Metapher für fahrdynamische Kompetenz, taucht die Frage unvermittelt wieder auf. Entgegen der hoffnungsfrohen Erwartung seitens des McLaren-Lagers ist es dem 650S Spider nicht gelungen, die Zeiten des reifen- und bremsentechnisch vergleichbar ausgestatteten MP4-12C zu unterbieten. Unter uns: Wo soll der fahrdynamische Fortschritt auch herkommen? In Hockenheim herrscht Gleichstand – 1.08,7 Minuten. Auf der Nordschleife ist der 650S Spider gar leicht in Rückstand geraten – um ein paar wenige Sekunden. Dass es Nuancen im breiten Spektrum der Parameter sind, die darüber entscheiden, ob die theoretisch besseren Anlagen auch in der Praxis Wirkung zeigen, darauf muss an dieser Stelle noch einmal dezidiert hingewiesen werden.

An dem in jeder Hinsicht grandiosen Antriebsstrang, bestehend aus 3,8-Liter-V8-Doppelturbo und Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe liegt es jedenfalls nicht, dass die erhoffte und für die Rechtfertigung des Aufwands wichtige Zeitenverbesserung verpasst wurde. Bleibt also als Grund das Fahrwerk, beziehungsweise das Fahr verhalten im Grenzbereich. Fakt ist, dass derzeit kein anderer Supersportwagen am Start steht, der den Ansprüchen des Alltags mit solcher Geschmeidigkeit begegnet. Federungs- und Abrollkomfort sind erste Sahne, obwohl der 650S mit gegenüber dem Basismodell strafferen Federraten unterwegs ist.

So gewissenhaft, wie das aktive, mit den Einstellungen Normal, Sport und Track aufwartende Dämpfersystem selbst im "härteren" Sport-Modus Unebenheiten wegfiltert, möchte man fast glauben, einem fliegenden Teppich anvertraut zu sein.

Was bei ebener Topografie, also auf normalen Autobahnen oder auch auf Strecken wie dem Kleinen Kurs in Hockenheim Wunder wirkt, weil die Karosseriebewegungen auch im Extremmodus per Dämpfer-Impuls effektvoll auf ein Minimum reduziert werden, zeigt auf Berg-und- Tal-Kursen, die starke vertikale Fahrzeugbewegungen hervorrufen – also speziell auf der Nürburgring-Nordscheife –, doch eher Schwächen als Stärken auf. Dem Fahrer wird hier ein starker Glaube an die Technik abverlangt.

Vom Aktionismus des sogenannten ProActive Chassis Control- Systems werden nämlich auch die rückwärtigen Aerodynamik- Komponenten angesteckt: Die Airbrake, die sich beim MP4- 12C ausschließlich bei starken Bremsmanövern in den Wind stellte, um die Hinterachse mit zusätzlichem Abtrieb zu beaufschlagen, tritt beim 650S nun auch dann in Aktion, wenn es in engen Biegungen darum geht, die Hinterachse durch zusätzlichem Anpressdruck zu stabilisieren.

McLaren hat den 650S wahrscheinlich zu sehr feingetunt

Zu guter Letzt greift auch ein Brake-Steer-System aktiv ins Geschehen ein, indem es die Fahrzeugnase mittels einer verstärkten Bremskrafteinwirkung am kurveninneren Hinterrad in Richtung Scheitelpunkt zwingt. Etwaiges Untersteuern soll auf diese Weise schon im Ansatz verhindert werden.

Die vage Vermutung, dass die diversen Einflussnahmen vielleicht doch etwas zu viel der Aktivitäten sind, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn dass sich im Unter- und Hintergrund des hochkarätigen Technik-Komplexes namens 650S im Grenzbereich fortwährend etwas tut, bleibt sensiblen Fahrern durchaus nicht verborgen.

Weil sich somit der Status quo im Grenzbereich laufend verändert, kommen auf der letzten Rille zuweilen leise Zweifel an der Verlässlichkeit auf. So erfordert das Eigenlenkverhalten in seiner angedeuteten Variabilität mehr Eingewöhnung, als man es von gut entwickelten, konventionellen Fahrwerksystemen mit zwei mechanischen Stabilisatoren gewohnt ist.

Damit wir uns hier aber nicht falsch verstehen: Kritische Verhaltensweisen sind dem McLaren 650S nicht anzulasten. Die Hinterachse ist das krasse Gegenteil von aktiv – soll heißen: Sie bleibt selbst bei Lastwecheln stets stabil in der Spur.

Wer also mit dem McLaren in den Ring steigt, muss bei der Suche nach dem Optimum einfach darauf gefasst sein, dass sich da noch einer recht aktiv ins Geschehen mit einbringt: der 650S selber.

Technische Daten
McLaren 650S Spider
Grundpreis255.000 €
Außenmaße4512 x 1908 x 1203 mm
Kofferraumvolumen144 l
Hubraum / Motor3799 cm³ / 8-Zylinder
Leistung478 kW / 650 PS bei 7250 U/min
Höchstgeschwindigkeit329 km/h
0-100 km/h3,2 s
Verbrauch11,7 l/100 km