Mercedes E63 AMG im Supertest: Limousine mit Sportwagen-Talent

Mercedes E63 AMG im Supertest
Limousine mit Sportwagen-Talent

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Sie ist konzeptionell der totale Gegenentwurf zu dem, was uns die Strom-Lobby als Auto-Alternative für die Zukunft nahe legt. Und das, obwohl sie mit einem Namen begünstigt ist, nach dem sich öffentlichkeitsbewusste Marktteilnehmer regelrecht verzehren würden - einfach deshalb, weil er politisch so ungemein korrekt ist: Die Mercedes E-Klasse als Repräsentant einer neuen Autogeneration mit Elektroantrieb - die Vorstellung entbehrt tatsächlich nicht einer gewissen Logik.

AMG lässt schärfere Produktlinien entstehen

Aber statt beschwingt mit Drehankern, Kupferwicklungen und raumgreifenden Batteriekomplexen den Klimaverbesserer zu mimen, geht Mercedes, oder besser: die werkszugehörige Abteilung für sportliche Sonderobjekte - AMG - sehenden Auges auf Konfrontationskurs zum medialen Mainstream. Oder ist die unerschrockene Herangehensweise, die sich in den jüngsten AMG-Modellen manifestiert, gar Ausdruck einer neuen, ganz bewusst zwischen den unterschiedlichen Philosophien und Techniken unterscheidende Modellpolitik? Das wäre zu hoffen.

Von angesagtem Downsizing oder plakativer Rücksichtnahme ist jedenfalls angesichts der neuen Businessclass-Limousine Mercedes E63 AMG im Test weit und breit nichts zu sehen und auch nichts zu spüren: Mit einer Höchstleistung von 525 PS aus 6.208 Kubikzentimeter Hubraum zählt etwa ihr Triebwerk, ein für sich betrachtet nach wie vor hinreißender 6,3 Liter großer V8, zu den leistungsstärksten serienmäßigen Achtzylinder-Saugmotoren weltweit. Den kennen wir zwar zur Genüge - nicht zuletzt aus dem schnittigen Mercedes SL63 AMG. Aber solch ein Antrieb in einer normalerweise von vernünftigen Aspekten geleiteten viertürigen Familienlimousine der gehobenen Mittelklasse - ob das Sinn macht?

Die technische Herleitung dieser schon seit geraumer Zeit verbreiteten Art automobiler Mischwesen aus bodenständiger Limousine und abgehobenem Sportwagen ist - seien wir ehrlich - trotz aller möglichen Einwendungen seitens der Spaßbremser aber ebenso einfach und nahe liegend wie die Rechtfertigung eines solchen Konzepts. Anders ausgedrückt: So lange der aus regenerativer Energie erzeugte Strom für zukünftige, tatsächlich elektrogetriebene Mercedes E-Klassen nicht flächendeckend verfügbar ist, kann von einer positiven Umweltbilanz solcher alternativen Antriebskonzepte keine Rede sein.

Mercedes E63 AMG mit Spritspar-Technik

Warum sich also mit Rechtfertigungsszenarien quälen, wo doch ein solider Drehmomentberg von 630 Newtonmeter die Lust am Verbrennungsmotor-gestützten Individualverkehr ungemein steigern kann? Dergestalt heraufbeschworene Lässigkeit hilft überdies, beim Fahrer Tugenden freizulegen, die einem gesunden gesellschaftlichen Konsens förderlicher sind als die um sich greifende Streitkultur des gegenseitigen Aufrechnens unliebsamer CO2-Bilanzen. Bei aller Kühnheit, die diese neue Sportlimousine schon optisch umweht, zeigt sich die im neuen mattem Silberlack mit geradezu verführerischer Attitüde auftretende, scharf geschnittene Mercedes E-Klasse aber durchaus auch konsensfähig: Im Mercedes E63 AMG soll ein ganzes Bündel Effizienz steigernder Maßnahmen laut AMG eine Minimierung des Verbrauchs gegenüber dem schwächeren Vorgängermodell Mercedes E55 AMG (476 PS) von immerhin 12 Prozent bewirken. So ist der Mercedes E63 das erste AMG-Modell, bei dem ein intelligentes Lichtmaschinenmanagement mit Rekuperation der Bremsenergie zur Serienausstattung zählt. Sie hilft, die Bremsenergie in elektrische Energie umzuwandeln. Beim Beschleunigen wird der Generator dafür lastfrei geschaltet, was dem Motor die günstige Gelegenheit gibt, freier aufzudrehen oder seinen Konsum zu zügeln - je nachdem.

Neben der zur einer Wissenschaft gemachten neuen Kraftstoffversorgung im Mercedes E63 AMG mit je nach Leistungsabfrage und Außentemperatur bedarfsgeregelter Spritzufuhr sowie einer reibungsoptimierteren Beschichtung der Zylinderlaufbahnen wird es aber vornehmlich das erstmals im Mercedes SL63 AMG verwendete, sogenannte Speedshift MCT 7-Gang-Sportgetriebe sein, das für den Großteil der angekündigten Verbrauchsoptimierungen verantwortlich zeichnet. Anstelle des konventionellen Drehmomentwandlers arbeitet das Getriebe mit einer nassen Anfahrkupplung im Ölbad und damit ohne die bei einer Automatik typischen Wandlerverluste. Ebenso bemerkenswert wie das mit sieben Gangstufen, vier Fahrprogrammen, einer Zwischengas- und einer Racestart-Funktion antretende Wunderwerk der Technik ist das Gewicht dieser Konstruktion, welche die sportlich-direkte Rückmeldung eines manuellen Getriebes mit dem unbestreitbaren Komfort einer Automatik kombiniert: Nur 80 Kilogramm bringt sie dank des kompakten Magnesiumgehäuses auf die Waage.

Achtzylinder-Saugmotor wiegt unter 200 Kilogramm

Auch der von AMG vor geraumer Zeit in Eigenregie entwickelte Achtzylinder-Saugnotor zeigt sich hinsichtlich der Leistungs/Gewichtseffizienz als extrem durchtrainiert. Ob das angekündigte, bei AMG derzeit entwickelte Nachfolgeaggregat - ein zwar mit geringerem Hubraum, dafür aber mit Biturbo-Aufladung arbeitender Achtzylinder -, das Gewicht des 6,2 Liter-Motors (199 Kilogramm) wird unterbieten können, steht noch in den Sternen. Schließlich kennzeichnet den Turbo eine deutlich aufwendigere Peripherie. Allerdings gilt die allerorten neuoder besser: wiederbelebte Turbo-Technik nicht nur als Wegbereiter höherer Leistungsebenen, sondern inzwischen auch als anerkanntes Mittel, auf dem Gebiet der Effizienzsteigerung deutlich größere Fortschritte erzielen zu können als etwa mit dem vorliegenden Hochdrehzahlkonzept auf Saugmotorbasis. Sprich: Die Verbrauchs- und Emissionsreduzierung unterliegt künftig einer deutlich höheren Priorität als die Suche nach zusätzlichen PS.

Wie dem auch sei: Das Begeisterungspotenzial des aktuellen Achtzylinders im Testwagen hat seit seiner Einführung nicht im Geringsten gelitten. Im Gegenteil: Im rundum soliden und von allerlei elektronischen "Knautschzonen", sprich: Fahrassistenzsystemen gesicherten Umfeld der neuen Mercedes E-Klasse erlebt der mit einem Normverbrauch von jetzt 12,6 Liter antretende 90-Grad-V-Motor auch subjektiv seinen absoluten Entwicklungshöhepunkt. Die nach wie vor nach dem Motto "Ein Mann, ein Motor" im modernen Affalterbacher Motorenwerk montierte Vollaluminium-Konstruktion begeistert quasi vom ersten Dreh des Zündschlüssels an in einer Weise, die es fast unwahrscheinlich erscheinen lässt, jemals wieder mit einem noch einnehmenderen Wesen konfrontiert werden zu können. Beim Mercedes E63 AMG ist das schlagartige Losbollern nach dem Zünden und die im Leelauf im beruhigenden Herzschlag-Takt vermittelten Verbrennungsgeräusche nur die Ouvertüre eines von perfekter Dramaturgie und mitreißender Dynamik gekennzeichneten Musicals. Die V8-Maschine tönt oben raus fast wie ein amerikanischer NASCAR-Renner, ohne aber jemals die nervige Übertriebenheit in akustischen Belangen an den Tag zu legen, die bei reinrassigen Sportmodellen auf Dauer schon einmal das Miteinander erschweren kann.

Kombination aus Komfort und Sportlichkeit

Schließlich sitzt man im Mercedes E63 AMG-Testwagen in einem exquisit ausgekleideten und von wirksamen Dämmmaterialien umgebenen Wohlfühl-Cockpit, das den äußeren Unbillen jegliche Schärfe nimmt - aber immer noch so viel Brisanz zulässt, dass die Sinne elektrisiert bleiben. Die Kombination von schmeichelndem Komfort inklusive vollumfänglichem Alltagsnutzen auf der einen und tatsächlich erlebbarer Sportlichkeit auf der anderen Seite ist im Mercedes E63 AMG definitiv von bisher einmaliger Qualität. Die vielen, in der neuen E-Klasse zur Verfügung stehenden Sicherheitssysteme - eingangs als elektronische "Knautschzonen" tituliert -, sind der sportlichen Dynamik zwar nicht zuträglich, wirken sich aber auch nicht kontraproduktiv aus.

Das Licht-Paket etwa ist des Nachts ein Bonus, auf den man nicht mehr verzichten möchte. Ungleich sinnvoller im Mercedes E63 AMG als ein Spur-Paket, das mit Vibrationen am Lenkrad das Überfahren der weißen Straßenbegrenzungslinien anzeigt oder ein beheiztes Lenkrad erscheint auch der Geschwindigkeitslimit-Assistent für 351 Euro Aufpreis, der dem selbstredend latent zu Tempoüberschreitungen tendierenden Fahrer stets in Erinnerung ruft, was er sich erlauben kann und was nicht. Gemessen am Aufpreis der für den Mercedes E63 AMG empfehlenswerten, weil extrem standfesten Keramikbremse (11.305 Euro) und des mit 8.271 Euro veranschlagten Performance Pakets mit - unter anderem - 19-Zoll- Rädern, Hinterachs-Sperrdifferenzial und Freischaltung der Höchstgeschwindigkeit auf 300 km/h, ist die elektronische Reifendruckkontrolle für zusätzliche 363 Euro ein höchst preiswertes, wenngleich ebenso unerlässliches Instrument, um das Potenzial dieser extrem starken Sportlimousine im Test vernunft- und sicherheitsbetont zu kanalisieren.

Mercedes E63 AMG beschleunigt in 4,5 Sekunden auf Tempo 100

Apropos stark: Mit geringstem körperlichen Einsatz - einfach Race Start-Funktion aktiviert und Fuß aufs Gas - fliegt der maximal fünfköpfigen Besatzung im Mercedes E63 AMG auf weiter und ebener Flur die Horizontlinie entgegen, als habe die Erde in entgegengesetzter Richtung ihr Rotationstempo erhöht. Dass solche Übungen faktisch ohne Traktionsverluste gelingen, ist der vollautomatischen Einregelung der Anfahrdrehzahl zu verdanken sowie der selbsttätigen Gangwechsel mit Hilfe kürzester Schaltzeiten von gerade einmal 100 Millisekunden. Auf der anderen Seite ist im manuellen Programm, das praktischerweise per Schaltpaddeln vom Lenkrad aus eingespielt wird, dafür gesorgt, dass etwa ein automatisches Herunterschalten bei Volllast und Kick-down ausbleibt.

Das Sportgetriebe hält also zuverlässig den gewählten Gang. Außerdem schaltet es bei Erreichen der Drehzahlgrenze nicht mehr automatisch hoch, was den Einsatz des gewaltigen Drehmoments von im Extremfall 630 Newtonmeter im Kurvenausgang deutlich leichter und auch sicherer gestaltet. Nicht zuletzt ist es die automatische Zwischengasfunktion, die nicht nur durch ihre lastfreien Rückschaltvorgänge die Lastwechselreaktionen im Mercedes E63 AMG minimiert und damit ungewollte Heckschwünge vereitelt, sondern auch ein emotionales Fahrerlebnis par excellence beisteuert. Das Fingerspiel hinterm Multifunktions-Lenkrad ist somit kein Selbstzweck, sondern ein über den Unterhaltungsaspekt hinaus geniales Instrument, um die Ressourcen des Motors effektiv herauszuarbeiten.

Aber auch das gelingt in der vorliegenden Qualität nur, weil auch das sogenannte AMG Ride Control-Sportfahrwerk aus der werksseitig vornehmlich auf Sicherheit und Komfort getrimmten Mercedes E-Klasse einen Langstrecken-Sportler formt, der, gemessen an seiner hohen Gewichtsklasse, mit überragenden Eigenschaften im Supertest vorstellig wird. Dank des elektronisch geregelten Dämpfersystems, das je nach Fahrsituation, -geschwindigkeit und Beladungszustand die Dämpferkennung automatisch blitzschnell variiert und so den Wankwinkel der Karosserie reduziert, gelingt der Spagat zwischen den beiden grundsätzlich entgegengesetzten Polen - Komfortanspruch hier und Systemhärte dort - ganz vorzüglich. Die in der Mittelkonsole übersichtlich angeordnete und nett anzuschauende „Drive Unit“ unterscheidet alternativ per Knopfdruck auch bei Verwendung des straffer abgestimmten Performance-Sportfahrwerks zwischen „Comfort“, „Sport“ und Sport Plus“. Die Spreizung der drei Kennlinien zeigt ein nachvollziehbares und mithin auch praxisorientiertes Angebotsprofil - soll heißen: Für Langstreckenkomfort im Mercedes E63 AMG ist in der Komfort-Einstellung ebenso gesorgt wie für sportliche Exkursionen im Sport-Setup.

Deutliche Weiterentwicklung gegenüber dem Vorgänger

Was der auf Continental Sport Contact 5 rollende Mercedes E63 AMG beim Supertest im Extremfall fahrdynamisch zum Besten gibt, unterscheidet sich deutlich von dem seiner Vorgänger, denen zuweilen nicht grundlos unterstellt worden ist, der Längsdynamik erheblich mehr zugeneigt zu sein als der Querdynamik. Mit der neuen Sportlimousine schließt sich der Kreis nun insofern, als sie nicht nur bei sturer Geradeaus-Bolzerei für aufgerissene Augen und offene Münder sorgen kann, sondern auch in Sachen Querdynamik Atemberaubendes leistet. Die Hockenheim-Rundenzeit des Mercedes E63 AMG im Supertest auf Porsche Panamera-Niveau ist der erste Hinweis auf ein fahrdynamisches Talent, das dem Namen AMG nunmehr höchste Ehren zuteil werden lässt. Dass schließlich auch die gnadenlos sämtliche Schwächen aufdeckende Nordschleife in der Eifel ein so passendes Anforderungsprofil für den neuen Mercedes E63 AMG darstellt, geht gar als Paradigmenwechsel in die AMG-Annalen ein.

Technische Daten
Mercedes E 63 AMG
Grundpreis105.791 €
Außenmaße4887 x 1872 x 1440 mm
Kofferraumvolumen540 l
Hubraum / Motor6208 cm³ / 8-Zylinder
Leistung386 kW / 525 PS bei 6800 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
0-100 km/h4,5 s
Verbrauch12,6 l/100 km