Es ist das alte Lied: Masse belastet. Dabei sind es unterm Strich meist gar nicht die Kilos selbst, die ein folgenschweres Dilemma heraufbeschwören. Allein der Gedanke an sie sorgt für Verwirrung. Zwei Tonnen fahrfertiges Gewicht schlagen – ganz gleich, ob Coupé oder Limousine –, schlicht und einfach aufs Gemüt. Nach gängiger Schätzung konservativ eingestellter Sportfahrer-Kreise sind 2000 Kilogramm mindestens eine halbe Tonne zu viel.
Da stellt sich dem Umbefangenen sofort die Frage: Zu viel für was? Zu viel, um schnell fahren zu können? Stimmt leider nicht. Zu viel, um entspannt, zügig und gut unterhalten von A nach B reisen zu können – auch das unwahr.
Oder verbietet sich angesichts dieser Masse gar die aufrechte Nutzung einer abgeschlossenen Rennstrecke, sagen wir der Nordschleife des Nürburgrings? Selbst das nicht – schon wegen ihrer rechtlichen Stellung als eine für Kraftfahrzeuge aller Art freigegebenen, einspurigen Landstraße ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Sogar Omnibussen ist es gestattet, sich dort auszutoben.
Ein Zweitonner mit einem Freiticket für die Ring-Parade
Unabhängig davon bezieht der Mercedes CLS 63 AMG die Legitimation, sich auf dem Ring zu zeigen, durch auffällig professionelle Verhaltensweisen: Mit einer Supertest-Rundenzeit von 7.59 Minuten verschafft er sich ein selbstverständliches Hausrecht auf dem Ring. Er ist damit sozusagen im Besitz des Generalschlüssels, der es ihm erlaubt, dort mit Billigung der Konkurrenz ohne Gesichtsverlust zu verkehren – trotz seines Gewichts- und Größenhandicaps.
Wie bitte? Ein Zweitonner mit einem Freiticket für die Ring-Parade? Nun, erstens bringt er keine zwei Tonnen auf die Waage, sondern vollgetankt „nur“ 1919 Kilogramm. Und zweitens firmiert er selbstbewusst als „High Performance Automobil“, das – liest man seine Beschreibung – mit Techniken und Materialien vorstellig wird, die eine gewisse Nähe zum Motorsport nahelegen.
Racestart-Funktion, Keramikbremsen, Sperrdifferenzial, adaptives Sportfahrwerk, Aluminiumtüren und -hauben, und last but not least ein Getriebegehäuse aus leichtem Magnesium sind – um nur einige Beispiele zu nennen – eindeutige Hinweise darauf, dass Volllast-Anteile auf Rennstrecken zur natürlichen Aufgabenstellung des Mercedes CLS 63 AMG gehören.
Mercedes CLS 63 AMG: Supersportler und Business-Limousine
Verkehrte Welt: Hier die typischen Merkmale eines Supersportlers und dort der schwelgende Luxus einer Business-Limousine, die nichts, aber auch gar nichts unterlässt, um im Cockpit Zufriedenheit und sattes Wohlgefühl zu erzeugen – inklusive aller erdenklichen Sicherheits-Features. Neben ABS, 3-Stufen-ESP und Bremsassistent verfügt das starke AMG-Coupé über ein Dutzend Weiterer Fahr-Assistenzsysteme.
Ist es im klassischen, zweisitzigen Sportwagen gerade mal eine zusätzliche Person, mit der man die beeindruckende Erlebniswelt einer landgestützten Rakete teilen kann, so sind es im Mercedes CLS 63 AMG gleich drei Mitfahrer, die man in bisher unbekannte Sphären der Fahrdynamik transportieren kann – ohne sich selbst als Fahrer unangemessen anstrengen zu müssen. Der automatisierte Vorwärtsdrang des viertürigen Coupés kommt so gepflegt und so gewaltig daher, dass jedem Insassen ob dieser fahrdynamischen Eleganz die Spucke wegbleibt.
Nicht weniger als 557 PS arbeiten im Minimalfall daran, die Trägheit der Masse fast unmerklich werden zu lassen. Die 200-km/h-Hürde nimmt der Hecktriebler nach nur 13,2 Sekunden. Das fühlt sich noch schöner an, als es die Zahl beschreibt, weil dieser Vorgang nicht krachledernd vonstatten geht, sondern geschmeidig und auf betörende Weise unterhaltsam. Denn der Klang, der von vorn (Motor) und von hinten (Vierrohr-Abgasanlage) das gediegene Cockpit einnimmt, unterstützt die Dramatik auf seine Art: dumpf, kernig, viel sagend – eben auf V8-typische Weise grandios, aber keineswegs mehr so vulgär wie früher einmal.
Regelmäßige sport auto-Leser werden es bis hierhin schon bemerkt haben: Beim Supertest-CLS handelt es sich um exakt jenes Modell, das bereits in Ausgabe 1/2012 im Rahmen eines ungewöhnlichen Vergleichs mit einer Ducati 848 EVO auftauchte und dort ein erstes vorläufiges Zeichen seiner Leistungsfähigkeit setzte
Das aktuelle Einstiegsmodell ab 116.204Euro
Das mit Performance Package aufgerüstete Modell gehört insofern bereits ins Gebrauchtwagen-Portfolio, als die im damals 7735 Euro teuren Sportpaket enthaltene Leistungssteigerung nun seit Anfang des Jahres serienmäßiger Bestandteil des Basismodells ist.
Das aktuelle Einstiegsmodell – Basispreis 116 204 Euro – tritt jetzt bereits mit 557 PS an, ebenso wie die neue Allradvariante mit der Zusatzbezeichnung 4Matic (120 131 Euro). Das neue Modell der Baureihe firmiert aktuell unter Mercedes CLS 63 AMG S 4Matic, kostet minimum 131 079 Euro und darf von sich behaupten, auf eine gute Frage, nämlich wie man mit 585 PS ganz ungeniert in den Winterurlaub fährt, eine passende Antwort parat zu haben – mit Allradantrieb natürlich.
Wer sich im Sinne eines geschmeidigen und sicheren Powerplays dazu entscheidet, alle implantierten Regelsysteme vollumfänglich arbeiten zu lassen, wird allerdings auch beim hinterradangetriebenen Mercedes CLS 63 AMG keinen Rodeo-Drive erleben müssen – trotz des reißenden Drehmoments von 720 Newtonmeter.
Unter 5 Sekunden auf Tempo 100
Die hohe Regelgüte der Traktionskontrolle lässt sich am besten in der Race-Start-Funktion überprüfen, die das geschliffen arbeitende Siebengang-Sportgetriebe bereit hält: Kaum spürbarer Schlupf an den Antriebsrädern, dafür ein Sprung aus dem Stand auf Tempo 100 in deutlich weniger als fünf Sekunden – egal, ob das Fünf-Meter-Coupé leer oder vollbesetzt am Start ist.
Spagat zwischen Kultiviertheit und sportlicher Rasanz
Das geniale, mit einer Nasskupplung zum Anfahren ausgestattete Automatikgetriebe namens AMG Speedshift MCT schafft den Spagat zwischen Kultiviertheit und sportlicher Rasanz ohne Lücke für Missliebigkeiten. Der Gangwechsel funktioniert im sportlichesten Modus innerhalb von 100 Millisekunden – Zwischengas-Funktion beim Herunterschalten inklusive. Bemerkenswert auch die Tatsache, dass die Gänge im manuellen Modus, also beim Schalten über die Schaltpaddel am Lenkrad, stets verlässlich gehalten werden. Eigenmächtigkeiten bei der Gangwahl verkneift sich der knapp fünf Meter lange Brenner.
Während die immensen Kraftausbrüche des Mercedes CLS 63 AMG in Längsrichtung stets reproduzierbar bleiben – soll heißen: das Leistungsspiel auch hinsichtlich der Bremse so gut wie keine Grenzen kennt – lässt sich das Gewicht nicht wegdiskutieren, sobald querdynamische Großtaten am Stück gefordert werden.
So sind es nach drei gezeiteten Hockenheim-Runden vornehmlich die Reifen auf der Vorderachse, die zwangsläufig die Grätsche machen. Ihnen wird verständlicherweise infolge des Drucks und der Masse, die auf ihnen lastet, schlicht zu heiß. Das Schieben über die Vorderräder kann auch vom sportlichsten Fahrwerk-Setup nicht mehr verhindert werden.
Dank eines grundsätzlich weitgehend neutralen Fahrverhaltens und mit Unterstützung der mechanischen Differenzialsperre ist es dennoch fast ein Leichtes, den Kraftprotz auch bei nachlassenden Reifen dorthin zu manövrieren, wo es am zielführendsten ist.
Linke Touren sind dem Mercedes CLS 63 AMG fremd. Das mit dem elektronisch geregelten Dämpfersystem AMG Ride Control versehene Sportfahrwerk variiert je nach Fahrsituation, -geschwindigkeit und Beladungszustand blitzschnell die Dämpferkennung und hält so nebenbei auch die Wankneigung der Karosserie in Grenzen.
Mercedes CLS 63 AMG trotz Masse schnell
So gerüstet giert das mit Luftfederung an der Hinterachse antretende AMG-Coupé tatsächlich nach sportlichem Ruhm. Die Supertest-Rundenzeit in Hockenheim – 1.13,9 Minuten – gibt einen ersten Vorgeschmack auf ein Talent, das sich auch auf dem Ring nicht vor vermeintlich besser disponierten Gegnern verstecken muss.
Sollten Sie also beim Überholtwerden auf der Döttinger Höhe von gleich vier Gesichtern angelächelt werden, grämen Sie sich nicht: Es kommen auch wieder Streckenstücke, auf denen der große AMG seiner Masse Tribut zollen muss.
Mercedes CLS 63 AMG AMG | |
Grundpreis | 116.204 € |
Außenmaße | 4996 x 1881 x 1406 mm |
Kofferraumvolumen | 520 l |
Hubraum / Motor | 5461 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 410 kW / 557 PS bei 5250 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
0-100 km/h | 4,5 s |
Verbrauch | 9,9 l/100 km |