Die Statistiken (Basis 2006) sprechen eine deutliche Sprache: Fast jeder sechste Unfall mit Personenschaden war in Deutschland eine Auffahrkollision auf vorausfahrende oder geparkte Fahrzeuge. Bei ebenfalls jedem sechsten Unfall kam das Auto ohne äußere Einwirkung von seiner Fahrspur ab. Der Anteil dieser Kollisionsart an den getöteten Verkehrsteilnehmern beträgt sogar mehr als ein Drittel.
Mercedes E-Klasse mit umfangreichem Sicherheitspaket
Zahlen, die nach Gegenmaßnahmen schreien - und die haben viele Autohersteller in den letzten Jahren schon eingeleitet. Getrieben durch immer besser werdende Umfeldsensoren helfen "sehende" Autos dem Fahrer bei der Unfallvermeidung. Sie bremsen selbständig, halten die Spur und warnen den Fahrer vor gefährlichen Situationen. Vor allem ein Auto ballt derzeit die Assistenzsysteme wie kein zweites.
Die neue Mercedes E-Klasse fährt mit einem umfangreichen Rundumschutz, der von Pre-Safe II (mit Vollbremsung) über Toter-Winkel-, Spurhalte- Assistent und Nachtsichtgerät bis hin zu einer Müdigkeitserkennung reicht. Damit erhebt Mercedes (wie bei der neuen Mercedes S-Klasse) den Anspruch, bei der aktiven Fahrerassistenz das derzeit sicherste Auto zu bauen. Doch die Konkurrenz ist stark.
Serienmäßiger Stadt-Notbrems-Assistent im Volvo XC 60
Volvo bleibt seinem hohen Sicherheitsanspruch treu und bietet als einziger Hersteller einen Stadt-Notbrems-Assistenten (City-Safety) serienmäßig an. auto motor und sport verlieh in diesem Jahr dafür den Paul-Pietsch-Preis. Auch mit Spurwechsel- sowie Spurhaltewarnung und einem aktiven Bremsassistenten für Geschwindigkeiten über 30 km/h war der schwedische Hersteller schon früh auf dem Markt.
Honda ist mit dem aufpreispflichtigen Notbrems-Assistenten CMBS und der aktiven Spurrückführung im Accord für diese Klasse gut bestückt, und BMW spendiert dem neuen BMW 7er als Zusatzausstattung ebenfalls ein umfangreiches aktives Sicherheitspaket, das aber auf eine selbständige Notbremsung für stehende Objekte verzichtet.
Im ausführlichen Sicherheitstest mit Kollisionssimulation auf definierte Hindernisse mussten die Systeme sowohl ihre Unfallvermeidungskompetenz als auch ihre Praxistauglichkeit beweisen. Für den besten winken bis zu fünf Sicherheits-Sterne.
Die in Merceds E-Klasse und BMW 7er integrierten Nachtsicht-Assistenten zeigen sich gegenüber ihren Vorgängern erheblich verbessert, aber immer noch mit Schwächen.
Infrarotsystem arbeitet gut, aber nicht zuverlässig
Der Wärme-Infrarotstrahlung zeigende BMW 7er warnt vorbildlich vor erkannten Fußgängern im Head-up-Display, die Darstellung der Straße ist selbst nach einem temperaturausgleichenden Regen erstaunlich kontraststark. Leider erkannte das System die Test-Fußgängerin nicht zuverlässig.
Auch die Mercedes E-Klasse zeigte Schwächen bei der automatischen Fußgänger- Erkennung, war jedoch etwas zuverlässiger. Ihr System mit aktiver Infrarotbeleuchtung zeigt zudem ein schärferes Nachtbild. Dafür muss der Fahrer allerdings von der Straße weg in den mittleren Monitor schauen.
Beim Thema Spurwechsel-Assistent macht die Mercedes E-Klasse alles richtig: Ein kleines Dreieck in den Außenspiegeln signalisiert im Stand orange beleuchtet Bereitschaft, um während der Fahrt und ohne drohende Gefahr auf farblos zu wechseln.
Mercedes E-Klasse mit Warnton und Lichtsignal
Detektieren die beiden hinteren Radarsensoren auf einer mehrspurigen Straße ein Fahrzeug im direkten seitlichen Bereich oder eines, das sich mit hoher Geschwindigkeit nähert, wechselt das Dreieck warnend auf rot. Setzt der Fahrer trotzdem den Blinker, blinkt nicht nur das rote Dreieck mit, sondern ein Warnton meldet auch die akute Gefahr.
Bester Spurwechselassistent kommt von Mercedes
Das alles mit höchster Zuverlässigkeit. Damit bietet die Mercdes E-Klasse den besten Spurwechsel-Assistenten im Test. Das Warndreieck von BMW glimmt dagegen eher dezent und ist somit aus dem Augenwinkel nicht immer hundertprozentig zu erkennen. Vor allem fehlt aber eine akustische Akutwarnung. Die Rüttelwarnung im Lenkrad kann auch als Überfahren einer Begrenzungslinie (Spurhalteassistent) missdeutet werden. Eine wirksame Hilfe vor gefährlichem Spurwechsel ist sie trotzdem. Das BLIS-System (Blind Spot Information System) von Volvo zeigt mit konstantem Orange im Spiegeldreieck, wenn sich ein Fahrzeug im direkten seitlichen Bereich befindet.
Keine Spurwechselwarnung für den Honda Accord
Die kleine Kamera, die unterhalb des Außenspiegels sitzt, misst jedoch nicht die Geschwindigkeitsdifferenz wie bei den radarbasierten Systemen. BLIS ist daher eine reine Zustandsanzeige, aber keine, die vor akuter Gefahr warnt, selbst wenn der Fahrer den Blinker zum Fahrspurwechsel setzt oder gar auf die andere Fahrbahn lenkt. Für den Honda Accord ist keine Spurwechselwarnung erhältlich.
Ganz sachte spürt der Fahrer im Honda Accord ein automatisches Gegenlenken, wenn er seine Fahrspur verlässt.
Nerviges Piepsen beim Honda Accord
Würde das recht zuverlässige, LKA (Lane Keeping Assistant) getaufte System jetzt auch noch im Lenkrad rütteln, anstatt nervig zu piepsen, wäre es vorbildlich. Sowohl die Mercedes E-Klasse als auch der BMW 7er weisen angenehm zurückhaltend am Lenkrad rüttelnd auf das unbeabsichtigte Verlassen der Fahrspur hin, steuern aber nicht aktiv gegen.
Der Volvo XC 60 klingelt etwas zu eindringlich und lässt es auch an Zuverlässigkeit mangeln. Nervige Assistenzsysteme, das zeigt die Erfahrung, schaltet der Kunde jedoch auf Dauer ab.
Der Volvo XC 60 liefert mit City-Safety die beeindruckendste Einzelleistung im Notbremstest ab: Knappe 30 Zentimeter stoppt der SUV aus einer Geschwindigkeit von 25 km/h selbständig vor dem stehenden Hindernis.
Über 30 km/h klinkt sich das City-Safety aus
Der Volvo XC 60 übertrifft damit sogar das eigene Versprechen, Auffahrunfälle nur bis zu einer Tempodifferenz von 15 km/h zu vermeiden. Über 30 km/h klinkt sich City-Safety systembedingt jedoch aus. Dann bremst der Volvo XC 60 mit seinem normalen Abstandsregel-Tempomaten bei stehenden Hindernissen nur noch mit rund 0,3 g automatisch. Bei der Verzögerung auf das mit rund 15 Meter Abstand vorausfahrende Hindernis (macht eine Vollbremsung aus 50 km/h) holt er sich dann aber mit fast 0,7 g wieder den klaren Spitzenwert im Test. Das alles gepaart mit hoher Zuverlässigkeit und gut abgestuftem Warnprogramm.
Die Mercedes E-Klasse kann nicht mithalten
Mit dieser Leistung hält die E-Klasse nicht ganz mit. Sie bremst jedoch aus 50 km/h auf das stehende Hindernis am effektivsten und zeigt die versprochene mehrstufige Pre- Safe-II-Verzögerung. Das heißt: 2,6 Sekunden vor dem erwarteten Aufprall warnt sie den Fahrer akustisch und optisch, eine knappe Sekunde später zündet sie die erste Bremsstufe mit 0,4 g Verzögerung (wie schon beim bisherigen Pre-Safe I), um dann noch eine knappe Sekunde danach sogar mit voller Bremsleistung (0,6 Sekunden vor Aufprall, 1 g) deutlich Energie rauszunehmen. Die Mercedes E-Klasse reduziert so über 30 Prozent der Insassenbelastung.
Jedoch gab ihre sensible Sensorik im Test die Vollbremsung nicht in jedem Fall frei. So will Mercedes Fehlverzögerungen vermeiden. Beim vorausfahrenden Hindernis zeigte der Testwagen nur die übliche Bremswirkung von Abstandsregel-Tempomaten (zirka 0,3 g). Der Honda Accord erfüllt mit zuverlässiger automatischer Verzögerung und deutlicher Vorwarnung ebenfalls die Erwartungen. Ob stehendes oder fahrendes Hindernis - er bremst konstant im 0,3-g-Rahmen üblicher Abstandsregeltempomaten, ohne sich besondere Notbrems-Meriten zu verdienen.
Dass der BMW 7er auf das fahrende Hindernis mit mittlerer Verzögerung (0,3 g) bremst, war nach seinen Werksangaben zu erwarten. Bei stehenden Objekten aktiviert er keine selbständige Verzögerung. Ärgerlich ist jedoch, dass sein System als einziges im Test bei ausgeschaltetem Abstandsregeltempomat keine zuverlässige akustisch-optische Kollisionswarnung gibt, obwohl dies in der Bedienungsanleitung versprochen wird.