Man weiß ja nie so genau, wann die Ewigkeit beginnt, für die Rekorde aufgestellt werden. Meist schon viel früher als gedacht. Beim alten Hockenheimring ist es am Sonntag, den 26. Juli 1992, etwa gegen 15 Uhr. Oder ganz exakt: in der 36. Runde des Grand Prix von Deutschland. Für die braucht Riccardo Patrese im Williams-Renault FW14B eine Minute, 41 Sekunden und 591 Tausendstel.
Lange Waldgeraden - perfekt für Brems- und Beschleunigungsmessungen
Damit gelingt ihm die schnellste Runde, die je auf dem alten Hockenheimring gefahren werden sollte. Was damals natürlich keiner ahnt und Patrese im Rennen wenig bringt: In der letzten Runde dreht er sich beim Versuch, seinen zweiten Platz gegen Ayrton Senna zu verteidigen. Jedenfalls ist auch in den folgenden neun F1-Rennen auf dem alten 6,825 Kilometer langen Kurs kein Formel-1-Fahrer schneller - was da sonst noch so rumkraucht, STW oder DTM, eh nicht.
2001 dann erscheint der Kurs nicht mehr modern genug. Die langen Geraden im leeren Wald und die kurze Kurverei im Motodrom seien für die Zuschauer nicht attraktiv genug, heißt es. Aber "heißt es" heißt es ja häufig, wenn es eigentlich um etwas anderes geht. In diesem Fall darum, dass eine Grand-Prix-Distanz in Hockenheim 45 Runden hat. Woraus clevere Controller knallhart ermitteln können, dass die Autos nur 45 Mal an jedem Werbeschild vorbeifahren, was recht genau nur zwei Drittel so oft ist, wie es bei 67 Runden der Fall wäre.
Es sind gern solch erschütternde Erkenntnisse, die zu den größten Umwälzungen führen. Im Fall des Hockenheimrings betreffen sie vor allem die im Hardtwald vor sich hin stehenden Bäume. Die haben sich früh daran gewöhnt, dass immer mal wer durch den dunklen Tann saust - schon 1932 bratzelten Motorräder über einen zwölf Kilometer langen unbefestigten Kurs. Mercedes nutzt die Strecke zudem gerne zum Testen - wie wir bei sport auto und auto motor und sport übrigens auch.
Denn nach dem Streckenumbau im Jahr 1966 (davor ist die Südspitze dem Kurs der A 6 im Weg, die sich hier mit der A 61 verbündet) gibt es neben dem Motodrom die langen Waldgeraden - perfekt für Brems- und Beschleunigungsmessungen. Und eher nicht so perfekt für Slalom- und Ausweichtests, weil die Leitplanken, als dann mal welche da sind, wenig Raum für Fehler lassen. Montags gegen elf trafen wir uns damals gern zum Messen auf der Geraden. Die gibt es seit dem Umbau von 2001 nicht mehr. Aber von solch unerheblichen Details lassen wir uns nicht daran hindern, sie aufzusuchen, und rufen beim Forstamt an.
Motoren dröhnen nur noch in unserer Erinnerung
Es hätte einen nie gewundert, wenn sich im verschlafenen Hockenheim neben Fuchs und Hase auch Einhörner und Bären Gute Nacht sagten. Aber sie können das seit fast 14 Jahren eben auch auf den alten Waldgeraden. Die nördliche wird damals von der Einfahrt in die Parabolica bis zur Ostkurve komplett renaturiert. Eigentlich sollte sie erhalten bleiben, aber irgendjemand ist ja immer dagegen. Die südliche Gerade ist nur zurückgebaut und als Forstweg unter der Verwaltung - Sie ahnen es - des Forstamtes. Es erlaubt uns freundlich das Fotografieren und behutsame Befahren auf dem Stück bis zur alten Ostkurve.
Wir fahren hinter die Spitzkehre. Dort, wo ein Eisengitter die Rennstrecke von ihrer Vergangenheit abschottet, lag früher etwa die Ayrton-Senna-Schikane. Sie hat nun eine neue Aufgabe gefunden, ist jetzt Teil eines Radwegs, der in 14 Kilometern nach Heidelberg führt und in 1,5 zur alten Ostkurve, die der Wald hinter einem Wall überwuchert.
Die Motoren dröhnen nur noch in unserer Erinnerung. Weißt du noch, wie die Renault 5 im Cup-Rennen durch die Ostkurve purzelten, wie sich bei Regen die Gischt in den Wipfeln verfing und zurück auf die Strecke stäubte? Denkst du manchmal an die Windschattenduelle bei Tempo 330 auf dieser dann sehr schmalen Spur zwischen den Bäumen, als die Fahrer dazu noch kein ERS oder DRS hatten.
Irgendwie ist dieser Streckenabschnitt da hinten am Eastend des Kurses immer ein wenig der Wilde Westen. Es gibt unzählige Rempeleien vor und in der Ostkurve, die bekannteste ist die von 1982, worauf sich Nelson Piquet und Eliseo Salazar prügelten. Der alte Hockenheimring ist eben ein Kurs aus der alten Zeit. Damals genügten acht, zehn, elf Kurven für eine Strecke, wenn sie durch spektakuläre Geraden verbunden sind wie die Waldgeraden von Hockenheim, die Start-Ziel in Monza oder die Hangar Straight in Silverstone bis 1990. Ja, früher war mehr Geraden, heute dagegen geht es dauernd um die Kurve.
Alle Kurse wirken, als habe sie derselbe Mann entworfen. Was bekanntlich daran liegt, dass sie derselbe Mann entworfen hat. Hermann Tilke aus Olpe, der die GP-Strecken von Malaysia, Bahrain, China, der Türkei, Abu Dhabi, Indien, den USA und Russland sowie die Umbauten von Österreichring, Imola, Fuji und Hockenheim verantwortet. Die 60 Millionen Euro für die neue Streckenführung sollen sich durch höhere Besucherzahlen und teurere Tickets bei Formel-1-Rennen gegenfinanzieren. Was nicht gelingt - 2015 wohl nicht unwesentlich deswegen, weil es kein Formel-1-Rennen gibt.
Derweil wachsen die Bäume neben der alten Waldgeraden weiter in den Himmel. Zumindest bis Ulrich Müller, Experte für Baumpflege, Baumfällarbeiten, Spezialfällungen und Totholzentfernung aus Walldorf, mit der Motorsäge anreist, um ein paar Klafter Holz zu schlagen. Nichts ist für die Ewigkeit.
Der Wald steht still
Schon 1932 gibt es Rennen im Hardtwald - zunächst auf unbefestigten Wegen. 1938 entsteht der Kurpfalzring mit den charakteristischen Waldgeraden. Wegen der A 6 muss die Strecke ab 1964 umgebaut werden. Am 22. Mai 1966 eröffnet der Hockenheimring mit dem Motodrom. Wegen des Unfalltods von Jim Clark bekommt der Kurs auf jeder Geraden eine Schikane. Nach dem Unfall von Patrick Depailler 1980 entschärft eine Schikane die Ostkurve. Weil der Ring mit 6,825 km zu lang für die Formel1 ist, wird er 2002 auf 4,574 km verkürzt. Die neue F1-Renndistanz: 67 statt 45 Runden.