Rennauto ist nicht gleich Rennauto. Ein paar haben es zur Legende geschafft. Sicher mehr als fünf. Doch bevor wir bei einem Angebot aus 66 Jahren Formel 1 ausufern, haben wir dem Juror ein überschaubares Limit gesetzt. Einfache Frage: Was waren die fünf überragenden Konzepte der Formel 1?
Und wer qualifiziert sich für die Antwort mehr als der dienstälteste Technikchef der Königsklasse? Pat Symonds fand 1981 seinen ersten Job in der Entwicklungsabteilung von Toleman. Er war Renningenieur von Ayrton Senna und Michael Schumacher und hat als Projektleiter für Reynard, Benetton, Renault, Marussia und Williams gearbeitet.
Die Wahl fiel ihm nicht leicht bei dem übergroßen Angebot. Am Ende hat er den Lotus 49 von 1967, den Renault RS01 von 1977, den Lotus 79 von 1978, den McLaren MP4-4-Honda von 1988 und den Williams FW14B-Renault von 1992 ausgewählt. In einem exklusiven Interview erklärt Symonds, wie er gerade auf diese 5 Legenden kommt.
Symonds: Mein Vater war ein Ingenieur. Er arbeitete an Flugzeugen und Autos. Deshalb war ich zwangsläufig an allem interessiert, was mit Technik zu tun hatte und habe seine Liebe zu Autos von ihm geerbt. Wir lebten in Norfolk in der Nähe der Rennstrecke Snetterton und sind dort regelmäßig zu Rennveranstaltungen gegangen. Ich erinnere mich noch genau an das erste Rennen der neuen 1,6 Liter Formel 2-EM am Karfreitag 1967 mit Jackie Stewart, John Surtees und Graham Hill. Es war das erste Mal, dass ich den Ford GT40, mein Traumauto live sah. Er lief im Rahmenprogramm. An diesem Tag wurde ich zum Rennfan. Ich dachte aber noch nicht an eine Karriere im Rennsport. Ich wusste nur, dass ich Autos konstruieren wollte. Und hatte das Glück, dass ich gleich nach der Universiät einen Job im Rennsport fand.
Symonds: Der Lotus 49. Es war das gleiche Jahr 1967. Ein wunderbares Stück Ingenieurskunst. Ich war damals 14 Jahre alt. Aber dieses Auto hat mich sofort fasziniert. Weil alles so wunderbar aufeinander abgestimmt war. Ich nenne es integriertes Design. Nicht irgendein Detail, das heraussticht, sondern ein logisch vernetztes Gesamtkonzept als Baukasten. Es gab nichts an diesem Auto, das echt innovativ gewesen wäre, abgesehen von seinem Motor. Der Cosworth V8 hat mit diesem Auto debütiert, und hat den Rennmotor auf eine neue Stufe gehoben. Der Lotus 49 sah nicht so viel anders aus als ein Lotus 33 aus dem Jahr 1965. Das Monocoque hörte hinter dem Tank und dem Fahrerkopf auf. Daran war ein Motor geschraubt, der tragendes Teil der Konstruktion war. Der Motor war nicht nur in der Lage, der Hinterradaufhängung als Stütze zu dienen, sondern später auch den aerodynamischen Anbauten wie zum Beispiel Flügel. Und das zu einer Zeit, in der einige der Gegner immer noch auf den guten alten Rohrrahmen setzten. Ich bin zwar ein Chassis-Mann, habe aber auch eine Schwäche für Motoren. Der Cosworth V8 DFV ist ein Paradebeispiel für ein effizientes und simples Design. Alles ist am richtigen Platz, alles aus dem richtigen Grund.
Symonds: Absolut. Der Lotus 49 debütierte 1967, hat sein erstes Rennen gewonnen, holte 1968 den Titel und siegte selbst 1970 noch in Monte Carlo. Das ist heute undenkbar. Und das Auto hat in den 3 Jahren eine Verwandlung durchgemacht und sie gut überstanden. Das zeugt von einem guten Grundkonzept. Und der Eleganz seiner Einfachheit. 1968 wurden Fügel an das Auto geschraubt, erst hohe, dann flache. Die Aerodynamik hatte Einzug gehalten.
Symonds: Ich habe das Auto gewählt, weil es für Renault ein unglaubliches Abenteuer war. Es war knapp 2 Jahre im Einsatz, von Mitte 1977 bis Mitte 1979. In dieser Zeit ist es 5 Mal ins Ziel gekommen und hat 3 Punkte geholt. Nicht ein Sieg. Also alles andere als erfolgreich. Ich mag Querdenker. Und da gab es bei Renault eine Gruppe, die sich wirklich was getraut hat. Sie haben sich die Regeln angeschaut und gesagt: da gibt es einen anderen Weg. Und wie oft mussten sie in den ersten 2 Jahren gedacht haben: Sind wir wirklich auf dem richtigen Weg? Und wer immer dieses Projekt abgesegnet hatte, musste sich bestimmt in vielen Meetings rechtfertigen. Aber am Ende hatten sie Recht und einen neuen Trend gesetzt. Und der Turbomotor ist fast 40 Jahre später wieder im Trend.
Symonds: Sehr viel Mut. Sie mussten so viele neue Technologien lernen. Allein beim Motor. Dazu kamen noch die üblichen Probleme ein Auto zu entwickeln, die neuen Radialreifen von Michelin zu verstehen.
Symonds: 1977 war ich noch als Ingenieur in der Formel Ford unterwegs. Als ich von dem Renault-Projekt hörte, dachte ich, dass sie da einen Schritt zu weit gegangen sind. Aber schon als ich Anfang der 80er Jahre zu Toleman stieß, war ich überzeugt, dass der Turbo der richtige Weg war. Es ist eine Tragik, dass der Turbo-Pionier nie einen Titel mit seiner Idee gewann. Sie hätten es für ihren Mut verdient gehabt.
Symonds: Das ist wahr. Dieser Schritt war aber eher nahvollziehbar. Ich habe mein Diplom in Fahrzeugdynamik gemacht. Im Rennsport war der Radialreifen die einzig richtige Antwort auf die wachsenden aerodynamischen Lasten.
Symonds: Es war damals ein bisschen learning by doing. Aber Renault war auch gehandikapt. Sie mussten warten, bis die Technologie vorhanden war. Es gab damals hauptsächlich große Turbinen für Lastwagenmotoren. Die kleinen mussten erst erfunden werden. Ich kann mich noch an 1987 erinnern, als Cosworth einen Biturbo für Ford baute. Und selbst damals, also 8 Jahre nach Einführung des Biturbos bei Renault hatten wir noch Probleme, die kleinen Turbinen, die bis zu 50.000/min rotierten, unter Kontrolle zu bekommen. Noch schwieriger war die Evolution vom mechanisch zum elektronisch geregelten Turbolader. Vor 40 Jahren steckte das noch in den Kinderschuhen. Es gab keine elektronischen Steuergeräte im Rennauto. Der erste PC wurde 1981 vertrieben. Die ersten Kontrollboxen für die Motorsteuerung waren riesige Apparate. Man konnte damals nicht einfach so einen Mikroprozessor am Markt kaufen. Bei Hart hat die erste Motorelektronik, die die Einspritzung und den Zündzeitpunkt regelte, das Ansprechverhalten, den Verbrauch, die Power und die Zuverlässigkeit um Welten verbessert.
Symonds: Alle guten Ideeen liegen auf der Hand. Man kommt nur nicht selber drauf. Was mir an dem Lotus 79 gefällt: Es war nicht das erste und auch nicht das letzte Groundeffect-Auto. Aber es war das Auto, bei dem die Idee zum ersten Mal in ihrer ganzen Konsequenz entwickelt wurde. Das erste Groundeffect-Auto war der Lotus 78 aus dem Jahr davor. Mit dem Modell 79 hat Lotus den Abtrieb um 30 Prozent verbessert. Sie hatten nach einem Lehrjahr voll verstanden, wie das Prinzip funktioniert. Ich habe das Auto gewählt, weil mich der riesige Entwicklungssprung beeindruckt hat. Ich wollte, wir könnten heute solche Fortschritte erzielen. Der Lotus 79 war in der Saison 1978 der Klassenbeste. Schon ein Jahr später hatten viele die Idee kopiert und perfektioniert. Der Williams FW07 von 1979 war das bessere Groundeffect-Auto, aber es hat nicht mehr diesen Sprung gemacht.
Symonds: Es war die Zeit, in der die Aerodynamik auf ein neues Niveau gehoben wurde, als die Ingenieure kapierten, dass Aerodynamik die meiste Rundenzeit bringt. Die Teams sind damals nicht jeden Tag in den Windkanal gelaufen. In England gab es 2 Anlagen mit einem rollenden Boden, die Southampton University und das Imperial College in London. Sie waren klein, und man konnte nicht viel messen. Und man musste damals erst lernen, wie man einen Windkanal nutzt. Es stimmt, dass es auf der Hand lag, schon 1978 ein Groundeffect-Auto zu bauen. Viel mehr als beim Turbomotor, wo man sich lange nicht sicher war, und den man auch nicht so einfach kopieren konnte. Ich glaube, ein Grund war, dass die Leute zwar das Grundprinzip verstanden hatten, nicht aber die Details. Zum Beispiel die Wirkungsweise der Schürzen, die das Auto seitlich abgedichtet haben. Damals ist man im Rahmen der Entwicklung eines neuen Autos höchstens für ein oder zwei Wochen pro Jahr in den Windkanal gegangen. In der kurzen Zeit war es schwer, alles zu verstehen. Der Lotus 78 hat ein paar Rennen gewonnen, aber er war nicht dominant. Der Lotus 79 war es. Erst dann haben die Alarmglocken geläutet.
Symonds: Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich dieses Auto mit in meine Liste aufnehmen soll. Aber kannst du das erfolgreichste Formel 1-Auto nicht einfach weglassen. Der McLaren MP4-4 hätte eigentlich alle 16 Rennen gewinnen müssen. Es war ja nur dem Unfall mit Schlesser zu verdanken, dass es nicht geglückt ist. Und das war Pech. Das Auto selbst trug kein Geheimnis in sich. Es hat alles das zusammengetragen, was sich bei anderen Autos bewährt hatte, und hat dieses Produkt perfektioniert. Sehr effiziente Aerodynamik, ein exzellenter Turbomotor, integriertes Design. Alle einzelnen Komponenten war um ein Vielfaches besser als die der Konkurrenz. Das fasziniert mich an diesem McLaren. Man muss Vorzüglichkeit belohnen. In der Formel 1 geht es nur um Vorzüglichkeit. Manche Autos in der Geschichte waren extrem erfolgreich, weil die Gegner fehlten. Aber dieser McLaren hatte potenziell starke Gegner. Es ist gegen Ferrari, Williams, Benetton gefahren. Das gleiche gilt für Mercedes heute.
Symonds: Das Auto haben Gordon Murray und Steve Nichols gebaut. Gordon wird immer mit seinen Brabham in Verbindung gebracht, komischerweise aber nicht mit diesem McLaren. Und mit diesem McLaren hat er endlich seine Idee vom flachen Auto, das mit dem Brabham BT55 so in die Hose gegangen war, erfolgreich zu Ende gebracht.
Symonds: Es war ein unglaublich effizienter Motor. Es gibt eine sehr detaillierte technische Beschreibung von Honda über diesen Motor. Was Honda damals geschaffen hat, ist heute noch eine gute Grundlage für effiziente High Performance-Motoren. Honda hat noch etwas anderes richtig gemacht: Sie haben 1988 auf den Turbomotor gesetzt. Trotz des Spritlimits und der Ladedruckbegrenzung auf 2,5 bar. Benetton und Ford haben sich 1988 dafür entschieden, schon ein Jahr vor dem Comeback der Saugmotoren auf den 3,5 Liter Cosworth V8 mit 5 Ventilen pro Zylinder umzusteigen. Ford hat daraufhin die Entwicklung seines GB V6-Turbo aufgegeben. Im Rückblick ein großer Fehler. Der Motor hatte Ende 1987 das Laufen gelernt. Und auch die Zuverlässigkeitsprobleme waren langsam unter Kontrolle. Es lag hauptsächlich am Benzin, dass es so viele Klopfschäden gab. Dann war es ein verdammt guter Motor. Wir hatten bei 4 bar Ladedruck 900 PS im Training und 700 PS im Rennen. Benetton wäre 1988 der stärkste Gegner von McLaren geworden, hätte man den Turbomotor noch ein Jahr weiterentwickelt.
Symonds: Meine schönste Zeit als Ingenieur war der Beginn der 90er Jahre. Es war die Zeit, als die elektronischen Fahrhilfen ins Spiel kamen. Das beste Auto, an dem ich je gearbeitet habe, war der Benetton B193. Der hatte alles an Bord hatte, was man sich vorstellen kann: Aktive Aufhängung, ABS, Traktionskontrolle, vollautomatisches Getriebe, Vierradlenkung. Wir wussten immer, wo und in welchem Zustand das Auto auf der Rennstrecke gerade war und haben dementsprechend mit den Fahrhilfen reagiert. Ich habe mit mir und meiner Eitelkeit gerungen, dieses Auto zu wählen, aber auf der Rennstrecke hatte es nie den Erfolg, den der Williams FW14B hatte. Unser Benetton gewann nur ein Rennen. Unter dem Strich hat der Williams diese Ära dominiert. Und es hatte alles bis auf die Vierradlenkung an Bord. Deshalb gebührt ihm auch der Platz in den Top 5.
Symonds: In der Tat. Bei Benetton sind wir schon 1988 die ersten Versuche mit aktiver Aufhängung gefahren. Williams hat sein erstes System schon 1987 eingesetzt. Es war noch mechanisch. Und sie haben die Entwicklung nie aufgegeben. Bei Benetton ruhte das Projekt eine Zeitlang, weil Rory Byrne und ich zwischenzeitlich bei Reynard angedockt haben. Und dann war natürlich auch noch das Geld knapp. Als wir 1991 zu Benetton zurückkehrten, war es zu spät, etwas für 1992 zu bauen. Wir mussten uns darauf konzentrieren, ein konkurrenzfähiges konventionelles Auto auf die Räder zu stellen.
Symonds: Zunächst in der Hydraulik. Ich habe die Royal Airforce angerufen, um mir Hilfestellung bei hydraulischen Stellgliedern zu geben. Es gab nichts auf dem Markt, was schnell genug reagieren konnte. Die Tornado Kampfjets waren jedoch mit seinem System ausgerüstet, das eine gute Basis war. Von da an wusste ich, was zu tun war. In einem zweiten Schritt musste man die elektronische Kontrolle verstehen. Die Computer dafür waren inzwischen vorhanden. Die Software haben wir selbst geschrieben. Da traten alle möglichen Fehler auf. Ich erinnere mich, dass wir das aktive Fahrwerk bei einem Test in Silverstone einfach nicht in den Griff bekamen. Die Stellglieder haben gemacht, was sie wollten. Ich bin von der Fabrik an die Strecke gefahren, und habe mir zeigen lassen, was das Problem war. Das Auto hat schon im Stand gezittert. Ich habe mir einen Schraubenschlüssel geben lassen und eines der Ventile in dem Hydraulikkreislauf berührt. Plötzlich hat alles funktioniert. Man musste das System nur entmagnetisieren. Alle haben mich angeschaut, als wäre ich ein Zauberer. Da Geld knapp war, konnten wir nicht dauernd die sündteuren Moog-Ventile austauschen, um das Magnetisieren zu verhindern. Deshalb haben wir über das Ventil eine Unterlegscheibe aus Stahl gebaut, um das Problem aus der Welt zu schaffen.
Symonds: Sie hatten ihre helle Freude. Das Auto benahm sich auf der Strecke wie im Windkanal. Deshalb war die Aerodynamik extrem spitz ausgelegt. Aus diesem Grund haben wir bei Benetton nach dem Verbot der elektronischen Fahrhilfen 1994 früh mit der Entwicklung unseres passiven Autos begonnen. Wir ahnten, dass es Probleme mit der aerodynamischen Stabilität geben würde, wenn sich das Auto plötzlich wieder bewegt. Williams hat das nicht getan, und 1994 dafür bezahlt.
Symonds: Wenn die Regeln frei wären, würde ein Auto mit allen Techno-Tricks herauskommen, die es gibt. Einen extrem starken Motor, alle Systeme aktiv, Groundeffect-Aerodynamik. Es wäre einfach in den Kurven Fliehkräfte von 7 oder 8 g zu erreichen. Die limitierenden Faktoren wären zunächst die Reifen und dann der Fahrer. Wir müssten sie wie Kampfjet-Piloten in Kompressionsanzüge stecken, damit sie keinen Blackout bekämen. Wir würden sicher auch etwas fundamental Neues erfinden. Die Technologie bleibt nie stehen.