Interview mit Gerhard Berger: "Schumacher kann um den WM-Titel mitfahren"

Gerhard Berger exklusiv im Interview
"Schumacher kann um den Titel mitfahren"

Gerhard Berger ist noch immer ein aufmerksamer Beobachter der Formel 1. Ein eigenes Comeback schließt der ehemalige Toro Rosso-Mitbesitzer weiterhin nicht aus, allerdings nur in voll verantwortlicher Position. Bis das richtige Angebot ins Haus flattert, gibt der 50-jährige Österreicher zum Jahreswechsel hier erstmal einen exklusiven Ausblick auf die Saison 2010.
 
Die Formel 1 befindet sich im Wandel. Ist es eine Wende zum Guten?

Berger: Es kommt immer anders als man es sich ausmalt. Vor allem, wenn es neue Regeln gibt. Grundsätzlich sehe ich Anzeichen, dass es besser wird. Das Verbot der Tankstopps ist ein richtiger Schritt. Dadurch wird die Rennstrategie interessanter. Die Zeit der Boxenstopps ist nicht mehr durch das Tanken limitiert. Zuletzt haben alle Tankstopps ungefähr gleich lang gedauert. Das war langweilig. Jetzt liegt es an den Mechanikern. Wenn einer ein Rad nicht gleich draufbringt, ist der Zeitverlust größer als früher, als das Tanken eine bestimmte Zeit eingenommen und in der Regel länger gedauert hat als das Reifenwechseln.
 
Was sagen Sie zum neuen Punktesystem?

Berger: Ein Blödsinn. Wir sollten in Dinge wie das Punktesystem nicht zu oft eingreifen. Das verwirrt nur die Zuschauer. Wenn schon etwas ändern, dann würde ich einen Extrapunkt für die Pole Position geben. Das ist nämlich eine Leistung. Und es stellt sicher, dass im Training nicht taktiert wird.

Dann sind Sie auch für die Qualifikation mit ganz wenig Sprit im Tank, wie sie ab 2010 wieder durchgeführt wird?
Berger: Auf jeden Fall. Ich will sehen, wer der Schnellste ist. Und nicht hinterher nachrechnen, wie viel Zeit soundsoviele Kilo mehr Benzin im Tank gekostet haben. So wird die Qualifikation eine eigene Disziplin, die sich total vom Rennen unterscheidet. Es ist auch viel spannender. Denken Sie zurück an früher. Da hat jeder Fahrer vier Satz Qualifikationsreifen gehabt und sich den letzten Reifensatz bis ganz zum Schluss aufgehoben. Du hast dann gewusst, dass du nur noch diesen einen Schuss hast, und dass in dieser Runde alles passen muss. Das war Spannung pur.
 
Das Feld wird aller Voraussicht nach um sechs Autos größer sein. Gut oder schlecht?

Berger: Ich finde es gut, wenn 26 Autos am Start stehen. Die modernen Rennstrecken wie Shanghai oder Abu Dhabi sehen mit nur 20 Autos richtig leer aus. Du musst als Zuschauer beim Start das Gefühl haben, dass die ganze Straße voller Autos ist.
 
Wie schätzen Sie die Top 4 Teams der WM 2010 ein?
Berger: Meine Reihenfolge heißt Red Bull vor Mercedes, McLaren und Ferrari.
 
Der Reihe nach. Warum liegt Red Bull vorne?
Berger: Weil sie mit Adrian Newey den besten Designer haben. Adrian hat 2009 gezeigt, wozu er im Stande ist, wenn er mit einem weißen Blatt Papier beginnen kann. Deshalb ist Vettel für mich Favorit. Er sollte Webber im Griff haben.
 
Und Mercedes?
Berger: Eine super Konstellation. Ich traue dem Michael Schumacher alles zu. Für Rosberg wäre es schon eine große Leistung, wenn er nur dagegenhalten kann. Es ist nicht möglich, dass er Michaels Vorteil an Erfahrung, politischem Gespür und Durchsetzungsvermögen auf Anhieb wettmacht. Michael weiß, wie er das Team um ihn herum aufbauen muss. Und jetzt hat er mit Ross Brawn wieder seinen alten Partner an der Seite. Wenn Nico ihn trotzdem schlagen könnte, wäre er der Überflieger.
 
Trauen Sie Michael Schumacher trotz drei Jahren Pause wirklich so viel zu?
Berger: Der war doch nie richtig weg. Michael ist immer am Ball geblieben, er hat hin und wieder getestet, hat sich mit Motorrad- und Kartrennen den Kampfgeist erhalten. Fit ist er auch, und jetzt hat er auch wieder seine Batterien aufgeladen. Ich bin überzeugt, dass er um die WM mitfahren wird, wenn das Material stimmt.
 
Die Tifosi werden ihn für den Weggang von Ferrari verdammen.
Berger: So reden sie jetzt, weil sie ihm nicht ins Gesicht schauen müssen. Wenn er dann vor ihnen steht, fallen sie auf die Knie und beten ihn an.
 
Wie geht das Duell der Engländer bei McLaren aus?
Berger: Ich tippe auf Hamilton. Der ist ein Killer. Und unheimlich schnell. Button fährt den saubersten Strich von allen, aber ich glaube nicht, dass das ausreicht gegen Hamilton. Da hat er mich in der zweiten Saisonhälfte 2009 zu wenig überzeugt. McLaren schätze ich ganz hoch ein. Vor allem, weil jetzt der Ingenieur zurückgekehrt ist, der letztes Jahr mit Force India ein kleines Wunder vollbracht hat. Das wird sich für McLaren positiv auswirken.
 
Und Ferrari?
Berger: Alonso ist der Beste überhaupt, aber vielleicht ist er zum falschen Zeitpunkt zu Ferrari gekommen. Die letzte Saison hat gezeigt, dass Ferrari den Abgang der Schlüsselfiguren noch nicht gleichwertig ersetzt hat. Leute wie Jean Todt, Ross Brawn und Rory Byrne findest du nicht auf der Straße. Mir kommt es fast so vor, als kehrten die Sünden der Vergangenheit zurück. Aber ich kann mich täuschen. Es wäre toll, wenn Ferrari wieder vorne mitfährt. Dann gibt es einen Superkampf zwischen Alonso, Vettel, Schumacher und Hamilton.
 
Und Massa?

Berger: Ich bin bei ihm schon einmal falsch gelegen. Felipe ist besser als ich gedacht habe.
 
Wer wird das beste neue Team?
Berger: Mein Favorit ist Virgin F1. Den Chefingenieur Nick Wirth kenne ich aus meinen Benetton-Zeiten. Er ist zwar sehr von sich eingenommen, aber auch ein sehr guter Ingenieur.
 
Ihr altes Team Toro Rosso steigt vom Kundenrennstall zum Konstrukteur auf. Schaffen Sie den Sprung nach oben?
Berger: Die Möglichkeiten, mit diesem Team Großes zu leisten, sind da. Das haben wir 2008 mit Vettel gezeigt. Es hängt nur von den Fahrern ab. Buemi ist ein Talent, aber Toro Rosso braucht noch einen zweiten guten Fahrer, sonst rutschen sie ab. Technikdirektor Giorgio Ascanelli traue ich viel zu. Giorgio kennt das Geschäft. Er wird bei der Konstruktion eines eigenen Autos am Anfang kein Risiko eingehen, sondern sich am letztjährigen Red Bull orientieren. Das ist schon mal eine gute Basis. Der Red Bull war 2009 das beste Auto. Also wissen die Toro Rosso-Jungs schon mal, wo die Messlatte liegt. Sie haben ja alle Daten von diesem Auto.
 
Aus BMW wird ein Privatteam. Was kann Peter Sauber schaffen?

Berger: BMW hat ziemlich viel falsch gemacht. Allein wie sie den Teamverkauf abgewickelt haben, war kein Meisterstück. In der ersten Phase wird Sauber den Schwung von dem Team mitnehmen und die Einrichtungen nutzen, die da sind. Peter Sauber ist ein solider und erfahrener Mann, der weiß wie man anständig in der Formel 1 mitfährt. Er ist ein Kämpfer und ein Überlebenskünstler. Seine Mannschaft wird sich hinter ihn stellen, weil er seit dem Rückzug von BMW für den Erhalt des Teams gekämpft hat.
 
Aus Renault wird ein halb privates Team. Geht es jetzt bergab?
Berger: Renault hat stark von der Persönlichkeit von Flavio Briatore gelebt. Sie haben aber auch für seine Spielchen bezahlt. Es ist in den letzten zwei Jahren viel Zeit und Energie verschwendet worden, um das auszubügeln, was Flavio angerichtet hat. Sie werden Zeit brauchen, um wieder auf Vordermann zu kommen. Immerhin haben sie mit Kubica einen exzellenten Fahrer im Auto.