Ian Phillips: "Schumacher ein Verrückter oder ein Superstar"

Ian Phillips über Schumi-Debüt 1991
"Schumacher ein Verrückter oder ein Superstar"

Die Michael Schumacher-Story begann schon 10 Tage vor dem Rennen. Unser Stammfahrer Bertrand Gachot saß im Gefängnis und wir suchten Ersatz. Ich habe mit Derek Warwick und Keke Rosberg gesprochen. Mein heimlicher Traum war es, Keke zu einem Comeback zu überreden, aber er sagte ab. Derek war interessiert, hatte aber kein Geld. Als letzte Absicherung hatten wir noch Stefan Johansson ins Auge gefasst. Am Sonntag vor dem GP Belgien rief mich plötzlich Eddie Jordan an und sagte: „Schumacher fährt. Ich habe einen guten Deal gemacht. Michael und sein Manager Willi Weber kommen morgen in die Fabrik. Bereitet alles vor.“

Schumacher „zu schnell“ beim ersten F1-Test

Zuerst haben wir einen Sitz gemacht. Dann ging es auf den Club Circuit von Silverstone. Michael, Trevor Foster, meine Wenigkeit und drei Mechaniker. Es gab vor den Boxen eine enge Rechts-Links Passage. Wir haben da ein bisschen zugeschaut, weil wir den Speed dort von unserem Stammfahrer Andrea de Cesaris ungefähr einschätzen konnten. Dann fuhr der Kerl vier Runden oder so und kommt plötzlich mit einem Affenzahn daher ohne spürbar zu bremsen.

Trevor ließ ihn sofort an die Boxen holen. Er sagte zu mir: 'Wir müssen den Kerl einbremsen. Schau, dass du Eddie ans Telefon kriegst und sage ihm, dass wir hier einen Verrückten oder einen Superstar im Auto haben.' Als ich von meinem Telefonat zurückkam, hatten sie Schumacher schon zum zweiten Mal an die Boxen geholt. Er fuhr Trevor immer noch viel zu schnell. Stellen Sie sich das mal vor. Der Rookie war auf einer 60-Sekunden-Runde eineinhalb Sekunden schneller als de Cesaris.

Als wir nach Spa fuhren, hatten wir immer noch keinen unterschriebenen Vertrag in der Hand. Die Abmachung war, dass Schumacher pro Rennen 150.000 Pfund (damals 375.000 Mark) mitbringen würde. Sauber sollte das Geld auf Anweisung von Mercedes bezahlen. Bis Donnerstagnachmittag haben die Anwälte noch am Vertrag herumgeschrieben. Johansson stand am Telefon auf Abruf bereit, für den Fall, dass kein Geld fließt.

Wir lebten in unserer ersten Saison von der Hand in den Mund und brauchten die Mitgift. Deshalb wohnten wir auch alle zusammen in dieser Jugendherberge. Das Zimmer kostete fünf Pfund (damals 15 Mark) die Nacht. Mehr konnten wir uns nicht leisten. Ich teilte mir eine Art Wohnung mit Michael und Willi Weber. Donnerstagabend um 18 Uhr traf auch das Geld ein. Damit war alles klar für Michaels Debüt.

Strafpredigt von der Rennleitung

Es ging aber gleich ziemlich turbulent weiter. Im Training kamen sich Michael und Alain Prost in der Busstop-Schikane in die Quere. Ich musste gleich danach mit Michael zur Rennleitung. Derek Warwick sah uns und rief mir zu: 'Hättest Du mich genommen, gäbe es jetzt keine Schwierigkeiten.' Ich antwortete ihm: 'Nur die schnellen Fahrer müssen bei ihrem ersten Einsatz zur Rennleitung.' Michael bekam von Herrn Corsmit eine Strafpredigt, die in der Aussage gipfelte: 'Wissen Sie wer der andere Fahrer war? Das ist Alain Prost. Dem droht man nicht mit der Faust. So einem muss ein Neuling Respekt entgegenbringen.'

Michael schien nicht sehr beeindruckt. Er spulte das Programm wie ein Routinier ab. Auch sein Auftritt vor unseren Seven Up-Gästen im Paddock Club war absolut professionell. Da Gachot ein Marlboro-Fahrer war, kam ich auf die Idee, Marlboro auch für Michael zu begeistern. Ich rief Graham Bogle an. Als ich den Namen Michael Schumacher erwähnte, lehnte er dankend ab. Wir lachen noch heute über diese Geschichte. Marlboro hätte Michael damals für ein Butterbrot bekommen.

Inzwischen war auch Jochen Neerpasch aufgetaucht. Wir redeten schon über das Jahr 1992. Er wollte unbedingt wissen, ob wir auch im folgenden Jahr mit Ford-Motoren fahren würden. Klar, sagten wir, obwohl wir bereits wussten, dass Eddie am Montag nach dem Rennen von Spa nach Japan fliegen würde, um mit Yamaha einen Motorenvertrag zu unterschreiben. Davon wusste außer uns nur Bernie Ecclestone. Er hatte es ja auch so eingefädelt, dass die Motoren von Brabham zu Jordan gingen.

Gerichtsvollzieher bringt Schumi-Debüt in Gefahr

Jetzt erzähle ich ihnen eine Geschichte, die nur wenige kennen. Sie hätte um ein Haar verhindert, dass wir und Schumacher in Spa gefahren wären. Eddie hatte einen Belgier namens Philippe Adams für sein Formel 3000-Team verpflichtet. Der zahlte 140.000 Pfund dafür, fuhr aber niemals für uns. Nach dem Abschlusstraining standen plötzlich ein belgischer Gerichtsvollzieher und Polizisten vor mir und verlangten nach Herrn Jordan.

Ich musste Eddie erstmal suchen. Der bekam sofort die Panik, weil er zuerst glaubte, jemand aus der Familie wäre verunglückt. Als wir am Truck ankamen, wurde uns erklärt, dass unser Renntransporter samt Inhalt beschlagnahmt sei. Adams hatte die Herren geschickt. Wir wurden aufgefordert, 140.000 Pfund zu zahlen, oder wir würden nicht starten. Doch woher so viel Geld nehmen? Eddie ist sofort zu Bernie, und der hat das Geld irgendwie aufgetrieben.

Michael war mit seinem siebten Startplatz die Sensation. Sein Teamkollege de Cesaris war am Boden zerstört. Er saß auf dem Rücksitz, als Eddie und ich am Samstagabend aus dem Fahrerlager fuhren. Andrea machte Geräusche wie ein Motor und ruderte mit den Armen, als wollte er noch eine Qualifikationsrunde fahren. Am nächsten Tag fuhr er das Rennen seines Lebens. Von Platz 14 auf zwei, bis der Motor sauer wurde. Nur weil Ford uns vorher nicht gesagt hatte, dass diese Spezifikation mehr Öl verbraucht und wir einen Liter mehr Öl in den Tank hätten füllen sollen. Da Senna am Ende des Rennens noch technische Probleme bekam, hätte Andrea das Rennen für uns gewonnen.

Ehrlich gesagt, das gleiche kann man auch von Michael behaupten. Als Siebter am Start hätte auch er gewinnen können, hätte ihn nicht ein dummer Kupplungsdefekt gleich nach einem Kilometer gestoppt. Michael blieb unheimlich gelassen. Er erlebte nahe seiner Heimat gerade seinen Traum, aber er nahm es hin, als wäre es eine Selbstverständlichkeit.

Keine Chance gegen Wechsel zu Benetton

Es gab einen Mann im Fahrerlager, der wusste wie gut Michael wirklich ist. Das war Tom Walkinshaw von Benetton. Er kannte Michael aus der Sportwagen-WM, weil er mit seinen Jaguars gegen die Mercedes fuhr. Tom hatte gegen uns den entscheidenden Hebel in der Hand. Um weiter mit Ford-Motoren zu fahren, hätten wir sein Einverständnis gebraucht. Er wusste, dass wir mit den Zahlungen für die Motoren im Rückstand waren. Da hat er seine Chance gesehen, den Hebel anzusetzen, um Schumacher in sein Team zu lotsen.

Bernie wollte nach dem Einstand in Spa natürlich auch sicherstellen, dass Michael bei einem Top-Team landet. Endlich hatte er den deutschen Rennfahrer, den er sich gewünscht hatte. Wie gesagt, er kannte unsere Yamaha-Pläne für 1992. Und er hatte Angst, Michael würde bei uns versauern. So kam er zu Benetton.

In unserer Fotogalerie zeigen wir noch einmal die besten Bilder von Schumachers Formel 1-Debüt in Spa. Hier haben wir die Links zu den anderen Teilen unserer Jubiläums-Serie:

Teil 2: Eddie Jordan: Schumachers Karriere begann mit einer Lüge