Früher einmal, bis in die 90er Jahre hinein, da gingen die Motorenhersteller der Formel 1-Teams relativ freizügig mit den PS-Zahlen ihrer Triebwerke um. Sie waren Teil des Marketings ihrer Motorsportaktivitäten. Man konnte zwar nicht immer sicher sein, ob die veröffentlichten Werte den Tatsachen entsprachen und noch weniger konnte man es nachprüfen, aber es herrschte immerhin eine gewisse Transparenz. Heute, wo Ferrari, Mercedes, Honda und Renault so stolz auf ihre hochkomplexen Antriebseinheiten sind, findet null Vermarktung statt. Man bekommt die Motoren noch nicht einmal zu Gesicht.
In den technischen Daten der Pressemappen steht ausschließlich das, was die Regeln vorschreiben: 1,6 Liter Hubraum, sechs Zylinder, 24 Ventile, 90 Grad Bankwinkel, 80 Millimeter Bohrung, 15.000/min Maximaldrehzahl, ein Turbolader, 145 Kilogramm Gewicht, 120 Kilowatt elektrische Leistung. Von Systemleistung keine Spur. Doch genau das interessiert die Fans. Motoren werden für sie erst greifbar, wenn man weiß, was sie können.
Mit Super Freeload in die Qualifikation
Während man früher den veröffentlichten Daten trauen musste, gibt es heute genug Werkzeuge, um die Motorleistung zu ermitteln. Die Teams nehmen die GPS-Daten, errechnen anhand von Fotos die Stirnfläche der Autos und ermitteln an der Beschleunigung im nicht mehr Grip limitierten Bereich und des Top-Speeds die Leistung der einzelnen Antriebseinheiten. Jeder tut das und weiß dann mehr oder weniger gut über die Konkurrenz Bescheid. Dass die Daten von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich ausfallen, liegt nicht nur an den unterschiedlichen Berechnungsalgorithmen. Da und dort werden Zahlen für den internen Gebrauch auch geschönt.
Wir haben uns von einem Hersteller die aktuellen Zahlen besorgt. Angegeben wird immer nur die Leistung des Verbrennungsmotors, weil die MGU-K laut Reglement ja nur 120 Kilowatt (163 PS) beisteuern darf. Zu welchem Prozentsatz die direkt aus der MGU-H oder über die Batterie gespeist wird, steht auf einem anderen Blatt, hat aber durchaus einen Einfluss auf die Motorleistung. Wenn die MGU-H Strom produziert, kann der Verbrennungsmotor durch den Abgasgegendruck bis zu 40 PS verlieren. Das ist vor allem im Rennen der Fall, wenn Effizienz zählt.
In den Qualifikationsläufen fahren alle im sogenannten Super Freeload-Modus. Dabei wird die Turbine ausschließlich elektrisch angetrieben und der überschüssige Ladedruck über das Wastegate-Ventil in die Atmosphäre abgeblasen, anstatt ihn zur Stromerzeugung zu verwenden. Die Batterie ist für die Jagd nach Bestzeiten voll geladen. Das reicht aus, die komplette Runde zu boosten. Und weil der Abgasgegendruck auf ein Minimum reduziert wird, kann der Motor seine maximale Leistung entwickeln.
Honda mit 750 PS in Austin?
Demnach liegt Ferrari in der Qualifikation mit 790 PS vom Verbrenner an der Spitze. Mercedes fehlen im Quali-Trim rund 10 PS. Unter Rennbedingungen sind die beiden Triebwerke auf Augenhöhe, außer in den Augenblicken, wenn Ferrari seinen Nachbrenner einschaltet. Renault und Honda hinken immer noch dramatisch zurück. So soll die Spec-C-Version des Renault-V6 in der Qualifikation nur auf 730 PS kommen. Sie hat bisher nur Red Bull im Einsatz. Der B-Version werden lediglich 710 PS zugebilligt. Da soll Honda mit 715 PS bereits die Nase vorn haben.
Während Renault sein Pulver bereits verschossen hat, wird Honda noch einmal aufrüsten. In Austin ist es soweit. Ausführliche Prüfstandsläufe über Distanzen von 7.000 Kilometer kosten Zeit. Aus Honda-Quellen hören wir, dass der Spec-3-Motor an der 750 PS-Grenze kratzen soll.
Renault macht im Leistungsvergleich eine andere Rechnung auf. Sportchef Cyril Abiteboul erklärte uns in einem Interview im Juli, dass Renault im Renntrimm nach eigenen Messungen höchstens 15 PS hinter Mercedes und Ferrari, dafür aber mindestens 25 PS vor Honda liegt. Renault wird trotz der besseren Qualifikations-Power die Finger vom C-Motor lassen. Das Risiko eines Schadens ist höher als bei der B-Variante. Und das kann sich Renault im Kampf um Platz 4 nicht leisten.